Archiv


Formularwut im Visier

Bei der Bekämpfung der Bürokratie bekommt die niederländische Regierung Unterstützung von der sogenannten Kafka-Brigade. Diese meldet sich gefragt oder ungefragt bei Ämtern, Behörden und Ministerien, macht auf Missstände aufrmerksam und hilft bei ihrer Beseitigung.

Von Kerstin Schweighöfer |
    Eine Mutter erscheint mit ihrem Töchterchen an der Schwimmbadkasse: Sie will das aufblasbare lilafarbene Krokodil abholen, das ihre Tochter nach dem Schwimmen vergessen hat.

    Der Mann am Schalter überreicht ihr ein zweiseitiges Formular zum Ausfüllen - obwohl das Krokodil gleich hinter ihm an der Wand steht. "Warum können Sie es uns nicht einfach geben?" fragt die Mutter. "Regeln sind Regeln!" antwortet der Mann. "Morgen zwischen neun und zehn können Sie das Formular bei der Dienststelle für Fundsachen einreichen und Ihr Krokodil abholen."

    "Wir machen es Ihnen einfacher!" verspricht eine Versicherungsgesellschaft daraufhin den Fernsehzuschauern.

    Dieser inzwischen legendäre Reklamespot ist in den Niederlanden zu einem Mini-Kultfilm geworden – und das lilafarbene Krokodil zum Symbol für bürokratischen Irrsinn. "Ein durchaus realistisches Beispiel", seufzt Lobke van der Meulen:

    Die 28-jährige Amsterdamerin kann mühelos Dutzende weitere Fälle aus dem Ärmel schütteln. Denn van der Meulen ist Mitglied der Kafka-Brigade, einer unabhängigen Organisation, zu der sich fünf junge Verwaltungswissenschaftler zusammengeschlossen haben. Die Kafka-Brigade rückt aus, sobald sie lilafarbene Krokodile sieht, sprich: akute Fälle von überbordender Bürokratie. Dann wendet sie sich an die betreffenden Behörden und Ministerien, um die Lage zu analysieren und gemeinsam nach Lösungen zu suchen.

    "Zuvor haben wir bei verschiedenen Forschungsinstituten und Universitäten gearbeitet. Wenn wir uns auf Partys oder Festen trafen, schimpften wir immer über die Bürokratie von Regierung und Behörden. Aber keiner tat etwas. Das war frustrierend, denn so ändert sich ja nichts. Deshalb beschlossen wir, die Kafka-Brigade zu gründen."

    Finanziert wird die Brigade von Fall zu Fall – und zwar von den Behörden, mit denen sie sich auseinandersetzt. Die zeigten sich bisher alle dankbar und kooperativ. Oft schalten sie die Bürokratiejäger sogar selbst ein. Denn der Kampf gegen die Formularwut steht ganz oben auf der Agenda der niederländischen Regierung – und die 40 Fälle, die die Kafka-Brigade in den letzten fünf Jahren gelöst hat, haben vielen Niederländern das Leben erleichtert:

    Der Mann im Rollstuhl, der beide Beine verloren hat, muss für die Verlängerung
    seines Invaliden-Parkscheins nicht mehr alle fünf Jahre eine neue Bescheinigung vom Facharzt holen, um die Behörden zu überzeugen, dass ihm immer noch beide Beine fehlen. Zum Heiraten braucht es in den Niederlanden jetzt weniger Formulare. Wer in Amsterdam eine Kneipe eröffnen will, kann sich für die nötigen Papiere an eine einzige Adresse wenden und nicht mehr an sieben verschiedene. Für eine Baugenehmigung muss die Bauzeichnung nicht mehr auf eine ganz bestimmte Art und Weise gefaltet werden.

    "Und um Schulabbrecher", so van der Meulen, "kümmern sich jetzt nicht mehr sechs verschiedene Ministerien, sondern - direkt an der Basis und damit viel effektiver - die betreffende Gemeinde."

    Für Beamte hat die Kafka-Brigade ein Handbuch mit Tipps herausgebracht. Viele erscheinen ganz selbstverständlich, sind es aber nicht: Zum Beispiel Kontakt zum Kollegen nebenan suchen, der sich mit demselben Fall beschäftigt – das kann dem betreffenden Bürger viel Elend ersparen. Oder für einen einzigen Ansprechpartner sorgen und damit Callcenter vermeiden: Lange Warteschleifen mit immer anderen Personen, die sich melden, treiben den Anrufer zum Wahnsinn. Ein dritter Tipp: An Schaltern einen sogenannten Kafka-Knopf einrichten:

    "Die Beamten an den Schaltern haben es oft mit Bürgern zu tun, die aus Verzweiflung zu heulen anfangen. Ihre Kollegen auf den Sozialämtern und bei den Rentenanstalten können in solchen Fällen jetzt den Kafka-Knopf drücken. Dann weiß ihr Abteilungsleiter sofort: Hier geht es um einen Kafka-Fall, also um einen ganz komplizierten Fall, der viel Aufwand kostet."

    Für Lobke van der Meulen ist es eine klare Sache: Einen solchen Kafka-Knopf sollten sich alle Ämter einrichten.