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Forsa-Chef: Hochwasser ist wichtiger als NSA-Affäre

Die Bürger in Deutschland haben ein gespaltenes Verhältnis zum Datenschutz, sagt Manfred Güllner, Geschäftsführer des Forsa-Instituts. Denn die Bekämpfung von Kriminalität finde große Zustimmung. Im Wahlkampf seien den Menschen Themen wie das Hochwasser wichtiger.

Michael Hartmann und Manfred Güllner im Gespräch mit Martin Zagatta | 15.07.2013
    Martin Zagatta: Der USA-Besuch von Innenminister Friedrich hat die Gemüter nicht beruhigen können. Ganz im Gegenteil: Der SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück wirft Kanzlerin Merkel vor, in der NSA-Ausspähaffäre ihren Amtseid gebrochen zu haben. Statt Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, habe sie zugelassen, dass Grundrechte der deutschen Bürger massiv verletzt werden. Und während die Kanzlerin versichert, was wir nicht wussten, das bringen wir jetzt in Erfahrung, gibt es Meldungen, dass der deutsche Geheimdienst, dass der BND nicht nur informiert war über die Aktivitäten, sondern diese Daten auch noch selbst genutzt hat.

    Mitgehört hat eigentlich Michael Hartmann, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, mit dem wir uns das Ganze jetzt erläutern lassen wollten. Das scheint nicht zustande zu kommen, sagt mir die Regie. Dann leiten wir doch direkt über zu unserem zweiten Gesprächspartner, den wir zu genau diesem Thema auch befragen wollten, nämlich Manfred Güllner. Er ist der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa und jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Güllner!

    Manfred Güllner: Ja schönen guten Tag.

    Zagatta: Herr Güllner, wie schätzen Sie das ein? Wird denn dieser Streit, der uns da jetzt weiter beschäftigt, über diese amerikanische Überwachung der Deutschen, wird das zu einem wichtigen Wahlkampfthema? Darauf setzt ja offenbar die SPD.

    Güllner: Ich glaube, dass das nicht zu einem sehr wichtigen Thema wird. Wir fragen ja immer die Menschen, was wichtige Themen für sie sind, und bislang war es zumindest so, dass das keinen hohen Stellenwert erreichte. Wichtiger ist bisher für die Menschen gewesen etwa, was in Ägypten passiert. Natürlich hatte das Hochwasser einen ganz hohen Stellenwert, dann die Ängste, die man mit der Euro-Krise verbindet und die Berichterstattung. Also einmal fehlt wirklich das herausragende Interesse, zum anderen glaubt man eigentlich, glaube ich, keinem Politiker, der sagt, er habe davon nichts gewusst, und das ist natürlich dann schwer für eine Partei, hier im Wahlkampf damit zu punkten. Zum Dritten ist es so, dass die Bürger ja selbst ein bisschen ein ambivalentes Verhältnis zu der ganzen Frage haben.

    Zagatta: Herr Güllner, Sie haben das Stichwort schon gegeben. Sie sagen, man glaubt den Politikern nicht. Da knüpfen wir auch gleich wieder an. Wir wollen jetzt aber doch einmal Michael Hartmann fragen, die Leitung steht nämlich wieder. Michael Hartmann, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion ist und auch dem Parlamentarischen Kontrollgremium angehört, das für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig ist. Hallo, Herr Hartmann! Guten Tag.

    Michael Hartmann: Hallo, grüße Sie.

    Prism und Tempora nicht in Kontrollgremium besprochen
    Zagatta: Sie dürfen ja da nicht in Details gehen, was da in dem Kontrollgremium besprochen wird. Aber ganz grundsätzlich: Stimmt diese Information, die wir Anfang der Sendung gehört haben, dass nämlich der BND auf diese Daten aus Deutschland auch zugreift, ja sogar die US-Amerikaner in Einzelfällen darum bittet, dass man da Zugriff auf diese Daten bekommt? Wissen Sie davon etwas?

    Hartmann: Ich kann so viel sagen: Prism und Tempora waren in der Zeit, in der ich dem Kontrollgremium angehöre, niemals auch nur andeutungsweise thematisiert worden. Wahr ist, dass wir natürlich immer wieder ganz allgemein unterrichtet wurden, dass Erkenntnisse von befreundeten Diensten geholfen haben, bestimmte Straftaten zu ermitteln beziehungsweise Anschläge im Vorfeld zu verhindern. Konkretisiert wurde das niemals. Nachgefragt hat sehr kritisch der eine oder andere von uns, aber konkrete Details wurden uns nie genannt, sondern so, wie das jetzt auch thematisiert wird, man arbeitet mit fertigen Informationen und niemand sagt dem jeweils anderen Dienst, wie er diese Informationen erhalten oder erhoben hat.

    Zagatta: Und das hat man dann in vielen Fällen ja so hingenommen, das wissen wir bisher aus dieser Diskussion. Jetzt ist auch neu, das hat auch der Innenminister nach seinem Washingtonbesuch noch mal ganz besonders betont: Aufgrund dieser Informationen, die man da in Deutschland gewonnen hat, die jetzt für so viel Aufregung sorgen, seien auch in Deutschland geplante Anschläge verhindert worden. Wenn Sie das jetzt alles so wissen, wollen Sie dann trotzdem auf solche Ermittlungsmethoden, wie sie die Amerikaner hier anwenden, verzichten? Muss man die dann trotzdem verbieten oder dagegen vorgehen?

    Hartmann: Ich will weiterhin eine gute, enge und – das letzte betone ich jetzt – freundschaftliche Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und mit anderen Diensten, und deshalb wird es nicht angehen, dass ohne jeden Anlass, ohne jeden Anfangsverdacht beliebig alle Telekommunikation aus Deutschland aufgefangen wird von den Amerikanern. Das ist nicht nur unverhältnismäßig, es hilft auch nicht, um Terroristen zu überführen. Man muss die richtigen Informationen erheben und nicht beliebige.

    Zagatta: Jetzt gibt es aber Informationen, das berichtet die "Bild"-Zeitung heute, dass genau aufgrund solcher Informationen, dass man auf gespeicherte Informationen, die die Amerikaner gespeichert haben, bei Entführungen, wenn Deutsche entführt werden, oder wenn andere Gefahrenlagen auftauchen, dass man da noch gezielt nachfragen kann und dass das in der Vergangenheit geholfen hätte. Das wollen Sie in Zukunft nicht mehr? Da sollen dann auch die Erfolgsaussichten deutscher Geheimdienste beschnitten werden?

    Hartmann: Ich will als Erstes überhaupt einmal wissen, was geschehen ist. Was jetzt immer nebulös auch von Herrn Friedrich nach seiner kläglich gescheiterten USA-Reise in die Welt gesetzt wird, das ist für mich bisher nicht mit Fakten unterlegt. Herr Friedrich hat morgen im Kontrollgremium zusammen gerne mit Herrn Pofalla die Möglichkeit, sich zu erklären, und er hat am Mittwoch noch einmal die Möglichkeit, in eingestufter Sitzung auch dem Innenausschuss gegenüber alles zu nennen. Bisher gibt es allgemeine Andeutungen, allgemeine Hinweise, aber keine Konkretion. Im Übrigen gilt aber für mich: Anlasslos können wir doch nicht beliebige Telefonkommunikation überwachen. Das geht nicht und das darf nicht sein. Im Übrigen: Es führt auch nur zu Datenschrott. Was nutzt es, wenn ich gespeichert habe, dass Oma Krause sich eine Pizza bestellt hat. Ich habe Datenschrott, der mit viel Aufwand gespeichert werden muss und niemandem irgendwo hilft, aber über Jahrzehnte irgendwo in den USA ruht. Das ist alles groteskes Theater.

    Zagatta: Sie sagen jetzt oder ziehen das fast ins Lächerliche mit so einem Beispiel. Wenn man heute die Nachrichten hört, dann soll es ja Beispiele geben, dass ein Deutscher entführt wurde, von dem man vorher auch nicht wusste, dass der irgendwie gefährdet war, und dann gibt es die Nachfrage an US-amerikanische Geheimdienste, ihr speichert das ja alles, habt ihr da was vorliegen, was uns helfen könnte? Dass so eine weite Überwachung dann in so einem Fall vielleicht doch etwas bringen könnte, schließen Sie das aus?

    Hartmann: Sie sagten ja zu Beginn zurecht, ich darf nicht alles und schon gar nicht im Detail berichten. Ich kann Ihnen aber sagen, dass Entführungsfälle von Deutschen im Ausland das Gremium häufiger beschäftigten und auch weiter beschäftigen werden und dass dann unsere Dienste auch über gute eigene Möglichkeiten verfügen, um da die nötigen Maßnahmen einzuleiten. Gerade dieses Beispiel, Entführung Deutscher im Ausland, ist nach meinem Wissen immer bewältigt worden mit eigener Kenntnis und mit eigener Technik, und deshalb will ich ja auch, dass unsere Dienste gut sind, damit sie nur in Ausnahmefällen, oder wenn es wirklich hilfreich ist, auch Partner in Anspruch nehmen müssen. Im Übrigen noch einmal gesagt: Das eine ist die Ermittlung von Straftaten und die Bekämpfung von drohenden Attentaten. Das andere ist ein beliebiges Ausspähen jetzt vielleicht auch gerade unseres Telefonats, was ohnehin öffentlich ist. Es hat etwas Absurdes an sich, wenn man sagt, ich muss selbst erst einen Heuhaufen bilden – so argumentiert der NSA -, um die Stecknadel zu finden. Nein! Ich muss immer gezielt aufgrund von Hinweisen agieren.

    Zagatta: Herr Hartmann, noch ganz kurz: Würden Sie auch sagen, da muss die Bundesregierung ganz anders vorgehen? Da muss man auch den großen Konflikt mit den Amerikanern wagen, weil die sind ja offenbar nicht bereit, da nachzugeben?

    Hartmann: Schauen Sie, ich gehöre seit 2002 dem Deutschen Bundestag an. Mir ist sehr in Erinnerung, wie mutig und tapfer Gerhard Schröder damals "Nein" zu diesem verlogenen Irakkrieg sagte. Die Härte des Konflikts war deutlich zu spüren. Es hat uns auch nicht gut getan, aber den Amerikanern auf Dauer auch nicht. Ich glaube, eine gute Freundschaft muss ein offenes Wort vertragen. Man muss Freunden auch sagen können, wenn sie übers Ziel hinausschießen, sonst ist diese Freundschaft nichts wert. Und diese Härte der Auseinandersetzung in der Tat, die vermeidet die Bundesregierung. Ich höre nichts als gestanzte Formeln und nirgendwo Erkenntnisse.

    Zagatta: Michael Hartmann, der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Herr Hartmann, ich bedanke mich für das Gespräch.

    Bürger haben ambivalentes Verhältnis zu Datenschutz
    Und noch in der Leitung, so hoffe ich, ist Manfred Güllner, der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, der uns zu Beginn des Gespräches schon gesagt hat, dass er nicht glaubt, dass dieses Thema ganz groß den Wahlkampf bestimmen wird. Herr Güllner, warum eigentlich nicht? Die Deutschen sind doch, was Datenschutz angeht, viel empfindlicher als andere Länder. Zumindest hat man den Eindruck.

    Güllner: Ja ich glaube, dass die Bürger in Deutschland da ein sehr ambivalentes Verhältnis haben. Wenn man sie fragt, sagen sie, natürlich sollen meine persönlichen Daten geschützt werden. Aber das ist, ich sage mal, sehr formal immer dahergesagt. Wenn man mal guckt, wie viele Daten viele Bürger auch freiwillig in die sozialen Netze und sonst wo hingeben, dann sieht man, dass man das auch im persönlichen Bereich gar nicht so fürchterlich ernst nimmt. Dann kommt natürlich hinzu, was Sie auch gerade diskutiert haben: Alles was der Bekämpfung der Kriminalität, was der Terrorbekämpfung dient, das findet ja große Zustimmung, und auch die Verschärfung der Sicherheitsgesetze unter der rot-grünen Regierung nach den Anschlägen vom 11. September sind ja von der großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland für richtig befunden worden. Also da ist man durchaus zwiespältig, was diesen Datenschutz anbelangt und was den formalen Datenschutz anbelangt. Beispielsweise den Datenschutzbehörden, denen traut man ja auch nichts zu, weil es eben eine Behörde ist.

    Zagatta: Setzt die SPD da jetzt auf das falsche Pferd, wenn sie Bundeskanzlerin Merkel derart angreift, wie das ihr Kanzlerkandidat Steinbrück jetzt am Wochenende gemacht hat? Er wirft ihr ja Verletzung des Amtseids vor - ein härterer Angriff auf die Kanzlerin, als wir das bisher in den letzten Wochen erlebt haben.

    Güllner: Das eine ist die Frage, was auch hier glaubhaft ist. Hier ist es ja auch in der Vergangenheit immer so gewesen: Wenn man darüber diskutiert hat, wer wann irgendetwas gewusst oder nicht gewusst oder irgendjemandem weitergegeben oder nicht weitergegeben hat, dann sind das Formalien, die die Mehrheit der Bürger eigentlich nicht so sehr interessiert. Bei Frau Merkel speziell ist es ja so, dass sie eine so hohe Popularität hat, dass im Augenblick oder doch bislang alle Anwürfe gegen sie abgeprallt sind, an ihr abgeprallt sind.

    Zagatta: Und da ändert auch nichts daran, wenn sie jetzt doch in dieser Sache vielleicht, so sagt der eine oder andere Kritiker, zum ersten Mal relativ hilflos wirkt?

    Güllner: Ja das ist die Frage, ob die Menschen das so empfinden, oder ob man hier auch plausibel machen kann, dass man die Verhältnismäßigkeit schon im Blick hat zwischen der Bekämpfung des Terrors und der Kriminalität und dem Schutz der persönlichen Daten. Davon wird es, glaube ich, abhängen, ob Merkel hier Kratzer bekommt oder nicht.

    Zagatta: Herr Güllner, noch ganz kurz, weil die Nachrichten warten. Warum nutzt diese ganze Aufregung eigentlich der Partei nichts, die sich vor allem mit Internet beschäftigt und mit moderner Kommunikation? Warum hilft das der Piratenpartei nicht?

    Güllner: Nun, die Piraten haben sich ja als Exoten entpuppt, während die Sympathisanten und auch die Wähler bei vier Landtagswahlen normale Menschen waren. Sie haben dadurch, weil sie eben Exoten sind, keine politische Kompetenz auf keinem Feld und auch nicht auf dem Feld des gesamten Internets oder von Big Data.

    Zagatta: Manfred Güllner war das, der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa. Herr Güllner, ich bedanke mich für das Gespräch und für Ihre Einschätzungen.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.