Wer bestimmt eigentlich, was wichtig ist für eine Gesellschaft - die Politik, die Bürger, das Wissenschaftssystem oder alle zusammen?
"Natürlich hat die Wissenschaft eine gesellschaftliche Verpflichtung, dafür wird sie ja von der Gesellschaft alimentiert. Wissenschaft wird für alle gesellschaftlichen Bereiche, sei es für Recht, sei es Politik, sei es Wirtschaft, sei es Erziehung, immer wichtiger. Das heißt Politik ist in gewisser Weise von Wissenschaft abhängig gewor-den, so wie Wissenschaft umgekehrt abhängig immer schon gewesen ist, mindes-tens hinsichtlich der Finanzierung von der Politik,"
stellt Dr. Wolfgang Rohe fest. Er ist Leiter des Kompetenzzentrums Wissenschaft in der Stiftung Mercator. Sie ermöglicht jetzt der Universität Bonn den Start eines neuen Forschungsprogramms und finanziert ihr die ersten fünf Jahre einer Pro-fessur und einer Nachwuchsforschergruppe. Es geht um große Probleme wie Klimawandel, Demografie, Kernenergie oder epidemische Krankheiten wie Aids, genauer darum, wie sie als Thema entdeckt, erforscht und bearbeitet werden, erklärt David Kaldewey, der als Juniorprofessor die Forschergruppe leitet.
"Uns interessiert, wie diese großen Probleme auf die Agenda kommen, wo die herkommen. Die tauchen ja nicht aus dem Nichts auf. Die Idee, dass die objektiv gegeben sind, ist natürlich schnell problematisch. Wenn wir keine Klimaforschung hätten, dann wüssten wir auch nichts vom Klimawandel. Dann hätten wir vielleicht zwischendurch mal einen heißen Sommer, würden uns darüber freuen, würden uns aber nicht diese großen Gedanken dazu machen."
Beim Klimawandel ist die Urheberschaft eindeutig: Die Wissenschaftler haben das Thema aufgeworfen. Das Bonner Forschungsteam interessiert sich allerdings weni-ger für die Urheberschaft als solche. Es geht ihr vielmehr darum, wie Themen in der politischen Agenda durchgesetzt werden, also um die Kommunikation von Proble-men und die Schnittstellen von Politik und Wissenschaft.
"Wenn man an großen Problemen mal aufzeigen kann, wie da die Interaktion von Wissenschaft und Gesellschaft funktioniert, kann das hilfreiches Grundlagenwissen darüber sein, wie man mit anderen gesellschaftlichen Problemen umgeht. Um eben, und das ist vielleicht die politische Relevanz des Projektes, so simplifizierende Modelle zu vermeiden, die teilweise verwendet werden, dass die Wissenschaftspolitik manchmal denkt, sie wüsste, was die Probleme sind und sie müsste jetzt nur die Wissenschaft davon überzeugen, die zu bearbeiten."
Zwischen Elfenbeinturm und Wunschkonzert sitzt die Wissenschaft heute auf ihrem Posten. Grundlagenforschung und angewandte Forschung sind dabei längst zu zwei Seiten einer Medaille geworden – und die heißt Fortschritt und Entwicklung. Die Europäische Union beispielsweise hat gerade ihr Forschungsrahmenprogramm bis 2020 verabschiedet. Über 52 Prozent der Gelder gehen in Exzellenzforschung und Technologie-Entwicklung, 38 Prozent steckt die EU in soziale Themen wie Gesundheit und Demografie. Doch woher die einzelnen Themen kommen, die jetzt für die nächsten sieben Jahre mit rund 87 Milliarden Euro gefördert werden sollen, weiß keiner so genau, meint David Kaldewey.
"Die EU behauptet, dass das die Themen sind, die die Bürger immer wieder be-schäftigen. Aber der Prozess ist nicht durchsichtig. Und es fällt auf, dass große The-men wie Armut oder Arbeitslosigkeit sind da kaum vertreten. Das ist wissenschaftspolitisch wenig interessant, weil es wenig mit Technologie zu tun hat. Aber wenn man jetzt ernsthaft erwartet, wir erforschen das, was den Menschen in der EU tatsächlich Sorgen bereitet, dann würde man andere Themen erwarten."
Viele Eltern und Schülern verstehen beispielsweise nicht, warum seit den ersten PISA-Studien schulische Leistungsparameter die einzigen Kriterien erfolgreicher Bildung sein sollen. Dem Erfahrungswissen entspricht das nicht. Die Bildungswissenschaft und –politik hat sich aber genau darauf verständigt. Allerdings ist Bildungsforschung sowieso nachrangig. Für die Politik ist Wissenschaftsförderung in erster Linie Technologieförderung. Sie zahlt sich, so die Hoffnung, irgendwann in barer Münze aus. Die Forschung hingegen folgt einer eigenen Logik, erklärt Wolfgang Rohe von der Mercator Stiftung. Er hat viele Jahre für die Deutsche Forschungsgemeinschaft über die Finanzierung von Projekten mit entschieden.
" Die Kunst der Wissenschaft ist natürlich etwas zu liefern, was die Politik nicht bestellt hat, was eigentlich niemand bestellt hat. Wo aber plötzlich ein Bedarf auftreten kann und alle froh sind, dass die Wissenschaft gewissermaßen vorgearbeitet hat."
So wie im Fall des Klimawandels:
"Das ist eine Rolle der Wissenschaft, die ist unaufgebbar. Und dafür vor allem steht die DFG. Deswegen finde ich es wichtig, dass da gewissermaßen reine wis-senschaftliche Logik abgerufen wird, dass da eine Frage die nächste generiert. Und das würde ich nie aufrechnen gegen eine irgendwie zweckgerichtete Forschung, die wir auch brauchen. Mann kann es nicht einfach den Wissenschaftlern überlassen, ob sie Lust dazu haben."
Die richtige Mischung zwischen Zuarbeit und Eigensinn scheint also gefragt. Genau an dieser Schnittstelle setzt das Bonner Forschungsprogramm an. Ausgangspunkt ist die Annahme, so der Sozialwissenschaftler Kaldewey, dass es sich bei Politik und Wissenschaft um zwei Systeme mit eigener Logik handelt, die aber punktuell zusammentreffen. Damit diese Schnittstellen möglichst effektiv, sprich in tatsächlich sinnvollen Forschungsprojekten genutzt werden, muss ihre Kommunikation besser verstanden werden.
"Wo kommen die Themen her, wer, welche Interessen spielen da mit rein und wie gelingt es Stakeholdern dafür politisches Gehör zu finden."
Wer sich durchsetzt hat Erfolg, aber er tut nicht unbedingt das gesellschaftlich Notwendige, meint der Sozialwissenschaftler. In diesem Sommer beispielsweise hat sich in den USA die nationale Luft- und Raumfahrtbehörde NASA mit einem Thema durchgesetzt, das wohl nicht jeder sofort als eine große gesellschaftliche Herausforderung erkennen wird: Die Gefahr des Meteoriteneinschlags auf die Erde. Die Mission "Mann auf dem Mond" ist erledigt, nun müsse sich die NASA eben neue Aufgaben suchen.
"Da gibt es eine riesige Wissenschaftsinstitution, die in erster Linie Grundlagenforschung macht, die unglaublich teuer ist und die diese Mittelzuweisungen irgendwie legitimieren muss."
Die Regierung unter Präsident Obama hat die Meteoriten als Gefahr für die Menschheit akzeptiert und zahlt. Nach welchen Mustern und Eigenlogiken solche Entscheidungen getroffen werden, interessiert das Team um David Kaldewey. Sie werden Beispielhaft an einem großen Themenkreis wie Klimawandel oder Demografie die Kommunikation zwischen Politik und Wissenschaft, die Verläufe von Anregungen, Reaktionen und Wechselwirkungen untersuchen, zeitlich begrenzt auf die letzten 50 Jahre.
"Wir versprechen uns davon eine Art Reflexionswissen darüber zu erarbeiten, wie solche Probleme entdeckt, bearbeitet und dann auch in politische Probleme übersetzt werden, in wissenschaftliche Probleme rückübersetzt werden. Dieses komplexere Bild kann eine Voraussetzung für eine bessere Wissenschaftspolitik sein. Es kann dazu beitragen, ne Wissenschaftsförderung auf eine solidere Basis zu stellen."
"Natürlich hat die Wissenschaft eine gesellschaftliche Verpflichtung, dafür wird sie ja von der Gesellschaft alimentiert. Wissenschaft wird für alle gesellschaftlichen Bereiche, sei es für Recht, sei es Politik, sei es Wirtschaft, sei es Erziehung, immer wichtiger. Das heißt Politik ist in gewisser Weise von Wissenschaft abhängig gewor-den, so wie Wissenschaft umgekehrt abhängig immer schon gewesen ist, mindes-tens hinsichtlich der Finanzierung von der Politik,"
stellt Dr. Wolfgang Rohe fest. Er ist Leiter des Kompetenzzentrums Wissenschaft in der Stiftung Mercator. Sie ermöglicht jetzt der Universität Bonn den Start eines neuen Forschungsprogramms und finanziert ihr die ersten fünf Jahre einer Pro-fessur und einer Nachwuchsforschergruppe. Es geht um große Probleme wie Klimawandel, Demografie, Kernenergie oder epidemische Krankheiten wie Aids, genauer darum, wie sie als Thema entdeckt, erforscht und bearbeitet werden, erklärt David Kaldewey, der als Juniorprofessor die Forschergruppe leitet.
"Uns interessiert, wie diese großen Probleme auf die Agenda kommen, wo die herkommen. Die tauchen ja nicht aus dem Nichts auf. Die Idee, dass die objektiv gegeben sind, ist natürlich schnell problematisch. Wenn wir keine Klimaforschung hätten, dann wüssten wir auch nichts vom Klimawandel. Dann hätten wir vielleicht zwischendurch mal einen heißen Sommer, würden uns darüber freuen, würden uns aber nicht diese großen Gedanken dazu machen."
Beim Klimawandel ist die Urheberschaft eindeutig: Die Wissenschaftler haben das Thema aufgeworfen. Das Bonner Forschungsteam interessiert sich allerdings weni-ger für die Urheberschaft als solche. Es geht ihr vielmehr darum, wie Themen in der politischen Agenda durchgesetzt werden, also um die Kommunikation von Proble-men und die Schnittstellen von Politik und Wissenschaft.
"Wenn man an großen Problemen mal aufzeigen kann, wie da die Interaktion von Wissenschaft und Gesellschaft funktioniert, kann das hilfreiches Grundlagenwissen darüber sein, wie man mit anderen gesellschaftlichen Problemen umgeht. Um eben, und das ist vielleicht die politische Relevanz des Projektes, so simplifizierende Modelle zu vermeiden, die teilweise verwendet werden, dass die Wissenschaftspolitik manchmal denkt, sie wüsste, was die Probleme sind und sie müsste jetzt nur die Wissenschaft davon überzeugen, die zu bearbeiten."
Zwischen Elfenbeinturm und Wunschkonzert sitzt die Wissenschaft heute auf ihrem Posten. Grundlagenforschung und angewandte Forschung sind dabei längst zu zwei Seiten einer Medaille geworden – und die heißt Fortschritt und Entwicklung. Die Europäische Union beispielsweise hat gerade ihr Forschungsrahmenprogramm bis 2020 verabschiedet. Über 52 Prozent der Gelder gehen in Exzellenzforschung und Technologie-Entwicklung, 38 Prozent steckt die EU in soziale Themen wie Gesundheit und Demografie. Doch woher die einzelnen Themen kommen, die jetzt für die nächsten sieben Jahre mit rund 87 Milliarden Euro gefördert werden sollen, weiß keiner so genau, meint David Kaldewey.
"Die EU behauptet, dass das die Themen sind, die die Bürger immer wieder be-schäftigen. Aber der Prozess ist nicht durchsichtig. Und es fällt auf, dass große The-men wie Armut oder Arbeitslosigkeit sind da kaum vertreten. Das ist wissenschaftspolitisch wenig interessant, weil es wenig mit Technologie zu tun hat. Aber wenn man jetzt ernsthaft erwartet, wir erforschen das, was den Menschen in der EU tatsächlich Sorgen bereitet, dann würde man andere Themen erwarten."
Viele Eltern und Schülern verstehen beispielsweise nicht, warum seit den ersten PISA-Studien schulische Leistungsparameter die einzigen Kriterien erfolgreicher Bildung sein sollen. Dem Erfahrungswissen entspricht das nicht. Die Bildungswissenschaft und –politik hat sich aber genau darauf verständigt. Allerdings ist Bildungsforschung sowieso nachrangig. Für die Politik ist Wissenschaftsförderung in erster Linie Technologieförderung. Sie zahlt sich, so die Hoffnung, irgendwann in barer Münze aus. Die Forschung hingegen folgt einer eigenen Logik, erklärt Wolfgang Rohe von der Mercator Stiftung. Er hat viele Jahre für die Deutsche Forschungsgemeinschaft über die Finanzierung von Projekten mit entschieden.
" Die Kunst der Wissenschaft ist natürlich etwas zu liefern, was die Politik nicht bestellt hat, was eigentlich niemand bestellt hat. Wo aber plötzlich ein Bedarf auftreten kann und alle froh sind, dass die Wissenschaft gewissermaßen vorgearbeitet hat."
So wie im Fall des Klimawandels:
"Das ist eine Rolle der Wissenschaft, die ist unaufgebbar. Und dafür vor allem steht die DFG. Deswegen finde ich es wichtig, dass da gewissermaßen reine wis-senschaftliche Logik abgerufen wird, dass da eine Frage die nächste generiert. Und das würde ich nie aufrechnen gegen eine irgendwie zweckgerichtete Forschung, die wir auch brauchen. Mann kann es nicht einfach den Wissenschaftlern überlassen, ob sie Lust dazu haben."
Die richtige Mischung zwischen Zuarbeit und Eigensinn scheint also gefragt. Genau an dieser Schnittstelle setzt das Bonner Forschungsprogramm an. Ausgangspunkt ist die Annahme, so der Sozialwissenschaftler Kaldewey, dass es sich bei Politik und Wissenschaft um zwei Systeme mit eigener Logik handelt, die aber punktuell zusammentreffen. Damit diese Schnittstellen möglichst effektiv, sprich in tatsächlich sinnvollen Forschungsprojekten genutzt werden, muss ihre Kommunikation besser verstanden werden.
"Wo kommen die Themen her, wer, welche Interessen spielen da mit rein und wie gelingt es Stakeholdern dafür politisches Gehör zu finden."
Wer sich durchsetzt hat Erfolg, aber er tut nicht unbedingt das gesellschaftlich Notwendige, meint der Sozialwissenschaftler. In diesem Sommer beispielsweise hat sich in den USA die nationale Luft- und Raumfahrtbehörde NASA mit einem Thema durchgesetzt, das wohl nicht jeder sofort als eine große gesellschaftliche Herausforderung erkennen wird: Die Gefahr des Meteoriteneinschlags auf die Erde. Die Mission "Mann auf dem Mond" ist erledigt, nun müsse sich die NASA eben neue Aufgaben suchen.
"Da gibt es eine riesige Wissenschaftsinstitution, die in erster Linie Grundlagenforschung macht, die unglaublich teuer ist und die diese Mittelzuweisungen irgendwie legitimieren muss."
Die Regierung unter Präsident Obama hat die Meteoriten als Gefahr für die Menschheit akzeptiert und zahlt. Nach welchen Mustern und Eigenlogiken solche Entscheidungen getroffen werden, interessiert das Team um David Kaldewey. Sie werden Beispielhaft an einem großen Themenkreis wie Klimawandel oder Demografie die Kommunikation zwischen Politik und Wissenschaft, die Verläufe von Anregungen, Reaktionen und Wechselwirkungen untersuchen, zeitlich begrenzt auf die letzten 50 Jahre.
"Wir versprechen uns davon eine Art Reflexionswissen darüber zu erarbeiten, wie solche Probleme entdeckt, bearbeitet und dann auch in politische Probleme übersetzt werden, in wissenschaftliche Probleme rückübersetzt werden. Dieses komplexere Bild kann eine Voraussetzung für eine bessere Wissenschaftspolitik sein. Es kann dazu beitragen, ne Wissenschaftsförderung auf eine solidere Basis zu stellen."