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Forscher entwickeln Frühwarnsystem
3D-Stadtmodell warnt vor Überschwemmungen

Das Fazit des Deutschen Wetterdienstes zu den Starkregenfällen der letzten knapp 20 Jahre: Extreme Niederschläge können überall in Deutschland auftreten, keine Gemeinde ist sicher. Hilfe könnte von Aachener Forschern kommen: Sie entwickeln ein neues Frühwarnsystem und testen ein bisher einmaliges Wetterradar.

Von Volker Mrasek | 13.01.2020
Ein Auto fährt in Oranienburg in Brandenburg über eine nach Starkregen völlig überflutete Kreuzung während Fußgänger durch das Wasser waten, aufgenommen 2017.
Wird in Aachen getestet: Ein hochgenaues Wetterradar liefert präzise Vorhersagen, wann wo und wie viel Starkregen fällt. Ein Stadtmodell berechnet betroffene Straßenzüge, mögliche Schäden. (pa/H.Treichel/dpa)
Der 29. Mai 2018 in Aachen: "Da werde ich mich wahrscheinlich noch ziemlich lange dran erinnern."
Es ist Nachmittag, kurz vor fünfzehn Uhr. Der Himmel verdunkelt sich: "Bin in die Stadt gefahren. Dann fing es auch schon richtig an zu regnen."
Innerhalb einer Stunde fallen fast 50 Millimeter Niederschlag über dem Zentrum der Stadt: "Wird nach dem Deutschen Wetterdienst als hundertjährliches Ereignis eingestuft. Ein außergewöhnliches Ereignis."
Auf dem Marktplatz, dem tiefsten Punkt, waten Anwohner durch knietiefes Wasser, ganze Straßenzüge sind überflutet: "Ich weiß, dass ungefähr 400 Notrufe bei der Feuerwehr eingegangen sind, sprich: Es sind schon einige Keller vollgelaufen. Ich habe mit vielen Bürgern auch gesprochen. Die sagten mir: 'Woher soll das Wasser kommen? Wir haben doch gar keinen Bach!'"
Frühwarnsystem für Extremniederschläge
Julian Hofmann radelte damals nicht zufällig ins Zentrum. Der Bau-Ingenieur von der RWTH Aachen tüftelt an einem neuen Unwetter-Frühwarnsystem für die Stadt. Gleichzeitig soll die Vorhersage von Extremniederschlägen vor Ort verbessert werden. Daran arbeiten zwei Aachener Firmen in einem Forschungsprojekt, das von der Bundesregierung gefördert wird: der Wetterradar-Hersteller Gamic und die Kisters AG, ein Anbieter von IT-Lösungen auf diesem Gebiet.
Hofmann und seine Mitstreiter hoffen, dass es künftig möglich sein wird, viel präziser vor Extremniederschlägen und Überschwemmungen zu warnen – dank genauerer 3D-Modelle des Stadtgebietes:
"Diese haben eine Auflösung von einem Quadratmeter, manchmal sogar noch genauer, das heißt ich kann genau sagen, wo welche Gebäude betroffen sind und welche Straßen wie hoch unter Wasser stehen."
Auf dem Aachener Wasserbau-Symposium wurde das Konzept jetzt detaillierter vorgestellt. Holger Schüttrumpf, Tagungsleiter und Professor für Wasserbau an der RWTH Aachen:
"Soweit ich das überblicke, hat das schon Modellcharakter. Auch aufgrund der Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen haben wir in Aachen schon die Möglichkeit, etwas ganz Besonderes hier zu erarbeiten."
Berechnung betroffener Straßenzüge und möglicher Schäden
Die Prozesskette im Fall einer Warnung läuft so: Zunächst liefert ein Wetterradar präzise Vorhersagen darüber, wann wo wie viel Starkregen fällt. Die Daten fließen in ein hydrodynamisches Stadtmodell. Es ermittelt, wie stark betroffene Straßenzüge überschwemmt sein werden. Dann noch die Berechnung möglicher Schäden. Dafür setzt Julian Hofmann ein neuronales Netzwerk ein, trainiert mit allen möglichen denkbaren Pegelständen in praktisch jeder gefährdeten Ecke der Stadt. Am Ende werden die Informationen so aufbereitet, dass die Feuerwehr etwas damit anfangen kann:
"Zum Beispiel ein Krankenhaus wird innerhalb der nächsten Stunde unter Wasser stehen. Oder zum Beispiel Unterführungen: Ich stell‘ mir da ein Ampelsystem vor, was man installieren könnte. Dass man da einfach auf Rot schaltet, und da darf kein Mensch mehr rein. Es passiert sehr häufig, dass die Menschen trotz des Wassers in solche Unterführungen reingehen. Im schlimmsten Fall droht Ertrinken."
Hochauflösendes Gerät ab Herbst im Praxistest
Spannend am Aachener Konzept ist auch, was im Herbst passieren soll. Die Firma Kisters will dann ein Wetter-Radarsystem installieren, wie es das Militär und Flughäfen nutzen - auf dem Dach eines Büro-Neubaus südöstlich von Aachen. Das Gerät arbeitet im sogenannten X-Band und ist viel empfindlicher als das Regenradar des Deutschen Wetterdienstes mit einer räumlichen Auflösung von einem Quadratkilometer. Kisters-Experte Michael Natschke:
"Sie müssen sich vorstellen, dass das Radar eine räumliche Auflösung von 25 mal 25 Metern erreicht, dass man eben die Starkniederschlagszellen noch besser lokalisieren kann. Und wir vermuten und hoffen doch, dass die höhere Auflösung halt auch zu lokal eindeutigeren Ergebnissen führt. Das gibt es bis jetzt noch nicht in Deutschland. Allerdings gibt es noch weitere Projekte in Dänemark, auch mit so einem Radar."
Aachener Test könnte zur Blaupause werden
Das neue Frühwarnsystem für Starkregen und das hochgenaue Wetterradar – beides sind fürs Erste Forschungsprojekte. Und beide benötigen noch eine längere Testphase. Aber sollte sich das Konzept bewähren, könnte Aachen zur Blaupause werden für künftige städtische und kommunale Frühwarnsysteme dieser Art.
Es ist noch nicht lange her, da analysierte der Deutsche Wetterdienst die Starkregenfälle der letzten knapp 20 Jahre. Das Fazit der Meteorologen: Extremniederschläge können überall in Deutschland auftreten, keine Gemeinde ist sicher!