In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts machte der Begriff "Globalisierung" Karriere. Würde ein entfesselter Turbo-Kapitalismus Demokratie und Menschenrechte im Interesse des Profits hinwegfegen? Was ließ sich, fragt Otfried Höffe, dagegen unternehmen,
dass die Globalisierung nicht mit einer politischen Regression, dem Abbau von Demokratie bezahlt werde?
Sein Lösungsvorschlag ist:
ein demokratischer Weltstaat; eine Weltrepublik.
Diese Weltrepublik sei sogar, wie er meint, "rechtsmoralisch" geboten, um angesichts der Folgen der Globalisierung die zentralen Gerechtigkeitsprinzipien - Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Solidarität - auch zukünftig verwirklichen zu können, nun aber im globalen Maßstab. Diese "rechtsmoralische" Argumentation wird besonders deutlich, wo sich Höffe zu "Selbstbestimmung, Sezession und Intervention" äußert. Im Kontext der Unabhängigkeit des Kosovo und der Ereignisse in Georgien gewinnen Höffes Thesen neue Aktualität.
Im Rahmen genuin kollektiver Rechte verdient [ ... ] das Selbstbestimmungsrecht der Völker insofern ein besonderes Gewicht, als beim Begriff des Volkes mehrere, für die Identität der Mitglieder wesentliche Gemeinsamkeiten zusammenkommen, namentlich die Herkunft, Geschichte und Sprache, die Rechtstradition und die Religion, eine Siedlungskontinuität und gelebte Solidarität.
In einem nächsten Schritt könne sich aus dem Selbstbestimmungsrecht sogar ein Recht auf Sezession ableiten.
Wo die Verteidigung aber [ ... ] anders nicht möglich erscheint, öffnet sie sich zu einem offensiven Selbstbestimmungsrecht, zu einem Sezessionsrecht auch wenn das geltende Völkerrecht es bislang ablehnt.
Und schließlich leitet er aus seiner Argumentation sogar eine Pflicht zur humanitären Intervention ab.
Nach dem universalen Rechtsgebot erscheint die humanitäre Intervention nicht nur erlaubt, sondern sogar als geboten.
Höffe weiß, dass dies dem Völkerrecht widerspricht. Er weiß, dass das Selbstbestimmungsrecht und das Recht zur Sezession reichlich Konfliktpotenzial bergen, mehr noch, dass ein Gebot zur humanitären Intervention zum Missbrach geradezu einlädt. Diese Befürchtungen würden aber nur für eine internationale Ordnung ohne Weltrepublik gelten, denn diese wäre imstande, auftretende Konflikte schiedlich und friedlich zu lösen. Darin bestehe der Vorteil gegenüber der alten Ordnung, die auf dem Prinzip der nationalen Souveränität und territorialen Integrität beruhe.
Zu dieser Einschätzung gelangt Höffe, weil er eine reichlich kritische Sicht auf den Nationalstaat hat. Doch dieser Abgesang auf den Nationalstaat ist nicht überzeugend. Die Verwirklichung der Idee von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit war auf den Nationalstaat zugeschnitten, und sie ist es weitgehend immer noch auf ihn angewiesen. Das gilt, trotz allem, auch für die internationale Politik. Höffe mag zu dem Ergebnis kommen, dass in einer Weltrepublik das Recht auf Selbstbestimmung und Sezession gelten müsse. Es sollte aber kein Zweifel daran bestehen, dass mit der Realisierung dieser Rechte gewartet werden sollte, bis dieser verwirklicht ist. Mehr noch, man sollte bis dahin darüber schweigen. Denn es war die große Leistung des Völkerrechts, bei allen Schwächen und Fehlschlägen, den internationalen Beziehungen einen rechtlichen Rahmen zu geben, indem es legitime Akteure bestimmte und deren Gleichberechtigung festlegte. Die Grundlage dafür war die Anerkennung der Staaten in ihrer nationalen Souveränität und territorialen Integrität.
Im Licht des Ideals eines "Ewigen Friedens" mögen diese Grundsätze unzureichend sein. Sie haben aber den Vorzug, einfach und klar zu sein, auf sie konnten sich die Staaten als überwölbenden Standpunkt im Völkerrecht einigen. Mit dem Recht zur Sezession und der Pflicht zur Intervention würde dieser Standpunkt verlassen. Unter dem Vorwand, dem Völkerrecht zur Geltung verhelfen zu wollen, würde es zur Durchsetzung politischer Ziele missbraucht werden. Die Intervention der NATO im Kosovo, ohne UN-Mandat, hat dieser Entwicklung neuen Schub verliehen. Waren die Erwartungen, die die NATO damit im Kosovo weckte, überhaupt noch mit weniger zu befriedigen als mit der Anerkennung als unabhängiger Staat? Und darf es wirklich überraschen, dass Russland seine Intervention in Georgien mit dem Hinweis auf das Vorgehen des Westens im Kosovo zu legitimieren versucht? Dabei spielt es gar keine Rolle, dass die Ereignisse nicht zu vergleichen sind. Wer soll unabhängig und verbindlich darüber richten? Wenn aber ein Richter fehlt, müssen die Regeln einfach sein, so, wie das Völkerrecht sie in über dreihundert Jahren seit dem Westfälischen Frieden entwickelt hat - bis dann, vielleicht, eine Weltrepublik neue Bedingungen geschaffen hat.
Stefan Schieren war das über Otfried Höffe: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung. Das Buch ist bei C.H. Beck erschienen, hat 476 Seiten und kostet 9 Euro 90.
dass die Globalisierung nicht mit einer politischen Regression, dem Abbau von Demokratie bezahlt werde?
Sein Lösungsvorschlag ist:
ein demokratischer Weltstaat; eine Weltrepublik.
Diese Weltrepublik sei sogar, wie er meint, "rechtsmoralisch" geboten, um angesichts der Folgen der Globalisierung die zentralen Gerechtigkeitsprinzipien - Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Solidarität - auch zukünftig verwirklichen zu können, nun aber im globalen Maßstab. Diese "rechtsmoralische" Argumentation wird besonders deutlich, wo sich Höffe zu "Selbstbestimmung, Sezession und Intervention" äußert. Im Kontext der Unabhängigkeit des Kosovo und der Ereignisse in Georgien gewinnen Höffes Thesen neue Aktualität.
Im Rahmen genuin kollektiver Rechte verdient [ ... ] das Selbstbestimmungsrecht der Völker insofern ein besonderes Gewicht, als beim Begriff des Volkes mehrere, für die Identität der Mitglieder wesentliche Gemeinsamkeiten zusammenkommen, namentlich die Herkunft, Geschichte und Sprache, die Rechtstradition und die Religion, eine Siedlungskontinuität und gelebte Solidarität.
In einem nächsten Schritt könne sich aus dem Selbstbestimmungsrecht sogar ein Recht auf Sezession ableiten.
Wo die Verteidigung aber [ ... ] anders nicht möglich erscheint, öffnet sie sich zu einem offensiven Selbstbestimmungsrecht, zu einem Sezessionsrecht auch wenn das geltende Völkerrecht es bislang ablehnt.
Und schließlich leitet er aus seiner Argumentation sogar eine Pflicht zur humanitären Intervention ab.
Nach dem universalen Rechtsgebot erscheint die humanitäre Intervention nicht nur erlaubt, sondern sogar als geboten.
Höffe weiß, dass dies dem Völkerrecht widerspricht. Er weiß, dass das Selbstbestimmungsrecht und das Recht zur Sezession reichlich Konfliktpotenzial bergen, mehr noch, dass ein Gebot zur humanitären Intervention zum Missbrach geradezu einlädt. Diese Befürchtungen würden aber nur für eine internationale Ordnung ohne Weltrepublik gelten, denn diese wäre imstande, auftretende Konflikte schiedlich und friedlich zu lösen. Darin bestehe der Vorteil gegenüber der alten Ordnung, die auf dem Prinzip der nationalen Souveränität und territorialen Integrität beruhe.
Zu dieser Einschätzung gelangt Höffe, weil er eine reichlich kritische Sicht auf den Nationalstaat hat. Doch dieser Abgesang auf den Nationalstaat ist nicht überzeugend. Die Verwirklichung der Idee von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit war auf den Nationalstaat zugeschnitten, und sie ist es weitgehend immer noch auf ihn angewiesen. Das gilt, trotz allem, auch für die internationale Politik. Höffe mag zu dem Ergebnis kommen, dass in einer Weltrepublik das Recht auf Selbstbestimmung und Sezession gelten müsse. Es sollte aber kein Zweifel daran bestehen, dass mit der Realisierung dieser Rechte gewartet werden sollte, bis dieser verwirklicht ist. Mehr noch, man sollte bis dahin darüber schweigen. Denn es war die große Leistung des Völkerrechts, bei allen Schwächen und Fehlschlägen, den internationalen Beziehungen einen rechtlichen Rahmen zu geben, indem es legitime Akteure bestimmte und deren Gleichberechtigung festlegte. Die Grundlage dafür war die Anerkennung der Staaten in ihrer nationalen Souveränität und territorialen Integrität.
Im Licht des Ideals eines "Ewigen Friedens" mögen diese Grundsätze unzureichend sein. Sie haben aber den Vorzug, einfach und klar zu sein, auf sie konnten sich die Staaten als überwölbenden Standpunkt im Völkerrecht einigen. Mit dem Recht zur Sezession und der Pflicht zur Intervention würde dieser Standpunkt verlassen. Unter dem Vorwand, dem Völkerrecht zur Geltung verhelfen zu wollen, würde es zur Durchsetzung politischer Ziele missbraucht werden. Die Intervention der NATO im Kosovo, ohne UN-Mandat, hat dieser Entwicklung neuen Schub verliehen. Waren die Erwartungen, die die NATO damit im Kosovo weckte, überhaupt noch mit weniger zu befriedigen als mit der Anerkennung als unabhängiger Staat? Und darf es wirklich überraschen, dass Russland seine Intervention in Georgien mit dem Hinweis auf das Vorgehen des Westens im Kosovo zu legitimieren versucht? Dabei spielt es gar keine Rolle, dass die Ereignisse nicht zu vergleichen sind. Wer soll unabhängig und verbindlich darüber richten? Wenn aber ein Richter fehlt, müssen die Regeln einfach sein, so, wie das Völkerrecht sie in über dreihundert Jahren seit dem Westfälischen Frieden entwickelt hat - bis dann, vielleicht, eine Weltrepublik neue Bedingungen geschaffen hat.
Stefan Schieren war das über Otfried Höffe: Demokratie im Zeitalter der Globalisierung. Das Buch ist bei C.H. Beck erschienen, hat 476 Seiten und kostet 9 Euro 90.