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Forschen im Weltall II

Raumfahrt. - Mit weit über 100 Milliarden Euro veranschlagt die Nasa die Kosten der Internationalen Raumstation. Da muss die Forschung im Orbit schon erstklassig sein und sie muss durch weitere Faktoren ergänzt werden. Wo die Raumstation als Forschungsplattform punkten kann, erklärt der Wissenschaftsjournalist Dirk Lorenzen im Gespräch mit Jochen Steiner.

Dirk Lorenzen im Gespräch mit Jochen Steiner | 04.05.2012
    Steiner: Herr Lorenzen, wir haben es eben im Beitrag gehört, das klingt ja nach ganz praxistauglicher Forschung an Bord der Internationalen Raumstation. Ist es das immer?

    Lorenzen: Sie soll jedenfalls immer mehr zur Praxis werden. Aber klar ist: bis aus himmlischen Experimenten wirklich ein praxistaugliches Produkt wird, da dauert es doch dann meist deutlich länger. Es geht da oben auf der Raumstation eben nicht um das Produzieren, es geht um die Grundlagenforschung. Man will dort wirklich einfach Phänomene grundlegend untersuchen: das Verhalten von bestimmten Stoffen. Und diese Erkenntnisse, die man dann dort im All gewonnen hat, helfen am Boden, auch wenn da dann natürlich die Schwerkraft wirkt. Aber man kann eben aufgrund der besseren Kenntnis der Phänomene oder der Materialien dann Fertigungsprozesse auf der Erde verbessern oder ganz neue entwickeln, so wie es der eben auch bei diesen Materialien in den Turbinen der Fall ist.

    Steiner: In welchen Bereichen spielt die Forschung auf der Raumstation denn die größte Rolle?

    Lorenzen: Also neben diesen neuartigen Materialien geht es vor allem um so etwas wie Flüssigkeiten und Gasen in der Schwerelosigkeit. Da ist zum Beispiel - finde ich ganz kurios - bis heute nicht verstanden, wie sich eigentlich beim Sieden von Wasser und anderen Flüssigkeiten diese kleinen Bläschen bilden. Auf der Erde kann man das ganz schlecht untersuchen, weil die Bläschen sofort wegen des Auftriebs in der Flüssigkeit aufsteigen, aber in der Station, bei der Schwerelosigkeit, da kann man eben genau untersuchen, wie sich wirklich so ein Bläschen bildet, was weiter damit passiert. Das ist also ein Paradebeispiel, wie einfach unter Schwerelosigkeit Phänomene, die uns im Alltag bekannt sind, viel besser zu untersuchen sind. Andere Bereiche sind zum Beispiel die Medizin oder Biologie, oder so etwas wie Erdbeobachtung. Wirklich unverzichtbar ist die Raumstation natürlich für alles, wenn es darum geht, wie der menschliche Körper in der Schwerelosigkeit reagiert, das ist dann natürlich vor allem Forschung im All für das All. Das heißt, wenn Astronauten irgendwie zu weiteren Missionen aufbrechen wollen, zum Mond oder zum Mars, irgendwelchen Langzeitflügen. Da muss man noch viel genauer wissen, welche physischen und psychischen Folgen so etwas hat. Und das interessiert die Raumfahrtagenturen natürlich genau. Da ist immer noch sehr viel zu tun.

    Steiner: Ist die ISS wirklich eine ideale Forschungsstation, oder wären viele kleinere Satelliten besser geeignet?

    Lorenzen: Manches könnte man auf kleinen Satelliten auch machen, manches sogar besser. Denn die Schwerelosigkeit ist gar nicht so ganz perfekt auf der Raumstation. Sobald ein Mensch irgendwie dort ging die Wand tritt oder die Astronauten irgendeine Übung machen, gibt das Störeffekte. Das heißt, wenn es nur darum ginge, wie man hochreine Proteinkristalle wachsen lassen möchte oder Ähnliches, dann wäre ein frei fliegender Satellit ohne Menschen an Bord viel besser. Aber es setzt natürlich immer voraus, dass ein Experiment auf einem kleinen Satelliten mit Automaten durchgeführt werden kann. Und sobald man Menschen braucht, dann ist natürlich die Raumstation wirklich unverzichtbar. Es gibt eben sehr, sehr viele Experimente, bei denen die Astronauten wirklich in den Versuchsablauf eingreifen, wo sie dann eine Entscheidung treffen müssen im Gespräch mit den Wissenschaftlern am Boden, wie es weiter geht. So etwas geht natürlich nur auf der Raumstation. Zum Beispiel so beim Pflanzenwachstum oder ähnliche Dinge, da gibt es ganz kuriose Experimente, die da ablaufen, wo die Astronauten unmittelbar dabei sind. Und manche Experimente, wie so Teleskope dort an Bord, oder ein Teilchendetektor, die nutzen einfach die Infrastruktur der Raumstation, freuen sich aber auch, dass im Fall, wenn etwas kaputt geht, vor Ort jemand ist, der reparieren kann. Das ginge natürlich auch bei einem Satelliten nicht.

    Steiner: Wie geht denn die Forschung in den nächsten acht Jahren weiter?

    Lorenzen: Da ist noch viel zu tun, und es war hier allen klar: Man muss vor allem verbessern, dass es viel schneller geht aus einer Idee ein Experiment zu machen. Das dauert jetzt viele Jahre. Da muss man viel bessere Wege schaffen. Dann muss man auch mehr Wissenschaftler klarmachen, dass es dieses Labor dort oben gibt, in 400 Kilometer Höhe. Manchen am Boden ist gar nicht klar, dass sie ihrer Forschung auch dort oben nachgehen können. Diesen Zugang zum All, den will man klar verbessern. Auf der anderen Seite möchte man die Kosten drastisch senken, das ist ein bisschen ein Widerspruch. Viele fürchten jetzt, dass die Kostensenkung auf Kosten der Nutzung der Raumstation geht, da ist man vor allen Dingen von deutscher Seite massiv dagegen.

    Steiner: Ganz kurz zum Schluss Ihre Meinung. Rechtfertigt das alles den Milliardenaufwand, den die ISS gekostet hat?

    Lorenz: Die Forschung ist interessant und wichtig, aber allein mit der Forschung kann man die Raumstation sicherlich nicht rechtfertigen. Da gibt es andere Aspekte, oder die muss man dazufügen, wenn man meint, dass dieses Projekt sinnvoll ist und sich lohnt. Was wirklich die Experimente im Columbus-Modul und in anderen Forschungseinrichtungen dort gebracht haben, das kann man ohnehin erst in gut zehn Jahren sagen. Auch bei dieser himmlischen Forschung dauert es sehr lange, bis aus der Erkenntnis ein Produkt wird.