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Forschungstrends 2018
"Deutschland wird immer stärker als Forschungsnation"

Mit Blick auf das Jahr 2018 sieht Otmar Wiestler von der Helmholtz-Gemeinschaft eine günstige Konstellation für den Forschungsstandort Deutschland. Seine Organisation werde eine Rekrutierungsoffensive auflegen, um Talente aus der Wissenschaft nach Deutschland zu holen, sagte Wiestler im Dlf.

Otmar Wiestler im Gespräch mit Ulrich Blumenthal | 29.01.2018
    Otmar Wiester beim March of Science im April 2017 in Berlin
    Otmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, sieht positive Entwicklungen für den Forschungsstandort Deutschland (imago / STPP)
    Ulrich Blumenthal: Herr Professor Wiestler, Sie haben im September 2017 auf der Jahrestagung der Helmholtz-Gemeinschaft das neue Corporate Design vorgestellt: dynamisch, technisch-präzise und innovativ. Wo liegen für Sie 2018 die inhaltlichen und wissenschaftlichen Schwerpunkte? Eher bei einem Facelifting oder doch bei markanten Veränderungen?
    Otmar Wiestler: Nein, es wird markante Veränderungen geben. Wir haben ja nicht einfach nur unseren Markenauftritt neu gestaltet, sondern wir haben in den letzten zwei Jahren in der ganzen Organisation eine echte Zukunftsagenda entwickelt, und das Thema, was uns alle am meisten beschäftigt, ist die Frage: Wie gehen wir künftig mit Informationstechnologien und Informationsverarbeitung um, wie schaffen wir, in einer Organisation, die enorme Daten produziert, aus diesen Daten Wissen?
    Wir bauen in 2018 ein 19. Helmholtz-Zentrum in Saarbrücken, das wird sich dem Thema Datensicherheit, Umgang mit delikaten Daten und Privatsphäre beschäftigen, ein Thema, was breit ausstrahlt in alle Bereiche. Wir haben das ganze Know-how der Helmholtz-Gemeinschaft, was sehr groß ist, in den Informationstechnologien, aber auf 18 Zentren verstreut liegt, zusammengezogen in einem sogenannten Inkubator, in dem unsere 40 führenden Experten gemeinsam völlig neue Ideen für Datenverarbeitung nicht nur entwickeln, sondern auch in die Tat umsetzen. Diese Gruppe baut neue Plattformen auf für maschinelles Lernen, für digitale Bildverarbeitung, und wir haben auf dem Gebiet Information uns auch entschlossen, mit starken Universitäten als Partnern eine völlig neue Generation von jungen Datenexperten auszubilden, die wir dringend brauchen.
    "Aus großen Datenmengen völlig neue Informationen ziehen"
    Blumenthal: Daten sind sozusagen das Gold des 21. Jahrhunderts und auch der rote Faden für Ihre Arbeit als Präsident. Sie haben, so ganz allgemein gesprochen, neue Wege bei der Nutzung von Daten und bei der Umwandlung von Daten in Wissen. Wo muss da angesetzt werden, damit aus Daten wirklich Wissen wird?
    Wiestler: Wir müssen zunächst mal Daten in einer nutzbaren Form ablegen - erster Punkt. Zweiter Punkt: Wir müssen völlig neue Verbindungen zwischen den Zentren schaffen, um Daten viel besser austauschen zu können als wir das bisher leisten, und wir müssen, drittens, diese neuen Instrumente der Künstlichen Intelligenz nutzen, des maschinellen Lernens, mit denen man aus großen, komplizierten Datenmengen völlig neue Informationen ziehen kann, und das muss jetzt an ersten Beispielen konkret durchgespielt werden. Wir haben diese Beispiele in der Gesundheitsforschung, wir haben sie in der Ärztesystemmodellierung, wir haben sie in der Physik. Da wird man im Laufe des Jahres sicher einiges drüber hören.
    Blumenthal: Die Helmholtz-Zentren spiegeln sozusagen die Topthemen in Wissenschaft und Technik unserer Zeit wider – Energieforschung, Meeresforschung, Krebsforschung, Infektionsforschung, Geoforschung, Materialien und Energien –, Sie haben aber auch bei der Jahrestagung gefragt, nutzen wir die Stärken der Helmholtz-Gemeinschaft, um diese Zukunftsthemen zu beantworten. Wo sehen Sie da weiße Flecken und Nachholbedarf?
    Wiestler: Ich glaube, das Risiko bei einer Organisation wie der unseren ist immer, dass wir uns zu stark verzetteln, dass wir in vielen Bereichen der Energieforschung zum Beispiel unterwegs sind, dass wir es aber nicht schaffen, die Kräfte zu bündeln, um wirklich neue Wege zu gehen in der Energiespeicherung.
    Das ist ein Thema, was uns alle bewegt in der Energieforschung. Wir haben deshalb eine ganze Reihe von Maßnahmen jetzt ergriffen, um an Helmholtz-Instituten in Münster, an den große Zentren in Jülich, in Karlsruhe, in Ulm, in Erlangen wirklich wenige Beispiele auszuwählen, wo wir denken, das könnte eine neue Generation von Energiespeichern sein. Ich glaube, Helmholtz kann enorm viel leisten, wenn wir es schaffen, die Kräfte zu bündeln, wenn wir fachübergreifen arbeiten, und wenn wir Fortschritte an der Grenze von Gebieten abgreifen. Da ist er nämlich oft am größten, aber auch am schwierigsten zu erreichen.
    "Andere Länder schwächeln"
    Blumenthal: Sie fordern aber auch eine nationale Talentoffensive. Wie soll die konkret aussehen?
    Wiestler: Forschung lebt letztlich von begabten, hart arbeitenden, kreativen Köpfen, und der Erfolg jeder Forschungsorganisation hängt am Ende des Tages davon ab, schaffen wir es, Talente in die Organisation anzuziehen oder nicht. Im Moment ist eine günstige Konstellation: Deutschland wird immer stärker als Forschungsnation.
    Andere Länder schwächeln, wenn Sie an die USA denken in der Trump-Ära, auch das Vereinigte Königreich, und ich glaube, jetzt ist ein Moment, wo wir noch mal unsere Anstrengungen verstärken müssen. Das gilt für jede Organisation. Bei Helmholtz machen wir Folgendes: Wir bauen zunehmend jetzt sogenannte internationale Research Schools auf, wo wir internationale Talente gemeinsam ausbilden mit starken Partnern und die natürlich dann auch nach Deutschland ziehen. Wir werden eine neue Rekrutierungsoffensive auflegen, wo wir die talentiertesten Wissenschaftlerinnen, die im Moment im Ausland tätig sind, nach Deutschland holen möchten.
    Wir haben an allen 18 Helmholtz-Zentren sogenannte Laufbahnentwicklungseinheiten auf, die junge Talente sehr viel früher an die Hand nehmen und ihnen helfen, ihre eigene Laufbahn zu planen, und wir versuchen auf dem Gebiet Information eine völlig neue Generation von jungen Datenexperten mit Universitäten auszubilden, und immer geht es auch darum, international zu gehen.
    "Israel mit Abstand die erfolgreichste Forschungsnation der Welt"
    Blumenthal: Bei der jüngeren Generation von Datenexperten, da schauen Sie – für mich etwas überraschend – auf Israel. Warum wollen Sie gerade in Israel diese internationalen Köpfe, diese Datenexperten rekrutieren? Was zeichnet Israel für Sie aus?
    Wiestler: Für mich ist Israel mit Abstand die erfolgreichste Forschungsnation der Welt. Das ist eine echte Startup-Nation. Ich bin immer wieder fasziniert, welche Innovationskraft in diesem Land steckt, wie Israel es schafft, junge Menschen frühzeitig dazu zu bringen, dass sie die richtigen Fragen stellen, dass sie mutig vorwärts marschieren. Ich glaube, da gibt es viele Impulse, von denen wir lernen können. Wir werden im Oktober ein Büro in Israel eröffnen. Das wird hoffentlich dem Ganzen auch noch mal mehr Schub geben.
    Blumenthal: Eine Frage auch, die wir in unserer Reihe stellen, auch an Sie als Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft: Was waren die Misserfolge oder was war der Misserfolg im vergangenen Jahr in Ihrer Arbeit?
    Wiestler: Wir waren sehr erfolgreich, was Gewinnung neuer Köpfe für die Helmholtz-Gemeinschaft angeht, aber wir haben auf dem Gebiet Wettbewerb um Talente natürlich auch eine Reihe von Misserfolgen, und, sagen wir mal, Pläne nicht umsetzen können. Zwar rekrutieren wir jetzt zunehmend Professorinnen – knapp 40 Prozent sind mittlerweile Frauen –, die neu in die Organisation kommen, aber wir verlieren nach wie vor sehr viele talentierte Frauen in einer früheren Phase in dieser Altersgruppe zwischen 30 und 35, wo sich viele dann gegen eine Laufbahn in der Wissenschaft entscheiden, ich glaube, da müssen wir anpacken.
    Blumenthal: Sie haben gesagt, gerade bei dieser Frage der Karriere von Frauen in der Wissenschaft haben Sie teilweise an der falschen Stelle angesetzt, und wo sollte dann angesetzt werden, wenn man dies als Fehler erkennt?
    Wiestler: Also ich glaube, dass wir alle versuchen, Spitzenfrauen zu gewinnen, wir haben aber lange Zeit die wirkliche Achillesferse nicht so richtig ernstgenommen. Das ist wirklich diese Altersgruppe zwischen 30 und 35 Jahren. Wir haben ja sehr viele Frauen während des Studiums, sehr viele Frauen promovieren in Deutschland, sehr viele beginnen noch eine wissenschaftliche Laufbahn, aber dann um das 30. Lebensjahr herum geht es dramatisch wieder zurück. Da sind wir offensichtlich in einer Phase drin, wo Wissenschaft für viele nicht attraktiv genug ist, wo sie vielleicht gewisse Ängste oder Unsicherheiten schürt, und ich glaube, die Gruppe müssen wir an die Hand nehmen. Wenn uns das gelingt, dann werden wir dieses Gender-Thema ganz anders meistern können als wir das bisher tun.
    Neue Generation, andere Herangehensweise
    Blumenthal: Viele der Helmholzt-Zentren bieten Karriereentwicklungsprogramme an – reicht das aus für die Laufbahnplanung junger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder was ist da aus Ihrer Sicht unbedingt noch verbesserungswürdig?
    Wiestler: Ich glaube, wir haben heute eine neue Generation von jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die nicht mehr alles, sagen wir mal, mit so viel Leidenschaft und Selbstständigkeit planen, sondern die frühzeitig auch fragen, wo ist für mich eigentlich der richtige Platz, wo kann ich mich langfristig hin entwickeln.
    Es gibt ja auch viele Möglichkeiten außerhalb der Wissenschaft, und ich glaube, da muss Laufbahnentwicklung anpacken. Wir müssen jungen Leuten sehr viel mehr Angebote machen, frühzeitig nachzudenken, wo ist meine wirkliche Begabung, was muss ich tun, um die zur Ausprägung zu bringen, wie kann mir mein Forschungszentrum dabei helfen, und wie kann mir jemand aufzeigen, wo für mich vielleicht Alternativen sind. Ich glaube, an dem Punkt müssen diese Career-Development-Zentren ansetzen. Da können wir sehr erfolgreich sein, wenn wir es so realisieren.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.