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Heute fliegen Reisende mal eben an einem Tag um die Welt. Keine Selbstverständlichkeit: Nur ein hochkomplexes Netzwerk garantiert einen reibungslosen Flugverkehr. Tiefer Winter, wie er gerade in ganz Europa herrscht, ist da eine besondere Herausforderung. Auch am Flughafen in Düsseldorf.

Von Rudi Schneider |
    Es ist drei Uhr nachts in Düsseldorf. Am Rhein haben die Schiffe für die Nachtruhe die Anker geworfen und am Flughafen leuchtet nur das Nachtlicht in den Terminals und Parkhäusern.

    Zur gleichen Zeit ist irgendwo zwischen Grönland und Island ist ein ganzes Heer von Nachtfliegern in 10 Kilometer Höhe in Richtung Osten unterwegs. Sie alle haben sich auf den Jetstream eingefädelt, der sie mit bis zu 150 Km/h Rückenwind nach Europa trägt. Die meisten Passagiere an Bord schlafen und die Piloten der Transatlantikflieger unterhalten sich mitunter von Flugzeug zu Flugzeug.

    Zwei dieser Maschinen über dem Atlantik haben Düsseldorf als Ziel, die Lufthansa 409 aus New York und die Delta Airlines 24 aus Atlanta. Zur gleichen Zeit geht bei mehr als 1000 Frühaufstehern rund um Düsseldorf das Licht im Badezimmer an, denn sie haben auf dem Flughafen in verschiedensten Rollen Frühdienst. Die Wecker klingeln aber auch bei mehr als 4000 Fluggästen, deren Flieger bereits zwischen sechs und sieben Uhr in Düsseldorf starten.

    Derweil registrieren die Piloten im Cockpit der Delta Maschine in der Nacht die ersten Lichter am Festland von Irland, die man in dieser Höhe bereits in 250 km Entfernung sehen kann. Eine Stunde zwanzig vor der Delta Maschine befindet sich der Lufthansa Airbus aus New York bereits im Anflug auf Düsseldorf. Die Frühschicht der Lotsen hat nach der Nachtruhe im Kontrollturm die Anflugbefeuerung eingeschaltet und im Cockpit der Lufthansa ruft der Computer die letzte Distanz zu Rollbahn vor dem Aufsetzen aus.

    Es ist 6.05 Uhr in Düsseldorf und am Ende der Landebahn wartet ein gelb-schwarz-kariertes Fahrzeug mit dem großen blinkenden Zeichen "Follow Me" auf den Airbus aus dem fernen Amerika um ihn im Morgennebel zielsicher zum Gate am Terminal zu geleiten. Piloten nennen das "Follow Me"-Fahrzeug "Marshaller", vielleicht weil der Marshaller auch vor einem Musikchor marschiert. Oliver Ruhberg sitzt vor seinen Bildschirmen im Kontrollturm des Flughafens und überwacht die Bodenbewegung auf dem Vorfeld. Eigentlich arbeitet er den Tagesflugplan der Ankünfte und Abflüge ab. Die Herausforderung liegt aber mehr in den Abweichungen vom Planmäßigen. An dieser Stelle sind Organisationstalente gefragt.

    "Den Tagesflugplan können Sie sich so vorstellen: 50 Prozent Schach und 50 Prozent "Mensch ärger dich nicht". Das, was wir hier planen, muss nicht immer eintreffen. Wir sind an diesem Platz, um die Großluftfahrt und die allgemeine Luftfahrt zu überwachen, eventuelle Änderungen sofort zu überprüfen oder zu checken und dann einzugreifen."

    Bereits in der ersten Stunde des Tages zwischen sechs und sieben Uhr wurden mehr als 4000 Gepäckstücke eingecheckt und an die 3000 Koffer sind angekommen. Die einen suchen ihren Weg zum Flugzeug, die anderen auf die Kofferbänder im Ankunftsbereich. Unsichtbar für die Fluggäste arbeitet eine riesige Maschinerie aus Mitarbeitern und automatischen Gepäckförderanlagen dafür, dass alle Gepäckstücke ihr Ziel finden. In den Mittelstreckenflugzeugen ist das Verladen der Koffer noch richtige Handarbeit erzählt Dietmar Kersting, der für die Gepäckabfertigung zuständig ist.

    "Da kniet ein Mitarbeiter im Flugzeugrumpf, stehen ist unmöglich, weil dieser Laderaum höchstens 60- 70 cm hoch ist. Der muss händisch wirklich noch packen. Da fließt viel Schweiß. Wir schätzen mal, dass so ein Mitarbeiter pro Tag zwischen 15 und 20 Tonnen an Gepäck bewegt und der hat am Ende des Tages einen krummen Rücken und kaputte Knie."

    Das A und O der Koffer auf ihrem Weg vom Check-in-Schalter zum Flugzeug und aus dem Flugzeug auf die Kofferbänder ist das Klebe-Label, das meistens am Griff des Koffers angebracht wird. Dieses Label enthält in einem Strichcode und Klartext alle wichtigen Informationen wie Flugnummer und Airline des Flugzeuges und eine mehrstellige Ziffer, die das Gepäckstück der Flugbuchung des Fluggastes zuordnet. Wenn dieses Label unterwegs wieder abreißt, so etwas kommt glücklicherweise immer seltener vor, dann hilft noch Folgendes, weiß Dietmar Kersting.

    "Wenn man sichergehen will, dass man schnell aufgefunden wird, dann ist es natürlich vorteilhaft, dass man das außen anbringt. Am Ende des Tages öffnet man dann den Koffer, wenn man gar mehr zuordnen kann. Dann findet man auch diesen Zettel. Aber da vergeht viel Zeit und der nächste Flug zu diesem Zielort, der ist vielleicht schon wieder weg."

    Nicht nur im Laderaum des Flugzeuges wird mit Hochtouren gearbeitet, sondern auch im Cockpit, wo der nächste Flug von den Piloten vorbereitet wird, denn zwischen Ankunft und Weiterflug besteht oft nur ein Zeitfenster von 45 Minuten erzählt Michael Hanné, Leiter des Bereichs "Operations" am Düsseldorfer Flughafen.

    "Die Planung und auch die Flugvorbereitung laufen heute über elektronische Systeme, die direkt in der Flugzeugkanzel angedockt sind. Und da werden dann die Informationen mit dem Flightdispatcher ausgetauscht, was das Wetter angeht, was den Flugplan angeht, was die Beladung angeht. Danach tippt der Pilot oder der Kopilot einfach nur die errechneten Daten in seinen Flugcomputer und dann kann es eigentlich losgehen."

    Im Zeitfenster der Bodenzeit greift ein Rad ins andere. Die Passagiere gehen von Bord, das Gepäck wird entladen, die Kabine wird gereinigt und aufgeräumt, die Küche für den nächsten Flug neu mit Speisen und Getränken bestückt, und bevor die neuen Fluggäste an Bord kommen, wird der Flieger wieder aufgetankt. So eine Tankfüllung für den Rückflug der Delta Maschine nach Atlanta beläuft sich beispielsweise auf ca. 90.000 Liter, und die Tankrechnung beträgt je nach Tagespreis um die 60.000 Euro. Damit dieses Räderwerk auch bei schwierigen Wetterbedingungen rund läuft, sind an der Landebahn hochpräzise elektronische und optische Landehilfen eingebaut.

    "Wir haben auf einer unserer Pisten Kategorie IIIb. Das ist also eine Minimalsicht von null Metern auf der Landebahn und 30 Meter Horizontalsicht, wenn der Luftfahrtzeugführer die entsprechende Lizenz besitzt und – oder das Luftfahrtzeug für diese Art von Landungen technisch ausgerüstet ist."

    Besonders schwierig werden die Wetterbedingungen für die Flugzeuge bei Eis und Schnee. Während wir Autofahrer dann einfach langsamer fahren, müssen die Flugzeuge unvermindert mit etwa 250 Stundenkilometer landen und dann mit ihren mehr als 100 Tonnen Gewicht sicher abgebremst werden. Die Feuertaufe für schwierigste Schneeverhältnisse fand für den Düsseldorfer Airport am Heiligabend 2010 statt, erinnert sich Verkehrsleiter Thomas Hansen.

    "Das große Problem war es, nachher die eingeschneiten Flugzeuge freizubekommen. Die großen freien Flächen können wir mit unseren Räumkolonnen sehr gut räumen und Wälle aufschieben. Nur da, wo die Flugzeuge stehen und unter den Tragflächen, da gibt es große Probleme, den Schnee weg zu bekommen. Die Landwirte kamen mit ihren Traktoren, mit Schildern und Saatgutstreuern, die wir dann mit Salz und Granulat bestückt haben und die Flugbetriebsflächen dann dementsprechend frei geschoben haben. Und da waren die wendigen Traktoren eine große Hilfe, damit wir die Flugzeuge überhaupt erst auf die geräumten Flächen schieben konnten."

    Während wir zuhause vielleicht unseren Bürgersteig und die Einfahrt frei räumen müssen, hat die Räumfläche des Flughafens eine andere Dimension, so Thomas Hansen.

    "Wir haben ein befestigtes Flugfeld, das heißt, da wo Flugzeuge geparkt werden können, in einer Größenordnung von ungefähr 1,2 Millionen Quadratmetern. Dazu kommt dann noch das gesamte Start- und Landebahnsystem mit den Rollwegen und natürlich auch die Versorgungsstraßen wie zum Beispiel die Straße ins Tanklager. Denn ohne Kerosin kann auch im Winter nicht geflogen werden. Erste Priorität hat natürlich die Start- und Landebahn beim Schneeräumen, sie ist das A und O für alle Flieger in der Luft, die landen wollen und für alle am Boden, die zum Start bereitstehen."

    Bei optimalen Wetterbedingungen, leichtem Schneefall und der Verfügbarkeit aller Geräte, 30 Minuten. Dabei ist aber auch das Absprühen der Oberfläche inkludiert, sodass nach 30 Minuten die Bahn wieder freigegeben werden kann.

    Wenn dann die Start- und Landebahnen für eine halbe Stunde zum Schneeräumen gesperrt werden, müssen alle anfliegenden Maschinen ins "Holding" wie die Piloten sagen, das sind genau definierte Räume, in denen die Flugzeuge höhengestaffelt Warteschleifen fliegen. Für solche Anlässe haben alle Flugzeuge für 30 Minuten extra Kerosin an Bord. Wenn die 30 Minuten allerdings überschritten werden, setzt ein gewaltiges Umorganisationsszenario ein, sagt Oliver Ruhberg im Kontrollturm.

    "Erstes Gebot: Ruhe bewahren. Dann arbeiten wir die Punkte so dementsprechend ab, wenn der Flughafen zu ist, dass der Ausweichflughafen, der nächste wäre dann Köln-Bonn, angeflogen wird. Verspätungslisten werden erstellt, der Winterdienst rückt aus, der Krisenstab richtet ein. Wir arbeiten dann Hand in Hand weiter und arbeiten dann auf einem anderen Spielfeld weiter."

    Die Spielfelder sind im Flughafenalltag eine Mischung aus durchgeplanter ineinandergreifender Organisation und kreativer Improvisation. Ein solches Spielfeld ist beispielsweise die Tatsache, dass auf dem Flughafen nicht nur die großen Metallvögel landen, sondern auch ganz gerne die richtigen Vögel. Um die großen Flieger zu schützen, hat man die kleinen Flieger intensiv beobachtet und folgendes herausgefunden.

    "Ich persönlich habe in der Vergangenheit immer gedacht, dass die Vögel auf das Gelände kommen, um Futter zu suchen. Die kommen hier auf den Platz, um sich hier auf dem von der Sonne erwärmten Beton oder Asphalt die Füße zu wärmen und dann wieder auf ihrem Langstreckenflug in Richtung Süden weiter zu fliegen."

    Auf dem Flughafen Düsseldorf kümmert sich ein "Wildlife Manager" um die Vögel, die entweder auf dem Flughafengelände leben oder auf ihrer Durchreise zwischenlanden. Flügel sind das, was die kleinen und großen Flieger trägt, aber, Sabrina Flügel, so heißt auch eine Mitarbeiterin am Flughafen, die sich um besondere Gäste kümmert und weiß, wie das Parfüm der Flughäfen duftet.

    "Ich glaube, wenn man einmal Kerosin geschnüffelt hat ... ich habe zwei Jahre nicht mehr auf dem Flughafen gearbeitet, bin dann wieder eingestellt worden hier bei VIP-Service. Wir nehmen die Gäste in Empfang. Die bekommen hier in den Lounges etwas zu trinken. Wir kümmern uns, dass sie pünktlich zu ihrem Flieger kommen. Hier erlebt man jeden Tag etwas Neues und Aufregendes. Natürlich kennt man die Gäste aus dem Fernsehen oder aus dem Funk. Und da sind wir immer angenehm überrascht, wenn einfach ganz normale Leute da sind und ganz normal mit uns umgehen. Ich muss sagen, wir haben immer supernette Gäste."

    Wenn der Tag zu Ende geht in Düsseldorf, sind mehr als 55.000 Fluggäste angekommen oder abgeflogen. Die Positionslichter der letzten Maschine entschwinden in den sternenklaren Nachthimmel über der Rheinmetropole und der Lotse übergibt sie an den nächsten Kontrollbereich. Und während im Tower die Anflugbefeuerung der beiden Landebahnen für die Nacht ausgeschaltet wird, sind die ersten Frühmaschinen nach Düsseldorf bereits über Neufundland unterwegs um den Atlantik zu überqueren.