
Doris Schäfer-Noske: Wie viel internationale Zusammenarbeit benötigt die europäische Erinnerung? Um diese Frage zu beantworten, haben sich Mitarbeiter von historischen Instituten drei Tage lang in Berlin getroffen. Thema war die Aufarbeitung der Geschichte von Kriegen und Diktaturen im 20. Jahrhundert. Dabei war die diesjährige Konferenz die Fortsetzung einer Konferenz, die vor einem Jahr in Danzig stattgefunden hat und zu der mehr als 100 Teilnehmer von Institutionen aus 14 Ländern gekommen waren. Diesmal waren es sogar 180 Teilnehmer aus über 20 Ländern.
Frage an Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung: Frau Kaminsky, was soll denn in unser kollektives Gedächtnis aufgenommen werden? Was war da das Ergebnis der Konferenz?
Anna Kaminsky: Wir haben es ja noch immer mit einer, in Europa geteilten Erinnerung zu tun. Während sich im Westen Europas bis 1990 ein Erinnerungskonsens herausgebildet hat, der insbesondere den Nationalsozialismus und die im Zweiten Weltkrieg durch Deutschland begangenen Verbrechen und insbesondere die Ermordung der europäischen Juden in den Mittelpunkt stellt, ist ja mit 1990 und dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime eine neue große Gewalterfahrung massiv in diesen Erinnerungskonsens eingebrochen. Auch fast 25 Jahre nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime verhandeln wir ja immer noch, welchen Platz diese beiden großen Erinnerungsthemen in einem europäischen Gedächtnis haben können und haben sollen. Dieses Thema ist ja mit 2004 und dem EU-Beitritt von zehn ehemals kommunistisch beherrschten Staaten überhaupt erst massiv auf der europäischen Tagesordnung aufgetaucht, und viele osteuropäische Staaten und mitteleuropäische Staaten, die unter kommunistischer Herrschaft waren, fühlen ihre Erinnerung an den Rand gedrängt. Darüber wird einerseits verhandelt, und Dan Diner, ein Professor aus Leipzig, er sagte, wir müssen viel mehr die Peripherien in den Blick nehmen. Er machte das an einem Beispiel sehr deutlich. Er sagte, der 8. Mai in Europa ist ja einerseits als Tag der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland gekennzeichnet und der Beendigung des Krieges in Europa zumindest, zum anderen natürlich markiert er in der europäischen Wahrnehmung von vielen auch ein Datum der Befreiung, er markiert für viele mittel- und osteuropäische Staaten den Beginn einer neuen Diktatur, nämlich der kommunistischen, und er bringt etwas Neues ein, was aber in der europäischen Diskussion gar nicht stattfindet, dass er sagt, der 8. Mai ist für Algerien der Tag, an dem dort die französischen Kolonialtruppen ein großes Massaker angerichtet haben.
Schäfer-Noske: Es ging ja auf der Konferenz auch um Zäsuren in der europäischen Geschichte, und zwar wurde da 1914, 1939 und _89 genannt. Aber da spielen ja dann die Jugoslawienkriege zum Beispiel gar keine Rolle und auch nicht die Diktaturen in Spanien und Portugal oder auch in Griechenland. Wie kann man das denn in die gemeinsame Geschichtsschreibung integrieren?
Kaminsky: Wir haben ja im Jahr 2014 eine einzigartige Konstellation historischer Jahrestage. Wir begehen oder erinnern uns dann an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren, das Ende der kommunistischen Diktaturen vor 25 Jahren und nicht zu vergessen die EU-Osterweiterung vor dann zehn Jahren. Und mit all diesen Kerndaten, also _14, _39, _89, 2004, ist ja eine Vor- und Nachgeschichte verbunden, von Porto bis Wladiwostok und vom Nordkap bis nach Albanien, bis Griechenland ist das eine europäische Erfahrung mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen, die wir im Blick behalten müssen und nicht auf die Großkonflikte reduzieren dürfen, weil wir damit viele nationale, regionale, ethnische Erfahrungen, die mit den Großkonflikten auch in Verbindung stehen, nicht mehr im Blick haben und damit auch die große Diversität, die wir in Europa haben, aus dem Blick verlieren.
Schäfer-Noske: Welche Impulse für neue Projekte sind denn aus der diesjährigen Tagung entstanden?
Kaminsky: Zum einen ist ein Plädoyer dafür gehalten worden, dass die Europäische Kommission in ihren Förderprogrammen eine stärkere Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Institutionen, die in vielen ehemaligen postkommunistischen Staaten eigentlich die Einzigen sind, die sich einer kritischen Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit verpflichtet fühlen, ermöglichen. Ein anderes Ergebnis ist natürlich, dass diese Konferenz im nächsten Jahr in Prag fortgesetzt wird und es ein stark formuliertes Interesse von westeuropäischen Institutionen gab, dass es dann im Jahr 2015 beispielsweise in Belgien oder in Holland stattfinden könnte, eine Nachfolgekonferenz, auch um noch stärker westeuropäische Institutionen hier mit einzubinden und einen gesamteuropäischen kritischen Dialog in Gang setzen zu können.
Schäfer-Noske: Anna Kaminsky war das, die Geschäftsführerin der Stiftung Aufarbeitung, über eine Konferenz in Berlin zu den Diktaturen im 20. Jahrhundert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Frage an Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung Aufarbeitung: Frau Kaminsky, was soll denn in unser kollektives Gedächtnis aufgenommen werden? Was war da das Ergebnis der Konferenz?
Anna Kaminsky: Wir haben es ja noch immer mit einer, in Europa geteilten Erinnerung zu tun. Während sich im Westen Europas bis 1990 ein Erinnerungskonsens herausgebildet hat, der insbesondere den Nationalsozialismus und die im Zweiten Weltkrieg durch Deutschland begangenen Verbrechen und insbesondere die Ermordung der europäischen Juden in den Mittelpunkt stellt, ist ja mit 1990 und dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime eine neue große Gewalterfahrung massiv in diesen Erinnerungskonsens eingebrochen. Auch fast 25 Jahre nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime verhandeln wir ja immer noch, welchen Platz diese beiden großen Erinnerungsthemen in einem europäischen Gedächtnis haben können und haben sollen. Dieses Thema ist ja mit 2004 und dem EU-Beitritt von zehn ehemals kommunistisch beherrschten Staaten überhaupt erst massiv auf der europäischen Tagesordnung aufgetaucht, und viele osteuropäische Staaten und mitteleuropäische Staaten, die unter kommunistischer Herrschaft waren, fühlen ihre Erinnerung an den Rand gedrängt. Darüber wird einerseits verhandelt, und Dan Diner, ein Professor aus Leipzig, er sagte, wir müssen viel mehr die Peripherien in den Blick nehmen. Er machte das an einem Beispiel sehr deutlich. Er sagte, der 8. Mai in Europa ist ja einerseits als Tag der Niederlage des nationalsozialistischen Deutschland gekennzeichnet und der Beendigung des Krieges in Europa zumindest, zum anderen natürlich markiert er in der europäischen Wahrnehmung von vielen auch ein Datum der Befreiung, er markiert für viele mittel- und osteuropäische Staaten den Beginn einer neuen Diktatur, nämlich der kommunistischen, und er bringt etwas Neues ein, was aber in der europäischen Diskussion gar nicht stattfindet, dass er sagt, der 8. Mai ist für Algerien der Tag, an dem dort die französischen Kolonialtruppen ein großes Massaker angerichtet haben.
Schäfer-Noske: Es ging ja auf der Konferenz auch um Zäsuren in der europäischen Geschichte, und zwar wurde da 1914, 1939 und _89 genannt. Aber da spielen ja dann die Jugoslawienkriege zum Beispiel gar keine Rolle und auch nicht die Diktaturen in Spanien und Portugal oder auch in Griechenland. Wie kann man das denn in die gemeinsame Geschichtsschreibung integrieren?
Kaminsky: Wir haben ja im Jahr 2014 eine einzigartige Konstellation historischer Jahrestage. Wir begehen oder erinnern uns dann an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren, das Ende der kommunistischen Diktaturen vor 25 Jahren und nicht zu vergessen die EU-Osterweiterung vor dann zehn Jahren. Und mit all diesen Kerndaten, also _14, _39, _89, 2004, ist ja eine Vor- und Nachgeschichte verbunden, von Porto bis Wladiwostok und vom Nordkap bis nach Albanien, bis Griechenland ist das eine europäische Erfahrung mit sehr unterschiedlichen Ausprägungen, die wir im Blick behalten müssen und nicht auf die Großkonflikte reduzieren dürfen, weil wir damit viele nationale, regionale, ethnische Erfahrungen, die mit den Großkonflikten auch in Verbindung stehen, nicht mehr im Blick haben und damit auch die große Diversität, die wir in Europa haben, aus dem Blick verlieren.
Schäfer-Noske: Welche Impulse für neue Projekte sind denn aus der diesjährigen Tagung entstanden?
Kaminsky: Zum einen ist ein Plädoyer dafür gehalten worden, dass die Europäische Kommission in ihren Förderprogrammen eine stärkere Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Institutionen, die in vielen ehemaligen postkommunistischen Staaten eigentlich die Einzigen sind, die sich einer kritischen Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit verpflichtet fühlen, ermöglichen. Ein anderes Ergebnis ist natürlich, dass diese Konferenz im nächsten Jahr in Prag fortgesetzt wird und es ein stark formuliertes Interesse von westeuropäischen Institutionen gab, dass es dann im Jahr 2015 beispielsweise in Belgien oder in Holland stattfinden könnte, eine Nachfolgekonferenz, auch um noch stärker westeuropäische Institutionen hier mit einzubinden und einen gesamteuropäischen kritischen Dialog in Gang setzen zu können.
Schäfer-Noske: Anna Kaminsky war das, die Geschäftsführerin der Stiftung Aufarbeitung, über eine Konferenz in Berlin zu den Diktaturen im 20. Jahrhundert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.