Archiv


Forschungspraktikum mal anders

Die Feldforschung ist ein zentrales Element der Ethnologie, der Wissenschaft vom Fremden. Um fremde Kulturen zu erforschen, muss sich der Ethnologe selbst dem Fremden aussetzen. Doch im theorielastigen Studium kommt die Feldforschung oft zu kurz. Acht Tübinger Ethnologie-Studenten hatten es da besser. Sie konnten ihr Methodikwissen soeben ausführlich ausprobieren: Drei Monate lang lebten sie auf der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim beim Volk der Krim-Tataren.

Von Clemens Hoffmann |
    Louise Andersen deckt den Tisch fürs Abendessen. Ihre Gast-Mutter Hatice stellt eine dampfende Schüssel mit Teigtaschen auf den Tisch. Vater Bekir bringt einen Teller mit selbst gemachten Garten-Tomaten. Seit drei Monaten lebt die 22jährige Ethnologiestudentin aus Tübingen bei den Mamytows in der Krim-Hauptstadt Simferopol

    " Ich wurde herzlich aufgenommen, sie haben sich sehr dafür interessiert, was ich hier mache, was ich in meiner Zukunft machen will, aber auch was sie sich vorstellen, es war sofort ein freundschaftliches Verhältnis. "

    Gegessen wird im Ramadan erst nach Sonnenuntergang: Die Mahmutovs sind Krimtataren - sunnitische Muslime. Die Krim war jahrhundertelang die angestammte Heimat dieses Turkvolkes. Bis Stalin 1944 über 180 Tausend Krimtataren nach Sibirien und Zentralasien deportieren ließ – wegen angeblicher Kollaboration mit den Deutschen. Auch die Eltern der Mamytows wurden verschleppt. Erst 1990 durfte die Familie aus Usbekistan auf die Krim zurückkehren. Unter großen Entbehrungen baute sie sich eine neue Existenz auf. Heute arbeitet Bekir Mamytow als Journalist für eine krimtatarische Zeitung. Er freut sich, dass sich die Studenten aus Tübingen für das Schicksal seines Volkes interessieren.
    " "Es ist immer interessant, zu lernen, was Nationen vereint und was sie trennt, zum Beispiel haben wir herausgefunden, dass einer unserer "Khane" enge Beziehungen zu Friedrich dem II. von Preussen hatte. Und schließlich entdeckten wir, dass in der krimtatarischen Sprache wie im Deutschen das Verb am Ende des Satzes steht! "

    Um Grammatik geht es auch am nächsten Morgen: mit ihren sieben Kommilitonen paukt Louise Russisch. Die Kosten für die Lehrerin teilen sich die Studenten. Die Welt-Sprache zu lernen ist ein wichtiges Ziel des Feldforschungspraktikums, erklärt Projekt-Koordinatorin Nora Braun, vom Institut für Ethnologie der Uni Tübingen.

    "Weil es ne Sprache ist, die momantan noch nicht so viele Leute lernen im Gegensatz zu Spanisch zum Beispiel, man erschließt sich dadurch einen riesigen Raum und dazu kommt, dass man seine Berufsmöglichkeiten erweitern kann: Entwicklungszusammenarbeit, in der Wirtschaft, diplomatischer Dienst - wenn man so die Stellenanzeigen sieht, sieht man immer wieder, dass Russisch gefragt ist."

    Vier Vormittage pro Woche sind für den Russischkurs reserviert. In der restlichen Zeit schwärmen die Studenten aus, um Krimtataren zu befragen

    Mit der Marschrutka, einem der typischen Sammeltaxis, fährt Hermann Kley nach Akmetschad. Auf dem Hügel vor den Toren der Stadt leben fast ausschließlich krimtatarische Neusieder. Der Bus holpert über Schotterpisten, viele Häuser sind noch im Rohbau. Überall wird gewerkelt:

    " Elektrizitzät, Wasser, Telefon sind vorhanden, momentan wird eine Kanalisation gebaut, es gibt zwei Straßen die asphaltiert sind, der Rest ist nicht asphaltiert, also die Versorgung ist gewährleistet. Auch Internet wird langsam aufgebaut."

    Ihre ersten praktischen Erfahrungen als Feldforscher bespricht die Gruppe zweimal pro Woche in einem begleitenden Hauptseminar direkt in Simferopol. Wieder Distanz gewinnen ist wichtig. Erst einmal aber hat die Tübinger Gruppe eine große Nähe zu den Krimtataren aufgebaut. Mitte dieser Woche machen sich die Studenten auf dem Heimweg. Hochmotiviert - wie die 25jährige Elif.

    "Ich kann nur sagen dass ich gemerkt habe, dass ich so arbeiten kann, das mir das viel Spaß macht, und ich mir jetzt durch das Praktikum vorstellen kann, Feldforschung zu machen, was davor nicht der Fall war. Und das hat für mich eine Stärkung und eine Bestätigung fürs Fach gegeben."

    Im Februar kommen die angehenden Feldforscher noch einmal für zwei Monate auf die Krim. Dann wollen sie weitere Methoden ausprobieren. Vielleicht entstehen auch ein paar Ideen für Magisterarbeiten. Die Krimtataren bieten dafür sicher genug Stoff.

    Informationen für die Hörer

    Feldforschungspraktikum auf der Krim
    für Ethnologen im Hauptstudium

    Informationen über die Leiterin des Feldforschungsprojekts,
    Frau Professor Dr.Irmtraud Stellrecht,
    Institut für Ethnologie der Universität Tübingen

    Kontakt:
    irmtraud.stellrecht@uni-tuebingen.de
    Telefon: 07071-2972402 oder 07071-2978537