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Forscher über Brettspiele
Unternehmen können von Gesellschaftsspielen profitieren

Zufall, Zeitlimit, Niederlage: Nürnberger Forscher haben anhand Tausender digitaler Anleitungen ein Periodensystem für Spieleelemente erstellt, die für den Erfolg eines Spiels verantwortlich sind. Davon könnten nicht nur Spieleentwickler, sondern auch Unternehmen profitieren, sagte Projektleiter Thomas Voit im Dlf.

Thomas Voit im Gespräch mit Arndt Reuning | 24.10.2019
Ein selbstgebautes "Mensch ärgere Dich nicht!" Brettspiel von 1950 ist am 25.06.2015 im Spielzeugmuseum in Nürnberg (Bayern) zu sehen.
Vor 1980 spielten Siegpunkte in der Brettspielwelt unr eine untergeordnete Rolle, sagte der Spiele-Forscher Thomas Voit im Dlf (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)
Arndt Reuning: In Essen trifft sich zur Zeit die Szene der Gesellschaftsspieler - auf den internationalen Spieletagen. Auf der Messe werden in diesem Jahr rund 1.700 Neuerscheinungen aus dem Bereich der Brett-, Karten- und Rollenspiele präsentiert.
Und jemand, der sich wissenschaftlich mit den Formen des analogen Spielens befasst, ist der Wirtschaftsinformatiker Thomas Voit, Professor an der Technischen Hochschule Nürnberg. Er will herausfinden, was den Reiz eines Spieles ausmacht. Dazu versucht er, eine Art Periodensystem der Spielelemente zu erstellen. Also ein geordnetes Verzeichnis aller Mechanismen, die Spieleautoren immer wieder neu kombinieren, um damit motivierende Spielideen zu erschaffen. Vor der Sendung hat er mir verraten, wie das funktioniert.
Thomas Voit: Methodisch gehen wir da vor, dass wir natürlich ganz viele Spiele erst mal spielen müssen in dem Projekt – das machen unsere Studierenden an der Hochschule auch immer ganz gern, und dann überlegen wir, was kommt in den Spielen dann immer wieder vor. Dann formulieren wir unsere ersten Hypothesen über solche wiederkehrenden Muster oder Elemente, wie wir es ja auch nennen, und dann im nächsten Schritt übergeben wir diese Hypothesen dem Computer.
Und dann geht eigentlich der spannende Teil für den Informatiker los, weil wir eben da mit dem Deutschen Spielearchiv in Nürnberg zusammenarbeiten und das Glück haben, dort Tausende Brettspielanleitungen in digitaler Form analysieren zu können. Das heißt, der Kollege Computer übernimmt dann und versucht, diese Spieleelemente in den Textspielanleitungen der Tausenden von Spielen sichtbar zu machen und uns da eben zu helfen, zu verstehen, wie oft werden dann diese Elemente tatsächlich in den Spielen verwendet von den Spieleautoren und mit welch anderen Elementen werden sie zu sogenannten Spielmolekülen auch zusammengesetzt.
"So gut wie kein Spiel kommt ohne den Zufall aus"
Reuning: Ja, und welche Elemente könnten das denn zum Beispiel sein, welche haben Sie da schon für Ihr Periodensystem identifiziert?
Voit: Eines der allerersten Elemente, die wir unter die Lupe genommen haben, war natürlich das Element Zufall, denn so gut wie kein Spiel kommt eigentlich ohne den Zufall aus. Und tatsächlich haben wir dann gemerkt, das ist eigentlich relativ witzlos, nur den Zufall zu betrachten, wir müssen den Zufall weiter differenzieren. Dann spalten wir dieses Element eben weiter auf in seine Bestandteile, und dann gehen wir her und sagen, jawohl, der Zufall wird zum Beispiel am Anfang des Spiels hergestellt, indem man zum Beispiel Karten mischt.
Oder dann gibt es andere Spiele, da wird der Zufall live im Spiel durch den Spieler hergestellt, indem er zum Beispiel würfelt. Und neben diesem Element Zufall haben wir noch über 100 andere Elemente mittlerweile gefunden. Das ist so was wie, dass Sie ein Zeitlimit haben, dass Sie eine Verlierbedingung haben, auch eine Siegbedingung haben in dem Spiel. Da gibt es ganz viele Elemente, wie das Sammeln, die aber immer wieder auf neue Art und Weise und sehr, sehr kreativ von den Spieleentwicklern miteinander kombiniert werden.
Ein Spielbrett des Spiels Monopoly mit dem Startfeld "Los!".
Durch das Würfeln stellen die Spieler live im Spiel einen Zufall her (imago / ecomediea / Robert Fishman)
Reuning: Und können Sie da schon erste Trends feststellen, auf welche Weise die kombiniert werden und vielleicht in welcher zeitlichen Abfolge? Also gibt es da eine gewisse Entwicklung auch im Laufe der Jahrzehnte?
Voit: Ja, weil wir eben wie gesagt diese Spielanleitungen in digitaler Form durchsuchen können mit einer Volltextsuche. Und wenn wir dann diese ganzen Spielanleitungen auch durchsuchen, stellen wir zum Beispiel fest, dass so ein Spielelement, was ganz prominent in den heutigen Spielen ist, wie zum Beispiel Siegpunkte – also wer hat am Ende die meisten Punkte, der hat gewonnen. Wenn Sie da nach dem Wort Punkte alleine schon suchen in den Textspielanleitungen, dann stellen Sie fest, dass in den älteren Spielen – und mit älter meine ich jetzt, sag ich mal, Spiele vor 1980 – das Wort Punkte nur als Würfelpunkte meist verwendet wird und unsere Verwendung von Siegpunkten zum Beispiel dann doch eher neueren Datums ist.
Reuning: Wer könnte denn profitieren von Ihren Ergebnissen?
Voit: Na ja, zum einen natürlich die Spieleentwickler selbst, weil sie mithilfe unserer Forschungsergebnisse erst mal mitbekommen, was alles schon von anderen Spieleentwicklern mal ausprobiert worden ist. Das heißt, es entsteht hier so eine Art Landkarte der schon ausprobierten Trampelpfade in der Spieleentwicklung, und die Spieleentwickler selber können dann auch sehen, wo ist denn noch das Neuland, was wurde noch nicht kombiniert, wo kann ich noch was Neues ausprobieren.
Was aber ein ganz anderer Zweig auch ist, ist das Thema Gamification, eben die Übertragung von solchen Spielelementen in einen spielfremden Kontext. Und dort interessiert uns zum Beispiel das Paradox, wie schaffen es Spiele, uns mit lauter Regeln, also Verboten und Geboten, was dürfen wir, was dürfen wir nicht, zu knebeln, und trotzdem machen uns diese Spiele Spaß. Wenn wir das versuchen zu verstehen und irgendwann auch verstanden haben, können wir eben auch viel besser Arbeitsbedingungen in Unternehmen, in Betrieben, aber auch im Kulturkontext zum Beispiel motivierender gestalten.
Voit: Projekt hat mich "die Demut vor der Kreativität der Spieleentwickler" gelehrt
Reuning: Ja, und wenn Sie wissen, welche Faktoren ein Spiel zum Verkaufsschlager machen, also welche besonders motivieren, welche besonders anspornen, wäre es denn dann auch möglich, mithilfe Ihrer Ergebnisse einen Brettspiel-Bestseller sozusagen am Reißbrett zu konstruieren?
Voit: Das wäre eine Utopie, die natürlich sehr reizvoll ist, aber ich glaube, dass das ein Holzweg ist, der uns auch komplett in die Irre führen würde, denn wenn mich eines dieses Projektes lang gelehrt hat in den letzten drei Jahren, dann ist es die Demut vor der Kreativität der Spieleentwickler. Was man nie vergessen darf: Wir blicken mit unseren Forschungsmethoden, das maschinelle Lernen zum Beispiel, immer mit der Datenanalyse in die Vergangenheit, aber die Spieleentwickler sind diejenigen, die mit ihrer Kreativität eben nach vorne blicken, auf das, was noch nicht ausprobiert worden ist.
Das heißt, wir können zwar in die Rückschau gehen und sagen, was hat gut funktioniert und was nicht, aber ich glaube, dass in dieser fruchtbaren Verbindung zwischen der menschlichen Kreativität der Spieleautoren und der guten Analyse von dem, was schon gemacht worden ist, dass da tatsächlich was Gutes rauskommen kann. Aber alleine, glaube ich, basierend auf den Analyseergebnissen, da bin ich sehr skeptisch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.