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Form follows fashion

Die Dinge sind nicht von vornherein gegen uns, aber irgend jemand hetzt sie auf. Das tun die Designer. Sie bauen dem Objekt die Tücke ein, die einen rasend macht und bis zu schwarzgalliger Daseinsverzweiflung treibt. Nackend steht der Mensch in der Nasszelle seines Hotelzimmers und zitternd befingert er die Armaturen, um herauszufinden, wie der Wasserstrahl auf Dusche umzuschalten und der Erwärmungsgrad zu regulieren sei. Er zupft und rüttelt, reißt sich den Fingernagel ab, schlägt sich den Fingerknöchel blau und findet nicht die magische Möglichkeit, das Oberteil des Auslaufstutzens nach schräg vorne zu bewegen: Das ist Design.

Ein Beitrag von Burkhard Müller-Ullrich |
    Machen wir uns nichts vor und stellen wir uns nicht dümmer, als es die Leser von Heinmito von Doderers Roman "Die Merowinger" sein können: In diesem epochalen Werk sind schließlich entscheidende Hinweise auf das konzertierte Teufelswerk, das in der Gestaltung unserer sächlichen Lebenswelt liegt, enthalten. Denn die sogenannten Gestalter sind durchweg Agenten einer bösen und feindlichen Macht; scheinheilig kommen sie mit ästhetischen Anliegen daher, doch kaum lässt man sie ans Material heran, machen sie es unbrauchbar und unbedienbar.

    Vor diesem Hintergrund ist der Besuch einer Veranstaltung, die zu den wichtigsten Branchentreffen der Designer zählt, eine geradezu metaphysische Exkursion. Sie führt ins schweizerische Langenthal, ein Industriestädtchen mit 15 000 Einwohnern, halbwegs zwischen Zürich und Bern gelegen. Ein paar Firmen gibt es hier, die erzeugen nicht nur Teppiche, Textilien, Glas oder Möbel, sondern auch wirre Träume und gespenstische Sätze. Sie haben den "Designers’ Saturday" gegründet, eine Mischung aus Messe, Party, Seminar und Kunstausstellung. Alle zwei Jahre fallen hier 10 000 Besucher für ein Wochenende ein - und verirren sich prompt.

    Das Geschehen ist verteilt auf vier Fabriken und ein Design-Center. Zwischen diesen Orten verkehren zwei Buslinien, deren Routenplan jedem in die Hand gedrückt wird. Er ähnelt dem Modell der Doppelhelix, mit dem die Wissenschaftler Watson und Crick seinerzeit die Chromosomenstruktur veranschaulichten, und ist ungefähr so einfach zu lesen. Wenn Design jemals der Erzeugung von Evidenz dienen sollte, dann gilt das jedenfalls in Langenthal mitnichten.

    Im Programm steht: "Abheben vom Dagewesenen ist möglich, wenn die Auseinandersetzung beim Visionären beginnt." Wir laufen durch den Keller einer Fabrikhalle und sehen absurde Sitzgelegenheiten, groteske Bäder und flackernde Bildprojektionen. Im Programm steht: "Die Veränderung der Menschen und somit unserer Gesellschaft führt uns zu einem bewussteren Wahrnehmen unserer Umgebung." Wir laufen durch den Keller einer anderen Fabrik und sehen, begleitet von durchdringender Minimal-Music, die aus tausend Lautsprechern perlt, tanzende Stoffe und sich drehende Tische. Im Programm steht: "Wir Menschen schätzen die Freiheit und möchten unsere Umgebungen gern prägen." Wir laufen durch den Keller einer dritten Fabrik und sehen bunte Lämpchen in einem sehr langen Regal sowie eine sehr lange Menschenschlage, die vor dem Lastenaufzug wartet. Plötzlich hören wir sehr deutlich eine Stimme, deren panischer Tonfall nicht zu verkennen ist. Raus hier, ruft sie, nichts wie raus ins Freie. Es ist die Stimme der Vernunft.

    Die Schweizer sind ein rätselhaftes Volk. Durch ihren Handwerksfleiß bringen sie Produkte von absoluter Spitzenqualität hervor. Auch bei der Formgebung sind sie dank ihrem Hang zur Einfachheit und Klarheit führend. Aber sie haben ein unheilbares Faible für den Bluff der Avantgarde. Aus dem sicheren Gefühl einer gewissen Rückständigkeit tun sie alles und noch mehr, um progressiv zu wirken und stammeln die Sprache des allgemeinen Fortschrittsdeliriums. So ist die Schweiz auch eine Heimat des Designs geworden. Hier gilt: je abgehobener, desto seriöser. Es gibt Menschen, die sich der Peinigung durch sinnlose und unbequeme Einrichtungsgegenstände mit Freuden unterwerfen, wenn sie nur als deren Besitzer einen Distinktionsgewinn verbuchen können. Es ist banal aber wahr: Das Design bestimmt das Bewusstsein.

    Um sich mental entsprechend aufzurüsten, gab es in Langenthal ein vorgeschaltetes Symposium, bei dem ein englischer Technikfan eine Zukunft voller künstlicher Netzhäute und Orgasmen per E-Mail halluzinierte, eine amerikanische Politologin mit verklärtem Blick über Farben faselte und der deutsche Architekturkritiker Hubertus Adam einen altbackenen Vortrag über "aktuelle Tendenzen" neu aufsagte. Die Teilnahmegebühr betrug 500 Euro, eingeschlossen war ein vorzügliches Mittagsbüffet.

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