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Forscher aus dem Osten

Schwerpunkt "10 plus - ein Europa". - Aus Polen stammt der wohl hervorragendste Astronom der Geschichte: Nikolaus Kopernikus. Seitdem tauchen in der Geschichte der Wissenschaft immer wieder Gelehrte aus Polen an vorderster Stelle auf: zum Beispiel Wroblewski und Olszewski, die Luftsauerstoff und Stickstoff erstmals verflüssigten oder die zweifache Nobelpreisträgerin und Entdeckerin der Radioaktivität Marie Curie-Sklodowska. Im Schwerpunkt Polen der Reihe "10+ Europa" stellt Gerd Pasch die Forschungslandschaft des Landes vor.

    Polnische Wissenschaftler trifft man überall auf der Welt. So auch an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, wo sich der Bauingenieur Adam Borkowski und der Informatiker Manfred Nagl zusammentaten, um gemeinsame Projekte zu realisieren:

    Nagl: Wir haben uns vor sechs Jahren bei mir im Dienstzimmer getroffen, Herr Borkowski und ich. Eigentlich hatte ich schon seit etwa zehn oder 15 Jahren im Kopf, dass man auch im Bereich der Architekturunterstützung, also im Hausbau, intelligente Werkzeuge einsetzen können müsste. Und da war so ein bestimmtes Bild im Kopf, und er hatte exakt das gleiche Bild im Kopf. Und da haben wir festgestellt, dass wir uns völlig auf derselben Wellenlänge befinden, und dann haben wir dieses kleine Projekt gestartet, das derzeit der im wesentlichen nur Hardwarebeschaffung der polnischen Partner vorsieht, beziehungsweise Reisekosten. Jetzt gibt es vier Teilprojekte in diesem kleinen Verbund:

    Pasch: Man muss sicher über die Prozesse in den einzelnen Teilbereichen auf dem Laufenden bleiben?

    Nagl: Eher auf der Ideenebene. Aber es gibt durchaus auch Alternativen, in dem einen Fall könnte man so verfahren oder so. Also um ein Beispiel zu nennen, man kann solche Werkzeuge so bauen, dass sie einem intelligente Vorschläge machen, oder man kann sie andererseits so bauen, dass man ganz normal arbeitet, aber immer möglichst früh Warnungen bekommt.

    Pasch: Also ist eine gewisse Infrastruktur nötig, um die Kommunikation zu organisieren. Wie sieht die aus?

    Nagl: Alle Betroffenen hier hatten mit dem Thema etwas zu tun, insofern als eine Vision vorlag. Und wir haben jetzt versucht, die Dinge, fortschrittliche Aspekte, herauszugreifen, zum Teil, wie gesagt, Alternativen, sodass man insgesamt das Gebiet "konzeptueller Entwurf im Bauingenieurwesen", das man das angeht und ein paar neue Ideen kreiert.

    Pasch: Geht das durch klassische Austauschmedien wie Konferenzen oder elektronisch?

    Nagl: Ja, natürlich, der gibt es einen regen E-Mailverkehr zwischen dem betroffenen Mitarbeitern, wir haben trotzdem ein oder zweimal im Jahr, dass wir uns physisch treffen, und dann sehen wir uns natürlich auf Konferenzen.

    Pasch: Was kann durch das Beitrittsland Polen in der Forschung angestoßen werden?

    Nagl: Zunächst, dass die Beitrittsländer etwas Frische in die europäische Gemeinschaft hinein bringen, denn es sind alles Leute, die sich anstrengen müssen, und das ist bei uns vielleicht nicht mehr ganz so stark da. Sodass da auch etwas Hefe in die bereits bestehende EU kommt, die zur Gärung führt, und dazu, dass die Sache in Bewegung bleibt.

    Geldnöte blockieren oft eine intensivere Kooperation. Deshalb empfinden die Forscher hüben wie drüben Einrichtungen wie die Alexander von Humboldt-Stiftung als große Hilfe. Im Rahmen des Sonderprogramms Roman-Herzog-Fellowship kam vor einem Monat der promovierte Chemiker Leszek Doszczak an den Lehrstuhl für organische Chemie, wo er sich vor allem mit dem Phänomen der Chiralität oder Händigkeit von in der Natur auftretenden Substanzen beschäftigen wird:

    Dosczak: Ich mache hier eine ganz normale Laborarbeit, bereite ein Projekt vor. Im Moment muss ich die Chemikalien zusammenstellen, die Riechstoffe auswählen, und die biologisch aktiven Substanzen abtrennen, die ich für das Projekt brauche. Das Labor bietet mir dazu eine gute Arbeitsmöglichkeit. Die Ausstattung ist auf dem neuesten Stand, der Arbeitsschutz ist hervorragend. Besonders interessiert bin ich an der Chemie mit natürlichen Substanzen und dabei an der asymmetrischen Synthese. Ich will ein paar Naturstoffe auf ihr Bild- und Spiegelbildverhalten untersuchen. Zurück im Polen will ich diese Arbeit fortsetzen. Durch den Beitritt zur Europäischen Union kommen dann auch hoffentlich Chemieunternehmen nach Polen, die Labors einrichten und die Forschung intensivieren.

    Institutsleiter Dieter Enders ist ganz angetan von den bisherigen Forschungen des jungen Chemikers aus Danzig. Er selbst forscht ja auch auf dem Gebiet der Bild- und Spiegelbild-Chemie. Enders demonstrierte gleich mit zwei Mentholproben, was sich dahinter verbirgt:

    Enders: Jetzt machen wir mal einen Test, ob man Bild und Spiegelbild unterscheiden kann. Ich öffne einmal die Flaschen mit dem Bildmenthol und dem Spiegelbildmenthol. Und wenn sie jetzt einmal daran riechen, dann werden Sie feststellen, beide riechen nach Pfefferminz, aber eine Sorte hat noch zusätzlich eine Kältewirkung, wie man es gerne hat in den Hustenbonbons. Also alles identisch, aber doch die Empfindung deutlich unterschiedlich.

    Seit mehr als 20 Jahren kommen Wissenschaftler aus Polen zum Austausch und für gemeinsame Projekte in die Europastadt Aachen im Dreiländereck Belgien, Niederlande und Deutschland. Wissenschaftler aus den Bereichen Mathematik, Elektrotechnik, Medizin und Bauwesen sind willkommen. Auch für den Chemiker Leszek Doszczak aus Danzig stehen die Forschungsstätten an der RWTH offen.

    Enders: in diesem Falle ist es eigentlich eine glückliche Situation, weil Herr Doszczak in einem gewissen Bereich ist, das haben wir aber nachher erst festgestellt, andererseits hat er sich für Geruchs- und Geschmackstoffe interessiert, und da weiß man, dass die einzelnen Moleküle, was Bild und Spiegelbild angeht, unterschiedlich sind. Und demzufolge sind die Parfumeure oder die entsprechenden Industriefirmen daran interessiert, dass man so genannte enantiomerenreine Riechstoffe synthetisiert. Und das ist ein Projekt, dass er unter anderem hier erarbeiten soll. Also ein Beispiel: das Bildmoleküle riecht nach Kümmel und das Spiegelbild riecht irgendwie anders. Also man kann das schon deutlich unterscheiden. Wir sind in erster Linie Chemiker, aber es ist schon interessant, die Frage, wie der Mensch diese doch in allen Einzelheiten praktisch identischen Moleküle unterscheiden kann. Man glaubt heute, dass das über das so genannte olfaktorische System geht und dass dann gewisse Rezeptoren da sind, die zwischen Bild und Spiegelbild unterscheiden können, und dass das dann letztlich zu einer anderen Geruchsempfindung führt. Oder auch beim Geschmack ist das bekannt, eine Aminosäuren schmeckt beispielsweise in der einen Form sauer in der anderen Formen süß.

    Pasch: Das zielt dann auch auf eine Zusammenarbeit zwischen polnischen Hochschulen und Industriepartnern?

    Enders: Das ist alles noch ein bisschen in der Entwicklung. Wir haben von der Hochschulseite her sehr gute Kontakte zu den polnischen Kollegen in Warschau, auch in Danzig, in Lodz. Im Übrigen hatte ich schon mal einen postdoc aus Polen, der jetzt in Bialystok an der Hochschule ist, sodass sich diese Kooperation also weiter intensiviert. Und wir hoffen, dass letztendlich dann auch das, was hier erforscht wird, dort drüben mit in die Anwendung, in die Forschung ein geht. Das wird automatisch so sein, wenn jemand hier herkommt, dass die Kontakte zu den Kollegen intensiviert werden, dass man sich näher kennenlernt, und dass man vielleicht auch einmal dort hinfährt zu Vorträgen und das immer stärker verknüpft wird.

    Zu einem Gastaufenthalt in Deutschland war Mitte der 70er Jahre der heutige Wissenschaftsminister Polens, Michal Kleiber. Er beschäftigte sich in Bochum und Stuttgart mit dem computergestützten Konstruieren in der Mechanik. An Michal Kleiber kann sich sein ehemaliger Chef, der Statistik-Professor Walter Wunderlich noch gut erinnern:

    Wunderlich: Wir haben damals schon sehr früh angefangen mit computergestützten Methoden im Ingenieurwesen zu arbeiten. Und wir haben in Bochum eine gute Mannschaft gehabt und wir haben vor allen Dingen im Bereich der Statik Methoden entwickelt. Eine typische Methode, die vielleicht auch heute vielen bekannt ist, ist die so genannte Finite-Element-Methode, die über die Berechnung von Strukturen hinaus auch zur Berechnung inzwischen von Flüssigkeiten, selbst bei Wetterbeeinflussungen und der Strömungsmechanik eingesetzt wird, und auch vielen anderen Gebieten, auch in der Biomechanik. Aber der Anfang war im Ingenieurwesen. Aber die Methodik, die wir verwendet haben, die wird übergreifend eingesetzt.

    Pasch: Was brachte Michal Kleiber mit, um in diesen Teams arbeiten?

    Wunderlich: Er hat genauso wie wir im Bereich des Ingenieurwesens gearbeitet und war in Polen auch bei der polnischen Akademie der Wissenschaften in einem Zentrum Grundlagenforschung im Ingenieurwesen tätig. Er ist dann aber sehr viel in der Welt herumgekommen, trotz des eisernen Vorhang hat Polen es geschafft, seine jungen Wissenschaftler in die Welt herauszuschicken, hauptsächlich nach Deutschland, aber auch viele in die USA. Auch Herr Kleiber ist viel herumgekommen, wie ich schon sagte, in den USA war er langjährig an der Universität von Kalifornien in Berkeley, wo ich ihn einmal getroffen habe. Dort war er auch später als Gastprofessor tätig. Er ist dann 1989, glaube ich, als Professor in Warschau tätig geworden.

    Pasch: Arbeitet er immer noch wissenschaftlich?

    Wunderlich: Er arbeitet immer noch wissenschaftlich, er ist auch Mitglied der Internationalen Association of Computermechanics und inzwischen auch Mitglied des Exekutivkomitees und er hat einen Vorsitz in der so genannten Central European Association of Computermechanics, zu der Österreich, Kroatien, Tschechien, Polen, Slowakei und Slowenien gehören. Und man trifft sich immer wieder auf Konferenzen.

    Pasch: Können Sie einschätzen, wie der Wert der polnischen Wissenschaft im Austausch mit anderen europäischen Ländern sein könnte?

    Wunderlich: Der Wert ist natürlich, dass dort gerade die Grundlagenforschung immer einen hohen Stand hatte, und auch gehalten hat. Sodass eben die Wissenschaftler, die auf dem Gebiet dieser Grundlagenforschung im Ingenieurwesen, und jetzt vor allen Dingen auch in Richtung Mechanik, Statik, immer eine sehr gute Ausbildung hatten und durchaus auch noch dazu beitragen können, jetzt in Europa hier mit den Dingen voranzubringen.

    Mit den Erinnerungen an den Wissenschaftler und polnischen Minister Kleiber schließen wir unseren heutigen Schwerpunkt in der Reihe "10 plus - ein Europa".