Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Forschung zum Klimawandel
"In Nordwesteuropa werden die Hochwässer zunehmen"

Eine aktuelle Studie beweist erstmals, dass sich der Klimawandel auf die Häufigkeit von Hochwässern in Europa auswirkt. Da gebe es ganz klare Trends, sagte der Hydrologe Günter Blöschl im Dlf. Nordwesteuropa müsse sich auf mehr Niederschlag, Südeuropa hingegen auf Wassermangel einstellen.

Günter Blöschl im Gespräch mit Ralf Krauter | 29.08.2019
Bielefeld: Wasser steht nach starken Regenfällen auf einer gesperrten Straße.
Während es in Südeuropa zukünftig Wassermangel geben wird, muss der Norwesten mit Überschwemmungen rechnen (dpa/Christian Mathiesen)
Ralf Krauter: Flüsse, die über die Ufer treten, und Städte und ganze Landstriche überschwemmen, verursachen weltweit immense Kosten, die Experten auf über 100 Millionen US-Dollar pro Jahr beziffern. Und der Klimawandel dürfte das Problem noch verschärfen, befürchten die Fachleute. Bislang waren das nur Vermutungen. Doch für Europa liegen nun erstmals belastbare Zahlen vor - dank einer umfassenden Analyse, publiziert heute im Fachmagazin Nature. Hauptautor der Studie ist Professor Günter Blöschl, vom Institut für Wasserbau und Ingenieurhydrologie der Technischen Universität Wien. Er hat untersucht, wie sich Häufigkeit und Ausmaß von Hochwasserereignissen in Europa von 1960 bis 2010 verändert haben. Ich habe ihn vorhin gefragt: Auf welche Daten haben Sie zurückgegriffen?
Günter Blöschl: Wir haben Daten verwendet von Abflussmessstellen. Das sind Messstationen an den Flüssen in Europa, die den Wasserstand messen. Zusätzlich wird die Geschwindigkeit des Wassers im Fluss gemessen, und daraus kann man berechnen, wie groß die Wassermenge pro Sekunde ist, die an dieser Stelle durch den Fluss fließt. Solche Messstationen haben wir ausgewertet, mehrere tausend in Europa, und dann haben wir die größten Durchflüsse in jedem Jahr herausgesucht. Dieser Datensatz ist einmalig. Es hat noch nie eine Studie so viele Hochwasserdaten ausgewertet. Und dadurch ist es uns möglich, auch Hochwasseränderungen zu sehen, die von anderen Studien noch nicht gesehen werden konnten.
Krauter: Sie haben Daten aus 50 Jahren zu Rate gezogen, also für den Zeitraum 1960 bis 2010. Welche Trends zeichnen sich in diesen Daten ab?
Blöschl: Das bemerkenswerte Ergebnis ist, dass wir in der Tat sehr deutliche Trends der Hochwasserereignisse in Europa sehen. Wir sehen, dass im Nordwesten Europas die Hochwässer stark zugenommen haben, sie sind häufiger geworden und größer geworden. Im Osten Europas sind die Hochwässer kleiner geworden. Und im Mittelmeerraum sind die Hochwässer in großen Flüssen, in großen Gebieten auch kleiner geworden. Das ist das Erstaunliche, dass wir eigentlich sehr klar definierte Trends sehen in Europa.
Die Grenze zwischen der Zunahme der Hochwässer im Nordwesten und der Abnahme im Süden ist der Alpenhauptkamm. Beispielsweise sieht man in Österreich, dass nördlich des Alpenhauptkamms, beispielsweise im Bundesland Salzburg, Oberösterreich, die Hochwässer zugenommen haben, währenddessen südlich des Alpenhauptkammes, Kärnten, Steiermark, die Hochwässer eher abgenommen haben oder sich kaum geändert haben.
"Im Winter regnet es mehr und intensiver"
Krauter: Was sind die Ursachen für diese Veränderungen der Häufigkeit, regionaler Überschwemmungen längs von Flussläufen. Verraten das die Daten auch?
Blöschl: Wir haben nicht nur die Hochwasserdaten angeschaut, sondern auch Klimadaten wie Lufttemperatur, Niederschlag, Schneeschmelze, Bodenfeuchte. Diese Daten lassen auch einen klaren Schluss darauf zu, was die Ursachen der Änderungen sind. Die Zunahme der Hochwässer im Nordwesten Europas lässt sich darauf zurückführen, dass es mehr und intensiver im Winter regnet. Die Tiefdrucksysteme, die von Nordamerika über den Atlantik nach Europa wandern, sind jetzt statistisch gesehen mehr im Norden als früher. Dadurch empfängt Nordwesteuropa mehr Niederschlag, Südeuropa empfängt weniger Niederschlag.
Zudem sind diese Tiefdrucksysteme auch langsamer als früher. Das sind sogenannte Blockungssituationen, dass die Niederschlagssysteme langsamer über Europa wandern. Dadurch regnet es im gleichen Einzugsgebiet länger und die Hochwasser werden größer. Wir können also die Zunahme der Hochwässer sehr gut durch das veränderte Klimasystem erklären.
In Südeuropa hingegen nehmen die Hochwässer an den großen Flüssen nicht zu, die nehmen ab. Das hängt damit zusammen, dass es weniger Niederschlag gibt im Winter, weil diese Tiefdrucksysteme weiter im Norden sind und weniger im Süden, das hängt auch mit der Vergrößerung der sogenannten Hadley cell zusammen. Die Hadley-Zelle ist ein Zirkulationssystem des Klimas, die für die Sahara verantwortlich ist. Und man könnte sagen, die Sahara wird etwas größer, und der Mittelmeerraum hat mit Trockenheit zu kämpfen zunehmend durch den Klimawandel, was aber auch heißt, dass die Hochwässer kleiner werden.
In Osteuropa hingegen sind die Hochwässer stark durch die Schneeschmelze beeinflusst, einerseits Schneehochwässer durch das Abschmelzen des Schnees im Frühjahr, andererseits wenn es auf die Schneedecke regnet. Durch die höheren Lufttemperaturen haben wir jetzt geringere Schneedecken, weniger Schnee in Osteuropa. Dadurch sind die Hochwässer kleiner geworden.
Krauter: Nun haben wir diesen Zusammenhang, der Klimawandel führt in manchen Regionen - zum Beispiel in Südeuropa - zu weniger Niederschlägen, andernorts aber dazu, dass Stürme und Starkregen zunehmen werden - zum Beispiel in Nordeuropa - schon öfter gehört. Ihre Analysen belegen diese These jetzt. Kann man das so sagen?
Blöschl: Die Analysen belegen die These, dass in Nordwesteuropa die Hochwässer zunehmen, weil die Stürme und die Niederschläge stärker werden. Aber man hat früher auch oft geglaubt, dass überall in Europa die Hochwässer größer werden. Und das ist nicht der Fall. Sondern in manchen Teilen Europas sind die Hochwässer auch kleiner. Das ist neu. Das haben viele Leute noch nicht so sehr auf dem Radar gehabt.
"Die Studie zeigt, dass der Klimawandel dafür verantwortlich ist"
Krauter: Und wir sehen da wirklich schon den Klimawandel in Aktion?
Blöschl: Die Studie zeigt, dass der Klimawandel dafür verantwortlich ist, weil wir die Änderungen der Hochwässerzunahme und -abnahme sehr gut auf Niederschlag, auf Änderungen in der Lufttemperatur, auf Veränderungen der Bodenfeuchte zurückführen können. Wir haben detaillierte Analysen in der Studie gemacht, die das eindeutig belegen.
Krauter: Welche praktischen Folgerungen sollten denn jetzt Städteplaner und Wasserbauingenieure aus Ihren Befunden ziehen?
Blöschl: Die praktischen Folgerungen der Studie sind, dass beim Hochwassermanagement diese Änderungen in den Hochwässern oder Hochwasserwahrscheinlichkeiten berücksichtigt werden müssen. In Nordwesteuropa muss man zunehmend damit rechnen, dass die Hochwässer größer werden, auch in der Zukunft. Es ist zu erwarten, dass sich die Trends der Vergangenheit auch in der Zukunft fortsetzen. Und die Hochwasserschutzsysteme müssen dann stärker ausgelegt werden, das heißt größer gebaut werden, Hochwasserrückhaltebecken größer gebaut werden, Hochwasserschutzzonen größer angelegt werden. Währenddessen in Osteuropa zum Beispiel kann man solche Schutzsysteme wirtschaftlich auslegen. Das sind dann geringere Kosten.
"In Südeuropa muss man sich auf Wassermangel einstellen"
Krauter: Und in Südeuropa müsste man sich auf notorischen Wassermangel einstellen.?
Blöschl: In Südeuropa muss man sich auf Wassermangel einstellen. Da ist die Situation insofern differenziert, weil unsere Studie gezeigt hat, dass in den großen Flüssen, die Ebro oder Po, die Hochwässer zurückgehen. Aber für kleine Flüsse oder Bäche in kleinen Gebieten, da haben wir keine Daten. Die Daten sind für Gebiete größer als 100 Quadratkilometer, und für die kleinen Gebiete würde ich nicht annehmen, dass die Hochwässer kleiner werden, sondern eher größer werden wegen der stärkeren Gewittertätigkeit und auch wegen Landnutzungsänderungen, die vor allem in kleinen Gebieten einen Einfluss haben und in großen Gebieten kaum einen Einfluss haben.
Krauter: Also ein durchaus differenziertes Bild, aber die klare Botschaft: Der Klimawandel beeinflusst heute schon, wo und wann in Europa Hochwässer auftreten und in welchem Ausmaß sie uns beschäftigen werden.
Blöschl: Es ist die erste Studie, die tatsächlich mit Messungen nachgewiesen haben, dass der Klimawandel Hochwässer beeinflusst. Vorgehende Studien waren Modellrechnungen, wo man das angenommen hat. Aber das ist die erste, die das tatsächlich mit Messungen zeigt: Ja, der Klimawandel beeinflusst die Hochwässer.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.