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Forschung zum Begreifen

Informationstechnologie. - Der Wirbel um "Second Life", die Parallelwelt im Internet hat sich gelegt. Doch das Konzept der Avatare ist damit aber noch lange nicht ad acta gelegt. In der Wissenschaft finden die künstlichen Wesen eine neue Heimat.

Von Jan Rähm | 28.11.2008
    Bunte Kugeln reihen sich auf einer Linie wie Perlen auf einer Schnur. Erst entfernen sie sich voneinander, dann kommen sie wieder zusammen.

    "Man sieht da jetzt so ein recht einfaches Polypeptid. Das besteht aus drei Aminosäuren und die fangen dann auch an sich zu falten. Also man hat gerade gesehen, dass das aufgefaltet war und sich dann zusammengefaltet hat."

    Uwe Kamper – Student der Bioinformatik an der Freien Universität Berlin – steht vor einem mannshohen Modell einer Aminosäureverbindung – einem Polypeptid. Er beobachtet, wie sich das Modell zusammen- und wieder auseinanderfaltet. Wenn er möchte, kann er um das Modell herumgehen, es anfassen oder drehen.

    "Wir sehen im Prinzip ein Molekül dargestellt als Modell aus Kugeln, die durch Stäbe verbunden sind, wie man das aus dem Chemie-Unterricht kennt, so als Atombaukasten."

    Der Student sieht hier, was in der Natur viel zu klein ist, um es zu betrachten. Denn der Student und das Polypeptid sind nicht in einem realen Büro oder einer Ausstellung. Beide stehen vielmehr in einem virtuellem Raum – dem virtuellen Forschungsinstitut Matheon. Projektbetreuer Tim Conrad sitzt vor einem Computerbildschirm. Von hier aus führt er nun durch diese virtuelle Welt.

    "Hier ist jetzt unser Avatar, der durch diese Welt rüber läuft. Und jetzt gehen wir in den zweiten Raum rein."

    Dort hängt das Modell eines Würfels an der Zimmerdecke. Dieses Modell besteht wie schon das Molekül aus kleinen Kugeln, die über Stäbchen miteinander verbunden sind. Dann ein Tastenklick. Der Würfel fällt herunter. Beim Aufschlag auf dem Boden verformt er sich so, wie er sich auch in der Realität verformt hätte. Tim Conrad schaut gespannt zu – als Avatar. Ein Avatar ist das digitales Abbild unserer Selbst. Der Betrachter kann ihn anpassen und gestalten, wie es ihm gefällt – oder, wie er sich selbst gerne sehen würde. Conrad:

    "Und da ist er schön in groß zu sehen, mit allem drum und dran. Kann ich verändern die Form, die Gesichtsform und die Haarfarbe und so weiter und so fort."

    Das echte Matheon steht in Berlin. Im virtuellen Ableger des Forschungszentrums für Mathematik wollen die Wissenschaftler ihre Ergebnisse anschaulich präsentieren. Avatare sind dafür sehr gut geeignet. Conrad:

    "Dadurch dass ich eben einen Avatar mit mir identifiziere in dieser Welt, habe ich das Gefühl, oder es ist in vielen Studien nachgewiesen worden, dass es eben auch in dieser echten Welt, in der ich eigentlich lebe, verfügbar sein und spürbar und erlebbar sein könnte. Das macht es interessant. Denn jetzt kann ich eben zwischen diesen Welten hin und her springen und mir tatsächlich Eigenschaften angucken in beiden Welten. Und wenn sie sich ebenso verhalten diese Objekte, wie ich es gewohnt bin und erwarte, fang ich an das ganze zu begreifen und fange an einfacher diesen Zugang zu schaffen."