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Labor-Klangwelten für bessere Hörgeräte

In der U-Bahn, beim Autofahren oder im Restaurant: Fast immer sind wir von unterschiedlichen Hintergrundgeräuschen umgeben. Für Menschen, die auf Hörgeräte angewiesen sind, wird das schnell zum Problem. Die TU München versucht daher, Hörhilfen unter realistischen Bedingungen zu testen - und so zu verbessern.

Von Claudia Doyle | 27.12.2017
    Ein Mitarbeiter hält am 19.12.2014 bei einem Hörgeräteakustiker in Stuttgart zur Demonstration ein Hörgerät vor sein Ohr.
    Schwerhörige hätten häufig das Problem, dass sie - wenn sie mehrere Schallquellen haben - diese nur sehr schwer trennen können, meint Bernhard Seeber, Professor für Audio-Signalverarbeitung (dpa / Bernd Weißbrod)
    "Es ist also sehr hallig. Und wir gehen jetzt gleich in einen Raum, der ist genau das Gegenteil dazu, nämlich ganz reflektionsarm. Der Hall, die Reflektionen, sind dann dort weg, da kann ich dann dasselbe machen und da hören Sie den Unterschied."
    Bernhard Seeber ist Professor für Audio-Signalverarbeitung an der TU München. Im Treppenhaus, das zu seinem Büro führt, demonstriert er wie es klingt, wenn ein Raum sehr hallig ist. Das Gegenteil davon, also ein reflektionsarmer Raum, liegt nur wenige Schritte entfernt. Hier erforschen er und seine Mitarbeiter, wie sich Hörgeräte und Cochlea-Implantate verbessern lassen.
    "Jetzt sind hier gerade akustische Messungen, hier ist ein großes Chaos."
    Seeber schickt seine Mitarbeiter nach draußen und schließt die fast einen Meter dicke Tür des Raumes. Dann herrscht Stille.
    Testraum mit sechzig Lautsprechern
    "Wir hatten vorhin den Test gemacht im Treppenhaus, da hatte ich in die Hände geklatscht und sie haben den Hall gehört, jetzt mache ich das hier nochmal [klatscht] und sie merken, es ist absolut trocken, akustisch trocken, sie hören den Hall nicht. Es ist eben reflektionsarm."
    Der Raum ist etwa so groß wie ein Klassenzimmer. 85 Zentimeter lange Keile aus Mineralfaser bedecken Boden, Decke und Wände.
    "Wenn Sie nach unten schauen, werden Sie sehen, dass hier an allen sechs Seiten Keile sind, und diese Keile absorbieren den Schall und die sind eben auch auf dem Fußboden, damit sie keine Reflexion des Schalls auf dem Fußboden haben."
    Damit man den Raum trotzdem betreten und darin herumlaufen kann, ist über die Keile auf dem Fußboden ein festes Netz gespannt. In dem Raum befindet sich ein Kreis aus sechzig Lautsprechern. Damit kann der Wissenschaftler Klanglandschaften detailgetreu nachbilden. Wer sich auf den einzigen Stuhl in der Mitte der Lautsprecher setzt und die Augen schließt, den kann Seeber rein akustisch zum Beispiel auf den U-Bahnsteig am Königsplatz versetzen.
    Das Problem mehrerer Schallquellen
    Mit Hilfe solcher Szenarien erforscht Seeber, wie man das selektive Hören und das Richtungshören von Hörgeräten verbessern könnte.
    "Also mit Schwerhörigkeit haben sie das Problem, dass sie, wenn sie mehrere Schallquellen haben, dass sie das nur sehr schwer trennen können. Was weiß ich, in einem Restaurant mit Hintergrundschall, oder sich in dem Lärm der U-Bahn noch unterhalten wollen, dann wird es extrem schwierig. Und das zu verbessern würde den Menschen sehr helfen, wenn wir das schaffen."
    Realistische Bedingungen
    Bisher bestehen akustische Szenen im Labor meist aus einer Schallquelle von vorne und Rauschen von der Seite. Bernhard Seeber aber will Hörgeräte unter realistischen Bedingungen testen. Dafür muss er die Geräusche zunächst einfangen, so detailgetreu wie möglich. Deshalb haben er und seine Mitarbeiter ein portables Mikrofonarray entwickelt.
    "Da sehen sie hier einen Zylinder und in diesem Zylinder sind 36 Mikrofone eingelassen. Ihr Mikrofon ist wahrscheinlich nur eins oder zwei Mikrofone, ein Stereomikrofon, und wir haben halt hier alle zehn Grad ein Mikrofon."
    Mit diesem Zylinder ist der Physiker losgezogen und hat akustisch vielfältige Landschaften in München aufgenommen. An Straßenecken, im englischen Garten und in Restaurants. Jetzt erforscht er, wie er aus diesen natürlichen Szenen optimale Testbedingungen für die Forschung kreieren kann. Beispielsweise ließen sich in Aufnahmen aus einem Restaurant gezielt Sprecher einfügen, deren Sprache der Proband verstehen soll.
    Die Feinheiten des Hörens besser erforschen
    Ganz besonders interessieren Bernhard Seeber dynamische Szenen bei denen die Schallquellen und der Zuhörer sich bewegen.

    "Das ist ja das, was auch um uns herum ständig passiert. Wir stellen uns darauf ein, wie die Akustik um uns herum ist, wir drehen uns weg von störenden Quellen und wir schauen dem anderen auf die Lippen, um ihn besser zu verstehen, sogenanntes Lippenlesen. All diese Sachen haben noch nicht so wirklich Einzug gehalten in die Forschung und genau daran arbeiten wir gerade."
    Um all diese Feinheiten des Hörens in Zukunft besser erforschen zu können, plant Bernhard Seeber, den Raum in Zukunft auch mit Videoprojektionen auszustatten.