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Forscher am Herd

Lebensmittelchemie. - Kochkunst gepaart mit Wissenschaft ergibt die neue Disziplin molekulare Gastronomie. Auf der internationalen Konferenz "Euro Food Chem XIV" in Paris tauschen sich Experten unter anderem darüber aus, wie bei der Zubereitung von Karottengemüse möglichst viel Vitamin E erhalten bleibt.

Von Suzanne Krause |
    Hervé This gilt seit über zehn Jahren als Papst der molekularen Gastronomie. Der Chemiker ist Inhaber des Koch-Lehrstuhls am renommierten Collège de France in Paris und Mitorganisator der Pariser Konferenz zur Lebensmittelchemie. Zum heutigen Auftakt liefert This eine klare Definition seines Leib- und Magenthemas, der molekularen Gastronomie:

    "Bei dieser wissenschaftlichen Sparte geht es nicht um Ernährungswissenschaft oder um die Lehre von den Lebensmittel-Inhaltsstoffen. Es geht auch nicht darum, aus was Karotten bestehen oder wie die Lebensmittelindustrie ihre Waren produziert. Die molekulare Gastronomie erforscht wissenschaftlich alle Phänomene, die bei der Essenszubereitung auftreten. Derzeit sehe ich einen neuen Beruf aufkommen: den des kulinarischen Technologen. Da nimmt jemand die Labor-Ergebnisse aus der molekularen Gastronomie und vermittelt sie den Küchenchefs als kulinarische Technologie. Da die Forschung heute immer mehr neue Erkenntnisse hervorbringt, gibt es nun auch mehr und mehr solcher kulinarischen Technologien."

    Zur molekularen Gastronomie hat auch Hans Steinhart vom Hamburger Institut für Biochemie und Lebensmittelchemie geforscht. Er studierte Fleisch und pflanzliche Lebensmittel, um herauszufinden, wie sich ihr natürlicher Vitamin-E-Gehalt beim Erhitzen am besten bewahren lässt. Vitamin E gilt heute als wichtiges Antioxidans, als Krebsbekämpfer. Dass, so das erste Ergebnis, beim Dünsten am wenigsten Vitamine verloren gehen, ist eine banal gewordene Erkenntnis. Doch Steinhart interessierte sich dafür, welche Auswirkungen die Wahl des Kochgeschirrs hat.

    "Was noch herausgekommen ist, ist, dass metallische Gefäße eigentlich zu größeren Verlusten führen als Glasgefäße. Das können wir auch erklären, warum das so ist: Nämlich wenn man das Vitamin E in Lebensmitteln mit Metall zusammenbringt, dann wirkt das Metall als Katalysator, also als Reaktionsbeschleuniger. Und damit verliert man eben durch das Metall, das als Reaktionsbeschleuniger, in dem Fall als Zerstörungsbeschleuniger wirkt, mehr Vitamin E, als wenn man das in Glasgefäßen erwärmt."

    Interesse finden dürften die Ergebnisse seiner Arbeit laut Steinhart am ehesten bei den Herstellern vom Kochgeschirr und bei der Lebensmittelindustrie. Denn ein Topf aus hochwertigem Stahl produziert beim Kochen weniger freie Ionen und vernichtet weniger natürliches Vitamin E. Molekular-Gastronomie-Guru Hervé This präsentiert auf der Tagung beispielsweise die druckfrischen Ergebnisse einer Doktorarbeit aus seinem Pariser Labor, ein detaillierter Wälzer zum Thema Bouillon. Genauer: zu den molekularen Prozessen, die ablaufen bei der Herstellung einer Hühnerbrühe oder einer Karottenbouillon.

    "Derzeit werfen die Küchenchefs einfach ihre Karotten so ins Wasser. Keiner hat je gewusst, dass man dank bestimmter Kochtechniken Einfluss nehmen kann auf die Farbe einer Karottenbouillon, dass man den Geschmack verändern kann. Keiner wusste, dass beim Kochen der Karotte Aminosäuren und drei Zuckersorten entstehen. Die Doktorarbeit hat viele neue Erkenntnisse erbracht, dank derer man jetzt anfangen kann zu entscheiden, was genau beim Kochen herauskommen soll."

    Zwar zählt die alljährliche nationale Lebensmittelchemiker-Tagung in Deutschland weitaus mehr Teilnehmer als die derzeitige internationale Konferenz in Paris. Doch Hans Steinhart befürwortet ausdrücklich den hiesigen Austausch zwischen europäischen Wissenschaftlern:

    "Und das ist genau bei den Lebensmitteln sehr wichtig, weil, wie ja jedermann weiß, die Lebensmittel heute von Brüssel aus gesteuert werden. Und wenn die Wissenschaftler nicht zusammenkommen, um sich über wichtige Ergebnisse auszutauschen in Europa und damit möglicherweise auch Einfluss zu nehmen auf die Brüsseler Gesetzgebung, dann wäre das sehr schade."