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Forscher auf hoher See

Schon im nächsten Jahr sollen auf dem so genannten Borkumriff die ersten Windkraftanlagen im deutschen Teil der Nordsee gebaut werden. Doch bislang ist noch nicht wirklich klar, was die so genannten "Offshore"-Propeller der Umwelt antun. Wie die Meeresbewohner auf die künftigen Nachbarn reagieren, das versuchen Wissenschaftler deshalb seit drei Jahren auf einer unbemannten Forschungsplattform auf hoher See herauszubekommen. Normalerweise werden die Messdaten direkt an Land gefunkt. Doch alle paar Wochen nehmen die Forscher das Ganze höchstpersönlich in Augenschein.

Von Folkert Lenz |
    Ein lautstarker Arbeitsbeginn. Der schwere Hubschauber rollt zur Startpiste in Mariensiel bei Wilhelmshaven. In der Kabine: zwei Piloten, drei Windkrafttechniker und zwei Biologen vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut. Ihr Ziel: Die FINO-Plattform. Über die ostfriesischen Inseln geht es noch eine halbe Flugstunde hinaus auf die Nordsee. 50 Kilometer hinter Borkum: Ein blau-gelbes Gestänge, es ragt mitten aus dem Wasser. Ganz obendrauf: ein Helikopter-Landeplatz.

    Viel Platz haben die Wind- und Ökowissenschaftler nicht. Die Forschungsplattform in der Nordsee, kurz FINO: Ein Quadrat von nur 16 mal 16 Metern hat der Germanische Lloyd, Betreiber der Anlage, hier aufgepflanzt - 20 Meter hoch über dem Wasser. Das Deck ist voll gestellt mit fünf blauen Containern. Als erstes schmeißt der Ozeanograph Detlef Kindler den großen Generator an.

    Die Aufgabe von Kindler: Er wartet alle paar Wochen die Messgeräte und Sensoren. Denn FINO ist gespickt mit Technik:

    " Wir haben hier ein normales Horizontalradar, wie man das von jedem größeren Schiff kennt. Wir haben ein Vertikalradar. Das guckt nach oben. Darüber hinaus haben wir Kameras hier: Videokameras, die von Land aus gesteuert werden. Dann haben wir hier sogar eine Wärmebildkamera an Bord. "

    Alles, damit die Forscher beobachten können, wie sich die Vögel verhalten. 80 Meter hoch ragt außerdem ein rot-weißer Messmast in den Himmel. Auch hier will man - unter anderem - Erkenntnisse über Zugvögel gewinnen:

    " Wenn man den Vogelforschern glaubt, dann ist es so, dass es einzelne Nächte in diesen Zugphasen gibt, die ganz bestimmte meteorologische Bedingungen mit sich bringen: Nebel zum Beispiel. Wenn dazu auch noch Dunkelheit dazu kommt, dann kann es passieren, dass sie die Orientierung verlieren. Das ist bekannt. Und die suchen dann zum Teil Schutz hier auf der Plattform, kollidieren aber auch mit dem Mast. "

    Detlef Kindler und seine Kollegen von der Firma Windtest müssen die Kadaver dann einsammeln. Nun wollen sie heruasbekommen, ob eine andere Beleuchtung dafür sorgen kann, dass die Vögel später nicht mit den Rotoren der Windkraftanlagen zusammen stoßen.

    Die AWI-Biologin Tanja Joschko widmet sich unterdessen dem Meeresboden unter der Plattform:

    " Wir nehmen Proben in verschiedenen Abständen, um halt zu sehen, wie weit der Einfluss der Plattform auf die Meeresbodenbewohner sich auswirkt. Deswegen brauchen wir eben diese Greiferproben in definierten Abständen, damit wir das abschätzen können. "

    An einem Kranausleger lässt Tanja Joschko wieder und wieder eine Art Baggerschaufel hinab: Ganz dicht neben den Fundamenten, aber auch in 15 Meter Entfernung von dem Gerüst. Es ist ein mühsames Geschäft, den Greifer zu leeren.

    Etwas Sand, stinkenden schwarzen Schlamm, ein paar Würmer und Haufen von Muschelschalen spült die Biologin aus den Greiferhälften. Die toten Muscheln: Sie gehören eigentlich nicht hierher. Die Gezeitenströmung hat sie an den FINO-Füßen freigespült. Ist das nun gut oder schlecht?

    " Es ist immer ein bisschen schwierig für uns Ökologen, das direkt einzuschätzen. Weil die Nordsee an sich ja ein sehr dynamisches System ist und an sich vielen Veränderungen unterworfen ist, wie z.B. der Fischerei. Und das muss man halt versuchen, abzuschätzen, was jetzt positiv oder negativ ist. "

    Das versucht auch ihr Kollege Lars Gutow. Mittels einer digitalen Unterwasserkamera, die am Plattformpfeiler hinunterfahren kann, sammelt er Bilder aus der Tiefe:

    " Was man dabei sehen kann, ist: der Miesmuschelbewuchs ist mittlerweile enorm. Wir haben oben bis zu einer Wassertiefe von etwa fünf Meter einen sehr dichten Ring von Miesmuscheln, der auf die ganze Plattform hochgerechnet ein Gewicht von etwa sechs Tonnen auf die Waage bringt. "

    Das neue Leben in der Tiefe wiederum lockt zahllose Fischarten an, die hier sonst selten auftreten, haben die dreijährigen Beobachtungen ergeben. Für die Forscher drängt nun die Zeit: Ein Experimentierfeld mit mehreren 5-Megawatt starken Windkraftanlagen wird schon im nächsten Jahr in der direkten Nachbarschaft von FINO gebaut. Trotzdem: Genug für heute! Aus der Ferne mahnt schon das Dröhnen des Hubschraubers zum Aufbruch. Erst, als er verschwunden ist, kehrt wieder Stille über dem Nordseewasser ein.