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Formel 1
Rettung für die weißen Elefanten

Erstmals wird im Oktober ein Großer Preis von Russland in Sotschi stattfinden. Die Rennstrecke wird dabei genau um die Bauten der Olympischen Winterspiele herum führen. Doch die Formel 1 ist in Russland nicht verwurzelt.

Von Arne Lichtenberg | 08.06.2014
    Dimitri Zhukin steht auf dem Dach des mehrstöckigen Boxengebäudes. Die Zuschauertribüne und den Start- und Zielbereich kann er direkt sehen. In unmittelbarer Nähe steht das Olympiastadion "Fisht" mit seinem auffälligen weißen gürteltierartigen Dach. Doch die Olympischen Spiele, die sind für Zhukin weit weg. Für den Bauleiter der neuen Rennstrecke zählt nur noch die Formel 1.
    "Die Bedingung, die von uns gestellt worden ist, war, dass die gesamte Rennstrecke hier innerhalb des Olympia-Parks verläuft, damit wir keine zusätzlichen Kosten verursachen. Außerdem ist hier in der Nacht unter den Objekten eine ganz besondere Atmosphäre. Das wird einfach eine spannende Show sein."
    Bis dahin bleibt noch einiges zu tun. Während der Olympischen Winterspiele mussten die Bauarbeiten ruhen. Erst seit Anfang April wird wieder gearbeitet. Jetzt kommt der Rennbelag auf den Asphalt. Im Juni und Juli reisen dann die Verantwortlichen der FIA an und nehmen die Strecke ab. Danach bleibt noch etwas Zeit für Nachbesserungen. Mitte Oktober, wenn die Formel-1-Bolliden über den Parcours brettern sollen, muss alles fertig sein. Kostenpunkt: Rund 260 Millionen Euro. Wie schon für die Olympischen Spiele werden auch die Kosten für das Formel-1-Projekt am Ende deutlich höher sein, als anfangs gedacht. Die Rennstrecke droht fast doppelt so teuer zu werden, wie ursprünglich geplant. Doch Dimitri Zhukin verteidigt sein Projekt:
    "Wenn wir die Strecke an einem anderen Standort komplett neu gebaut hätten, dann hätten wir viel höhere Kosten gehabt. Hier können wir die Infrastruktur des Olympia-Parks nutzen, alle Kommunikationsleitungen und so weiter. Das spart uns viel."
    Das Streckenprofil für die neue Rennstrecke stammt dabei von Hermann Tilke, einem Architekten aus Aachen. Der 59-Jährige hat zahlreiche Formel-1-Rundkurse auf der ganzen Welt entworfen. Manche Fahrer kritisieren, dass er die Formel 1 zu langweilig gemacht habe. Er baue vor allem sichere Kurse, bemängeln sie. Doch in Sotschi hat Tilke sich ins Zeug gelegt, um einen anspruchsvollen Parcours für die Piloten umzusetzen.
    "Die Autos werden nach dem Start einen Kilometer lang beschleunigen. Das heißt, sie sind bei der ersten Kurve über 300 km/h schnell. Das heißt, dass es eine hohe physische Belastung wird für die Fahrer und ich hoffe dadurch passiert natürlich auch Action in der Kurve und es sind Überholmöglichkeiten dort."
    Doch ob sich viele russische Zuschauer von der Action anlocken lassen, ist fraglich. Ursprünglich hatten die Veranstalter mit 100.000 Zuschauern gerechnet. Doch jetzt ist die Zuschauerkapazität auf nur noch 45.000 Plätze reduziert worden. Die Formel 1 hat in Russland keinerlei Tradition. Aktuell gibt es mit Daniil Kwjat nur einen russischen Fahrer und mit Marussia nur einen russischen Rennstall, der dem Feld aber weit abgeschlagen hinterherfährt. Und: Es gibt kaum direkte Flugverbindungen nach Sotschi aus dem Ausland. Die Veranstalter gehen deshalb auch nicht von vielen internationalen Besuchern aus. Hinzu kommt die umständliche Beantragung eines Visums. Es ist also noch eine Menge Aufbauarbeit nötig. Aber Hermann Tilke ist dennoch fest davon überzeugt, dass der Rennzirkus sich in Russland etablieren wird.
    "Es gibt ja schon mehrere Rennstrecken in Russland. Wir haben gerade eine in Moskau fertig gestellt. Moskau Raceway. Andere sind in Planung. Es ist schon ein sehr großer Aufwärtstrend in Sachen Motorsport zu sehen, sowohl vonseiten der Aktiven, dass es viel mehr Aktive gibt und immer mehr Aktive gibt, als auch von Menschen, die das spannend finden, das gut finden und zugucken."
    Bis 2020 haben die russischen Verantwortlichen die Verträge mit der Formel 1 unterschrieben. Die Rennen sollen mithelfen das Olympia-Erbe irgendwie zu nutzen. Tausende Hotelzimmer in Sotschi warten auf Übernachtungsgäste. Schon jetzt mahnen russische Duma-Abgeordnete an, man müsse sich um das Olympia-Vermächtnis von Sotschi sorgfältiger kümmern.
    Einer der wissen muss, ob Sotschi Chancen hat langfristig in der Formel 1 zu bleiben, ist Christian Sylt. Der Engländer ist Formel-1-Experte und Bekannter von Bernie Ecclestone. Sylt sieht keinerlei Gefahr, dass es dem Olympia-Austragungsort ähnlich wie Indien oder Südkorea gehen könnte. Dort wurden die Grands Prix trotz langjähriger Verträge nach nur wenigen Ausgaben wieder aus dem Rennkalender gestrichen. Doch in Sotschi spielen die Zuschauerzahlen nach Sylts Meinung nur eine untergeordnete Rolle.
    "Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob es in Sotschi darum geht genügend Zuschauer anzulocken, um das Rennen tragfähig zu machen. Jedes dieser Rennen, die staatlich unterstützt werden – und dieses hier wird ganz besonders stark vom Staat gefordert – sind auf die Zuschauereinnahmen nicht angewiesen."
    Es stecke enorm viel Prestige im Großen Preis von Russland, sagt Sylt. Das werde allein schon dadurch sichtbar, dass die Verträge zwischen Bernie Ecclestone und Wladimir Putin höchstpersönlich unterzeichnet und ausgehandelt wurden. Das sei untypisch. Die Formel 1 in Sotschi ist wie auch schon Olympia Chefsache. Schnell wird klar, worum es sich in Sotschi am Ende wirklich dreht.
    "Ich glaube nicht, dass es bei diesem Rennen darum geht, die Formel 1 in Russland zu promoten. Dieses Rennen ist dazu da, um Russland im Rest der Welt zu promoten."