Eyal Weizman ist israelischer Architekt und Schriftsteller, und um das Projekt "Forensis" richtig zu verstehen, das Weizman am Londoner Goldsmith College konzipiert hat und das nun am Berliner Haus der Kulturen der Welt gastiert, muss man vielleicht sein Buch "Hollow Land" gelesen haben.
Weizman ist ein Kritiker der israelischen Siedlungspolitik und bezeichnet etwa die israelische Siedlungsarchitektur als "in Material gegossene Politik". Schon auf der letzten documenta vor zwei Jahren hat er sein "Forensis"-Projekt vorgestellt, das man als eine Art kreative Protestbewegung von Künstlern, Wissenschaftlern, Architekten und Bürgerrechtlern gegen die Übergriffigkeit von Staaten sehen kann. Der riesige Aufwand, sagt Weizman jetzt in Berlin, den Staaten betreiben, um bestimmte Leute, Flüchtlinge zum Beispiel, nicht hereinzulassen, oder um Minderheiten auszugrenzen, hinauszuschmeißen und ihre Bürgerrechte zu beschneiden, so wie Israel es beispielsweise mit den Palästinensern tue, all dieser Aufwand könnte doch viel besser dafür eingesetzt werden, aus eben diesen Flüchtlingen und Minderheiten gute Staatsbürger zu machen, ihnen Ausbildung und Förderung zu geben und sie zu integrieren.
Ein aktivistisches Unterfangen
Weizmans "Forensis"-Projekt ist so gesehen ein aktivistisches Unterfangen. Der Begriff der Forensik, den man heute gemeinhin mit Gerichtsmedizinern vom Typ des Serienhelden "Quincy" verbindet, die in weißen Kitteln die Todesumstände und Lebensgeschichten von Tätern und Opfern anhand minimaler Alltagsspuren rekonstruieren, soll als "Forensis" hier nun aber eine politische Dimension erhalten. Jene Künstler, Architekten, Wissenschaftler, Bürgerrechtler, die bei Forensis zusammenarbeiten, verstehen sich gewissermaßen als "Wahrheitskommission" der aktuellen Zeitgeschichte. In Ländern wie Guatemala, dem Gaza-Streifen oder im ehemaligen Jugoslawien sind es oft gerade solche Gruppen von Bürgerrechtsaktivisten, die Massengräber vorangegangener Regime oder Bürgerkriege aufspüren und den anonymen Opfern ihre Identität zurückgeben.
In der abgedunkelten Ausstellungshalle des Hauses der Kulturen sind augenschmeichelnden Installationen hell erleuchtete Tische verteilt, an denen insgesamt 24 Einzelprojekte vorgestellt werden. Auf Bildschirmen flimmern geografische Messdaten, 3D-Projektionen simulieren den Verlauf von Kriegshandlungen in Landschaften, Videos dokumentieren die Arbeit an Ausgrabungsstätten. Eyal Weizman nimmt mittlerweile für sich in Anspruch, dass das Forensis-Projekt schon selbst einige neue forensische Methoden entwickelt hat, um Nichtregierungsorganisationen in aller Welt bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen zu unterstützen.
Weltpolitisch gedachte, bürgerrechtliche Forensik
Aber es geht nicht nur um Krieg und Massengräber. Eine sogenannte "Predicitve Forensis", eine voraussagende Forensis, wendet sich vom klassischen Metier der Forensik, der Vergangenheit, der Zukunft zu - sie versucht, Vorhersagen zu treffen über die Entwicklung in Krisengebieten, etwa in Libanon, wo syrische und christliche Milizen und zahlreiche radikale Splittergruppen gegeneinander kämpfen, oder auch die Ursachen für Finanzkrisen und Börsencrashs zu analysieren. Ein weiteres Feld sind Klimaforschung, Umweltfragen und Geografie und natürlich auch die allgegenwärtige Datenspionage. Utopisches Ziel dieser weltpolitisch gedachten, bürgerrechtlichen Forensik ist ein großer Weltgerichtshof.
Freilich mutet manches ein wenig naiv an, die Einbindung von Künstlern etwa. Das Material der Forensiker habe schließlich hohe ästhetische Qualitäten, die rede ist von "ästhetischen Sensoren, die moralische Kraftfelder registrieren" können, so Kurator Anselm Franke. Aber Kunst und Wissenschaft zu einer moralischen Saubermann-Dienstleistung am schlechten Gewissen der Menschheit miteinander verschmelzen, das kann nicht wirklich ein ernstgemeintes Ziel der Projektleiter sein.