Archiv


Folgen einer Diktatur

Spanien erlebt einen regelrechten Erinnerungsboom an die Franco-Diktatur. Auch Neuerscheinungen aus Großbritannien und Deutschland widmen sich diesem Thema: Antony Beevor, ehemaliger britischer Berufsoffizier, zeichnet in seiner umfangreichen Darstellung den Verlauf des Bürgerkrieges nach. Die beiden deutschen Wissenschaftler Walther Bernecker und Sören Brinkmann spannen in "Kampf der Erinnerungen" dagegen den Bogen von den 30er Jahren bis in die Gegenwart.

Von Volker Mauersberger |
    Ein Bürgerkrieg sei kein Krieg, sondern eine Krankheit, schrieb der französische Schriftsteller Antoine de Saint Exupery: "Der Feind steht im eigenen Land, und man kämpft beinahe gegen sich selbst." Vor fast genau 70 Jahren begann in Spanien jener Bürgerkrieg, der mehr als eine Million Tote fordern und in einer Diktatur enden sollte, die bis zum Tode Francos im Jahre 1975 gedauert hat. Zur Tragödie dieses Bürgerkrieges gehört, dass der Aufstand des bis dahin unbekannten Franco fast wie ein Operettenputsch geendet hätte, weil die Revolte rechtsextremer Militärs schon nach den ersten Tagen ins Stocken geriet und fast am Widerstand republikanischer Garnisonen gescheitert wäre.

    Heute steht fest, dass Franco den Sieg über sein eigenes Volk nie ohne die brüderliche Hilfe der so genannten Achsenmächte Italien und Deutschland errungen hätte. Nur die Rückversicherungen mit den faschistischen Regierungen in Rom und Berlin stärkten die aufständischen Rebellen und hoben am Ende Franco in den Sattel - nach einem Krieg, der zum prägenden Erlebnis für eine ganze Generation von europäischen Politikern, Soldaten, Intellektuellen und Idealisten wurde: eine geistige Elite, die sich mit Pathos, revolutionärem Elan und persönlichem Mut für die bedrohte Republik engagierte. Männer wie Picasso und Orwell, Koestler und Hemingway, Malraux und Ehrenburg, Kantorowicz und Neruda, Brandt, Brecht und Bernadotte schrieben, malten und kämpften für Spanien - oder sangen wie der Deutsche Ernst Busch, der den Kampf um ein demokratisches Spanien zu seiner Sache machte.
    Es ist das Verdienst des britischen Publizisten Antony Beevor, die Dramatik des Bürgerkrieges von den Anfängen in Spanisch Marokko bis zur Einnahme Madrids durch Francos Truppen im März 1939 in einer anschaulichen, für eine breite Leserschaft tauglichen Darstellung präsentiert zu haben. Antony Beevor ist ehemaliger britischer Berufsoffizier und hat sich bereits mit mehrfach ausgezeichneten Sachbüchern über "Stalingrad" und "Berlin" einen Namen gemacht. Seine höchst lesbare "Geschichte des Spanischen Bürgerkrieges" belegt am Beispiel bisher unbekannter Quellen aus sowjetischen Aktenbeständen, aber auch im Rückgriff auf endlich zugängliches Material aus westlichen Archiven, dass Francos Aufstand keine zwei Wochen nach jenem 18. Juli 1936 von Mussolini und einem skrupellos zugreifenden Hitler für die eigenen Interessen genutzt worden ist.

    Der Einsatz der deutschen "Legion Condor", die mit der Bombardierung der baskischen Stadt Guernica eines der größten Massaker unter der spanischen Zivilbevölkerung verübte, war der Auftakt für jenen "ideologischen Weltkrieg", der in Spanien mit der Polarisierung von Faschismus, Demokratie, Stalinismus, Leninismus und Anarchismus als Spielarten politischer Doktrinen vorweggenommen wurde. Antony Beevor versteht es bei aller Verliebtheit in die Darstellung militärischer Aktionen meisterlich, den Bürgerkrieg eines nationalistischen und republikanischen Spanien vor dem Hintergrund seiner schleichenden Internationalisierung zu beschreiben.

    Die legendären Schlachten um Madrid, Brunete und Teruel, in Aragon, am Ebro, am Jarama und vor Guadalajara gingen rasch über das Ausmaß lokaler Gefechte hinaus: Deutsche Flugzeuge brachten aus Spanisch Marokko Regimenter der Fremdenlegion auf das Festland. Deutsche und italienische Flugzeuge beherrschten den Himmel, die Marine der beiden Achsenmächte kontrollierte die Seewege und schaffte Kriegsmaterial aus Deutschland und Italien heran. Allein am 4. Dezember 1936 warfen die JU-52 Bomber unter dem Kommando des deutschen Oberst von Richthofen 36 Tonnen Bomben auf die Hauptstadt Madrid - ein erster konzentrierter Bombenangriff, der seine psychologische Wirkung auf die Bevölkerung nicht verfehlte. Empört dichtete der Chilene Pablo Neruda:

    "Kommt, seht das Blut auf den Straßen ... kommt, seht das Blut auf den Straßen. Kommt, seht das Blut auf den Straßen."
    Einer der bekanntesten Philosophen Spaniens, der Baske Miguel de Unamuno, hatte den Mut, während einer Feierstunde in der Aula seiner Universität von Salamanca dem anwesenden Franco ins Gesicht zu sagen:

    "Dies ist ein Tempel des Geistes, und ich bin sein Hohepriester. Ihr seid es, der diesen heiligen Ort entweiht. Ihr werdet siegen, weil Ihr über brutale Macht im Überfluss verfügt - aber Ihr werdet nicht überzeugen. Denn um zu überzeugen, braucht Ihr, was Euch fehlt: Vernunft und das Recht auf Eurer Seite. Wahrscheinlich ist es nutzlos, Euch zu ermahnen, an Spanien zu denken."

    Franco wollte den Unerschrockenen auf der Stelle erschießen lassen, ließ jedoch davon ab, weil er nach der Ermordung des Dichters Garcia Lorca die Reaktion der internationalen Öffentlichkeit fürchtete. Unamuno starb sechs Wochen nach seinem couragierten Auftritt an "gebrochenem Herzen", wie bei Beevor nachzulesen ist, von seinen Gegnern als "Roter und Verräter Spaniens" diffamiert. Es sind auch diese brillant erzählten und gut recherchierten Einzelschicksale, die das Buch des englischen Autors zu einer aufregenden Lektüre machen.

    Wer sich über die drei Schreckensjahre hinaus mit den Folgen des Bürgerkriegs beschäftigen will, dem sei das Buch "Kampf der Erinnerungen" von Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann empfohlen, das sich nicht nur auf die Beschreibung des Kriegsverlaufs beschränkt, sondern die Opferbilanz aus 3 Kriegs- und knapp 40 Diktaturjahren analysiert. Beide Autoren, als profunde Spanienkenner ausgewiesen, untersuchen die Folgen des Krieges bis zur Gegenwart, dessen heikles Vermächtnis die Spaltung der spanischen Gesellschaft in zwei Lager war, das der Sieger und der Besiegten, der Guten und der Bösen, der Anhänger und der Opfer des Regimes. Ein damaliger Sprecher der Falange:

    "Zwischen ihrem Spanien und unserem besteht ein Abgrund, der nur durch Reue und Unterwerfung unter unsere Doktrin überwunden werden kann. Geschieht das nicht, ist es besser, dass sie alle jenseits des Abgrunds bleiben. Sollten sie ihn heimlich überqueren, werden sie dabei umkommen."

    Das Freund-Feind-Denken des falangistischen Fernandez Cuesta blieb bis zum Tode des Caudillo offizielle Doktrin. Die Sieger wollten regieren und ihre Macht genießen, die Besiegten sollten zahlen und büßen: Säuberungen und Massenerschießungen, Konzentrationslager, Haftanstalten und Zwangsarbeiter, das Exil der Hunderttausend in Frankreich, Lateinamerika und anderswo - die Repression in Krieg und Nachkriegszeit führte bis in die Mitte der 70er Jahre zu einer Ikonographie des Franco-Regimes, die Walter L. Bernecker am Beispiel von markanten Gedächtnisorten des Franquismus illustriert: der Alcazar von Toledo, das "Tal der Gefallenen" vor Madrid sowie die Besetzung öffentlicher Räume durch die Umbenennung von Straßen und Plätzen, waren Teile solcher Propagandastrategie, die sich bis zum Ende des Franco-Regimes tief in die Köpfe der Spanier eingegraben hatte. Aber erst der Rückblick auf diese Mechanismen autoritärer Macht vermittelt das Verständnis für den spanischen Sonderfall von Vergangenheitsbewältigung, der sich nicht in Aufklärung, sondern im Beschweigen der republikanischen Leidensgeschichte artikulierte.

    Versöhnen statt spalten: Das Trauma der "zwei Spanien" dauerte bis weit in die 90er Jahre. Sören Brinkmann untersucht gründlich, warum die Parteien nach Franco auf die öffentliche Anklage von Schuld und Verantwortung weitgehend verzichteten und einen "Pakt des Schweigens" akzeptierten, der von Vernunft und politischer Weitsicht getragen war: Der Überfall meuternder Guardias Civiles auf das spanische Parlament im Februar 1981 bestätigte, dass die Gefahr eines Rückfalls in autoritäre Visionen keineswegs gebannt war. Selbst der gegenwärtige Erinnerungsboom, der zu Recht nach einer kritischen Aufarbeitung des Spanischen Bürgerkriegs fragt, malt in der Polarisierung zwischen Rechts und Links alte Schreckensbilder an die Wand.

    Antony Beevor: Der Spanische Bürgerkrieg.
    Verlag C. Bertelsmann, München 2006
    655 Seiten. 26,00 Euro

    Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann: Kampf der Erinnerungen. Der Spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft. 1936-2006.
    Graswurzelverlag, Bremen 2006
    378 Seiten, 20,50 Euro