Lettland ist stärker bewaldet als die baltischen Nachbarländer. Wald steht auf fast der Hälfte des Landes, dass etwas kleiner ist als Bayern. Die Holzwirtschaft macht fast ein Drittel des lettischen Sozialprodukts aus. Allerdings exportiert Lettland fast ausschließlich Rohholz oder Spanplatten. Zur Produktion hochwertiger Hölzer oder von Zellstoff mangelt es dem Land zwar nicht an Wald, aber an den nötigen Investitionsmitteln.
Udis Rotbergs: Die Sache ist ganz einfach, sagt Uhis Rotbergs, Chef der lettischen Sektion des WWF. Vergleicht man die lettische Holzindustrie mit der schwedischen, dann machen die Schweden mehr Endprodukte aus jeder Einheit Holz. Da liegt der Wettbewerbsnachteil. Aus den Spänen der Sägewerke machen sie Zellstoff und Papier. Lettland dagegen ist übersäht mit Holzabfall, mit Staub und Spänen, für die es keinen Markt gibt.
Das könnte sich nun ändern, wenn die Pläne der finnischen Metsaliito und der schwedischen Sodra Cell Wirklichkeit werden: In der Nähe der lettischen Stadt Jekabpils wollen die Skandinavier eine Zellstofffabrik errichten, die mit einem Ausstoß von drei Millionen Kubikmetern Papierbrei international durchaus wettbewerbsfähige Ausmaße erreichen wird. Das Investitionsvolumen beträgt 900 Millionen Euro - für ein Land von bescheidener Wirtschaftskraft wie Lettland sprengt das jeden Rahmen, räumt auch der lettische Projektkoordinator Arvids Rosentals ein.
Arvids Rosentals: Um mir das Ausmaß richtig vorzustellen, habe ich mir überlegt: Nehmen wir unsere Ein-Lat-Münzen, unsere Währung, heißt Lat, ungefähr ein Millimeter dick ist die Münze. Wenn man 600 Millionen Lats aufreihen würde quer durch Lettland, dann würde mein eine ganze Lat-Straße bauen, vom Osten, von der russischen Grenze, bis zur Ostseeküste im Westen. Das Land ist klein, und seine Ökonomie ebenfalls. Wir haben ein Sozialprodukt von 6-7 Milliarden Dollar, da ist eine Investition von fast einer Milliarde Dollar natürlich signifikant. Das Finanzministerium hat eine Untersuchung gemacht, welche Auswirkungen das Projekt hatte. Da zeigte sich, die Fabrik würde das Sozialprodukt um zwei Prozent erhöhen, allein schon durch sich selbst - unabhängig von den Zulieferfirmen und den Multiplikatoreffekten.
Doch nicht alle Letten lassen sich von den blanken Zahlen allein mitreißen. Udis Rotbergs vom WWF fragt nach der Macht, die hinter diesen Zahlen steht. Kaum ein Land hängt so ab von der Holzindustrie wie Lettland. Neben der Textilindustrie bringt nur sie dem Land Handelsüberschüss. Was bedeutet es für die lettische Gesellschaft, wenn künftig eine Schlüsselbranche von einem derartig dominanten Einzelunternehmen beherrscht wird, fragt Rotbergs.
Udis Rotbergs: Was werden wir für eine Forstwirtschaft haben in den lettischen Wäldern? Wir werden eine riesige Firma haben, der regelmäßig, täglich, stündlich Holz nachfragt. Keine der Nichtregierungsorganisationen in Lettland werden argumentativ mithalten können - wir haben einfach nicht die Ressourcen, die so ein Großbetrieb aufbringen kann. Mit einem 1-Billion-Dollar-Projekt im Rücken kann ich die Spitzenleute aus den Unternehmensberatungen anheuern. Die kleinen, fragmentierten Nichtregierungsorganiationen, der öffentliche Sektor, kann sich äußern wie immer, aber wir werden keine wirklichen Argumente haben: Wir werden nur unsere Zweifel ausdrücken können. Das ist meine Hauptsorge. Mein Rat wäre, wenn das ernst gemeint ist, sollte diese Fabrik selbst die Kapazität bereit stellen für öffentliche Anhörungen und Diskussionen.
Immerhin ist der lettische Staat zu einem Drittel am Unternehmen beteiligt. Im Gegenzug bringt er Wald ein: Die Rede ist von etwa 10 % der Forsten in Staatsbesitz - 150 bis 200.000 Hektar. Umgerechnet wird der Hektar mit 26 Pfennig pro Quadratmeter bewertet - ein günstiger Preis, urteilt Holzwirtschaftsexperte Rudolf Patt von der Universität Hamburg. Patt berichtet, dass die Skandinavier sich von der Kahlschlagspolitik wie zu Beginn der 90er Jahre abgewendet hätten, stattdessen setzten sie auf schonenden Abbau. Allerdings verleiteten Zellstofffabriken wegen ihrer hohen Abschreibungsraten von unter zehn Jahren eher zu schnellem Ressourcenverbrauch.
Jedenfalls werden, wenn die Fabrik ab 2005 tatsächlich die Arbeit aufnimmt, die lettischen Wälder ihr Gesicht verändern: Urwüchsiges wird verschwinden, Aufforstungen werden den Bewuchs steuern. Am Ende steht ein Wald, wie man ihn auch in Deutschland kennt. So etwas was wünschen sich letztlich auch die Letten: Sie ziehen parkähnliche Waldanlagen urwüchsigen Urwäldern vor, weiß man beim WWF.