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Foltervideos und Regierungs-PR

Georgien wählt am Montag ein neues Parlament. Die Proteste der Anhänger der Opposition gegen die Regierung haben enormen Auftrieb erhalten, als zwei private Fernsehkanäle, bis dahin regelrechte Propagandasender der Regierung, Foltervideos aus einem Tifliser Gefängnis zeigten.

Von Gesine Dornblüth | 29.09.2012
    Es sind grausame Bilder. Ein Mann steht gebückt an einer Wand, mit entblößtem Gesäß, einen Schlagstock im Anus. Andere Aufnahmen zeigen, wie Uniformierte Häftlinge ins Gesicht schlagen und treten. Die Bilder aus einem georgischen Gefängnis liefen vor gut zehn Tagen im 9. Kanal. Es gab noch mehr Aufnahmen, sagt die Nachrichtenchefin des Senders, Tamar Rukhadze:

    "Wir haben nur einen Teil der Bilder gezeigt, und wir haben die Gesichter der Opfer sowie auch die der Folterer unkenntlich gemacht. Die Stadt ist klein, das Land ist klein, jeder kennt jeden, und wir hatten Angst, dass die Bilder Racheakte auslösen könnten."
    Racheakte blieben aus, aber noch am Abend der Sendung gingen Tausende Georgier aufgebracht auf die Straße, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Pikant dabei: Der 9. Kanal gehört der Frau des Oppositionsführers, des Milliardärs Bidzina Iwanischwili. Vor allem der Zeitpunkt der Veröffentlichung knapp zwei Wochen vor der Parlamentswahl wirft Fragen auf.

    Zumal der Sender angibt, dass der Mitarbeiter, dem das brisante Material zugespielt wurde, dieses zunächst wochenlang zurückgehalten hatte. Der Sender habe sich von der Opposition instrumentalisieren lassen, sagen Anhänger der Regierung. Andere glauben an eine Intrige innerhalb der Machtelite. Für die Redakteurin Tamar Rukhadze war allein der Nachrichtenwert der Videos maßgeblich.

    "Wenn ich die Bilder ein paar Monate früher gehabt hätte, hätte ich sie früher gesendet. Wir haben sie am 19. September bekommen und sofort veröffentlicht."

    Die Bilder sorgten auch deshalb für so heftige Reaktionen, weil die Georgier aus den landesweiten Fernsehkanälen bis dahin vor allem die PR der Regierung gewohnt waren. Den letzten unabhängigen Fernsehsender, Imedi, hatte Präsident Saakaschwili 2007 von der Polizei stürmen lassen. Seitdem ist Imedi auf Regierungslinie. Es gibt in Georgien keine ausgewogene Berichterstattung, erst recht nicht im Wahlkampf, sagt Tamar Chugoshvili von der Vereinigung junger Anwälte in Tiflis. Die Organisation beobachtet den Wahlkampf.

    "Es herrscht ein großer Mangel an unabhängigen Medien. Die zwei landesweiten Privatsender sind regelrechte Propagandasender der Regierung. Andere stehen der Opposition sehr nahe. Die Medienlandschaft ist absolut polarisiert. Und manchmal gehen die Journalisten sogar körperlich aufeinander los."

    Chiora Taktakischwili, Sprecherin der Regierungspartei, spricht dagegen von Medienfreiheit.

    "Georgien hat große Fortschritte in Sachen Medienfreiheit und Medienvielfalt gemacht. Es mag eine Polarisierung zwischen regierungsfreundlichen und oppositionellen Fernsehsendern geben, aber das gehört zum Pluralismus einer Medienlandschaft. Außerdem haben wir das Wahlgesetz geändert und beschlossen, dass kleine Sender, die gewöhnlich nur über Satellit zu empfangen sind, während des Wahlkampfes im ganzen Land im Kabel zu bekommen sind."

    "Must Carry" heißt diese Regelung, von der auch der Iwanischwili nahestehende 9. Kanal profitiert. Der Haken bei der Sache: "Must Carry" endet am 30. September, am Tag vor der Wahl. Danach werden die meisten Georgier nur noch den halbwegs professionellen öffentlich-rechtlichen und die regierungsfreundlichen landesweiten Sender empfangen können – es sei denn, sie verfügen über Satellit oder Internet.

    Unabhängiger Journalismus ist in Georgien nur noch im Internet und in wenigen Printmedien möglich. Dazu zählt das politische Wochenmagazin Liberali. Allerdings wird es angesichts der zugespitzten politischen Situation auch für deren Mitarbeiter immer schwieriger, neutral zu bleiben. So ist Shorena Shaverdashvili, Chefin von Liberali, derzeit öfter bei Protestdemonstrationen als an ihrem Redaktionsschreibtisch.
    "Ich weiß, dass ich damit vermutlich alle Regeln des ausgewogenen Journalismus breche. Wir diskutieren oft über die Grenze zwischen Journalismus und bürgerschaftlichem Engagement. Aber ohne diese Aktivitäten ist unsere journalistische Arbeit ineffektiv. Und außerdem müssen wir ständig darum kämpfen, dass wir überhaupt professionell arbeiten können."

    Shaverdashvili und ihre Kollegen fordern, die "Must Carry"-Regelung zu verlängern, um den Georgiern auch über die Wahl hinaus die Möglichkeit zu geben, im Fernsehen mehr als Regierungs-PR zu sehen.