Freitag, 29. März 2024

Forum neuer Musik 2021
Interview über die aktuelle Forums-Ausgabe

Nach Themen wie Migration/Integration, Klima und Anthropozän oder Postkolonialität versprach der Jahrgang 2020, Sterben und Tod zu thematisieren und mit Überlegungen zu Trans- und Posthumanismus in Verbindung zu bringen. Im Zuge der Corona-Pandemie verschob sich das Projekt um eineinhalb Jahre.

Frank Kämpfer im Gespräch mit Till Knipper | 04.11.2021
    neun Person stehen und sitzen in einem Konzertsaal. Vor Ihnen stehen Instrumente, Mikrofone und Notenständer
    Aufnahmestart im Deutschlandfunk - Mitte Oktober 2021 im Coronamodus (Deutschlandradio/ Thomas Kujawinski)
    Das Forum neuer Musik des Kölner Deutschlandfunks präsentiert sich seit nunmehr zehn Jahren als diskursive Veranstaltungsform, die künstlerische Beiträge und journalistische Wissensformate auf gesellschaftspolitisch relevante Fragen bezieht. Im Zuge von Covid-19 politisierte sich auch die aktuelle Ausgabe, die Sterben und Tod zu thematisiert und mit Überlegungen zu Trans- und Posthumanismus in Verbindung zu bringt. Pandemie-bedingt
    verschob sie sich um eineinhalb Jahre. Till Knipper fragte Dlf-Redakteur Frank Kämpfer, wie sich der Blick auf die gewählte Thematik veränderte und was sich daraus ergeben hat.
    Knipper: Der frühzeitige Tod ist in unserer Gesellschaft heute faktisch seltener geworden infolge des medizinischen Fortschritts. Ist das beruhigend?
    Kämpfer: Sterben zu müssen, also vergänglich zu sein und um die unabwendbare biologische Auflösung am Ende des eigenen Lebens zu wissen – das ist für jeden Menschen, der bewusst reflektiert, höchst beunruhigend und mit großen Ängsten besetzt. Wer heute jung ist, in Mittel- oder Nordeuropa aufwächst und sehr gesund lebt, der hat – setzen wir gesellschaftliche und ökologische Stabilität einmal weiter voraus – wahrscheinlich aber eine Lebenserwartung von 90 bis 100 Jahren. Der permanente Fortschritt unserer westlichen Apparatemedizin ermöglicht das. Die Sterblichkeit hebt das aber keinesfalls auf. Durch Tod und Geburt bleibt der Mensch Teil der Natur, die ihn hervorgebracht hat.
    In "Vita activa oder Vom tätigen Leben" (1958) schreibt Hannah Ahrendt dem Menschen aber eine besondere Möglichkeit zu. Sie beginnt bei "den alten Griechen", die womöglich halb so alt wurden wie wir heute und die sich im Gegensatz zu ihrer Umwelt folglich als "die Sterblichen" wahrnahmen. Sie verstanden sich selbst als "das Einzige, was überhaupt sterblich war", aber, so Ahrendt, "sie unterscheiden sich von den Tieren dadurch, dass dem Menschen ein individuelles Leben mit einer erkennbaren Lebensgeschichte aus dem biologischen Lebensprozess heraus- und zuwächst". (1) Das ist für das Jahr 1958 sehr klug gesagt. Das heißt nun aber nicht, dass alle damit zufrieden sind. Es gibt eine lange Geschichte von Wünschen und Vorstellungen, die Endlichkeit des menschlichen Lebens zu überwinden. Solch transhumanistisches Denken ist nicht nur Teil der neoliberalen Ideologie – der Zukunftsforscher Bernd Flessner etwa weist es schon im fast 4000 Jahr alten Gilgamesch-Epos nach, in der Alchemie oder in diversen Sujets vom künstlichen Menschen.

    Träume von Ewigkeit

    Knipper: Jean-Paul Sarte behauptet in seiner autobiografischen Schrift "Die Wörter" (1964), dass Künstler, analog zu Soldaten, im irdischen Leben Verzicht üben oder gar den eigenen Tod in Kauf nehmen, in der Hoffnung auf Ehre und Ruhm. Es sei also ein (falsches) Leben für ein Leben nach dem Tod. – Was hat sich heute durch die digitalen Möglichkeiten verändert? Hat das irdische Leben an Bedeutung gewonnen?
    Kämpfer: In der Tat ist jeder, der sich heute im Netz "verewigt", schon unsterblich geworden – zumindest so lange, wie es das Internet gibt oder man es aktiv betreibt. Sartres Bonmot zum Thema Nachruhm ist damit gewissermaßen entwertet – man muss inzwischen weder Politiker noch Olympiasieger noch Künstler oder Künstlerin sein, um nicht vergessen zu werden. Dahinter aber steckt etwas viel Tieferes. Verzicht zu Lebzeiten für ein besseres Dasein im Tod, so lautet das Angebot, das uns die Religionen machen: Im Jenseits wird man für Opfer im Leben entlohnt, vorausgesetzt, dass einen das Jüngste Gericht ins Paradies oder in den Himmel eintreten lässt. Die religiösen Jenseitsversprechungen spiegeln eine enorme kulturelle Konstruktion: Um den Tod zu bewältigen, also um die eigene Situation danach zu verbessern, kann man sein irdisches Leben in eine Art Tauschhandel hineingeben. Wenn man sich auf Erden verantwortungsvoll und im Rahmen der Gesetze verhält, hat man es im Tod paradiesisch. Idealerweise hieße das, man kommt in ein Anfangsstadium zurück, in eine Art zivilisatorische Unschuld, in der der Mensch als Spezies im Einklang mit der Natur und allen anderen irdischen Lebewesen agiert.

    Verknüpfung mit der Ökologie

    Das deute ich so jetzt mit Absicht – denn die Frage, ob das irdische Leben an Bedeutung gewonnen hätte, suggeriert zunächst eine freundliche Antwort. Angesichts der konsumistischen Vielfalt, die wir im Westen gerade erfahren und der wir auch standhalten müssen, scheint unser Leben leichter und reicher und voller als vor ein- oder zehntausend Jahren. Aber zusammengedacht mit der Ökologie, was sich mir derzeit immer mehr aufdrängt, ist das irdische Leben heute doch ziemlich entwertet. Unsere Gegenwart wird schließlich das "sechste Artensterben" genannt. Gemeint ist damit, dass der Mensch als heute dominierender geologischer Faktor die übrigen Arten der Biosphäre dominiert und dezimiert. Vor allem Tiere und Pflanzen. Unsere Spezies, die angeblich die Krone der göttlichen Schöpfung darstellt, wirkt durch ihr Tun vor allem lebensvernichtend; sie greift sogar die eigene Lebensumwelt an, seit 200 Jahren in rasch wachsendem Tempo. Auf Ihre Frage gibt es deshalb ein klares Nein.
    Knipper: Tod und Vergänglichkeit verbinden sich mit Klage und Trauer. Trauer ist uns Menschen eigen, auch Tieren. Um sie auszudrücken und dabei auf Identität und zwischenmenschliche Bindungen zu verweisen, spielt Musik oft eine zentrale Rolle. Gibt es kulturelle Normen der Trauer und wie spiegeln sie sich – um endlich aufs Forum neuer Musik zu kommen – in Ihrem Programm?
    Kämpfer: Trauerrituale sind ein wesentlicher Bestandteil der menschlichen Kulturgeschichte. Unsere drei monotheistischen Religionen etwa geben bis heute für im Grunde uns alle zentrale Orientierungen: Wie wird ein Mensch bestattet, was haben Hinterbliebene zu tun, wie wird des oder der Toten gedacht und an diese erinnert. Das große interdisziplinäre "Handbuch Sterben und Tod", erschienen 2010 im Metzler Verlag, hat das ganz hervorragend zusammengestellt. Natürlich haben hier auch die Künste ein Spielfeld, und neben den Bildenden Künsten in der Tat die Musik. Konfessionsspezifisch als auch -übergreifend haben wir z. B. christliche Formen von Trauermusik, etwa Passion, Messe und Requiem, die die Schrecken des Todes artifiziell oder emotional überhöhen und die Hörende wie Ausführende psychisch entlasten und disziplinieren, also einordnen in das Gefüge des Christentums.

    Vielheit der Kulturen und Rituale

    In zeitgenössischem Komponieren gibt es neben der Hommage viel Unreglementiertes – und da sind wir schon mitten im Forum neuer Musik: David Smeyers zum Beispiel hat für sein Konzertprojekt "Transformation" mit dem ensemble 20/21 ein neues Stück von Jamilia Jazylbekova programmiert. In ihrer auf kasachischen Traditionen fußenden Ensemblemusik "Alau" findet sich in der Komposition der Todeswahrnehmung so etwas wie Einklang mit der Natur. Smeyers hatte anfangs auch Musik von Gabriela Ortiz geplant, die sich auf die mexikanische Tradition des Totentanzes bezieht – und ich wollte bei der Forums-Eröffnung ursprünglich Octavio Paz zitieren, demzufolge der mexikanische Leichenzug in ein Fest münden würde und der (vermutlich vor allem männliche) Mexikaner mit dem Tod ein eher spielerisches, scherz- und rauschhaftes, auch sexuelles Verhältnis eingehen kann.
    Aber auch Sarah Nemtsov versteht ihr großes Projekt "Roses for my Funeral" (2018–21), aus dem im Grunde die Idee zu diesem Forum erwuchs, nicht nur als einen Abend über Sterben und Trauer und die Rebellion dagegen, sondern ebenso als Fest des Lebens. In diesem Zusammenhang sind starke Titel von Nemtsov entstanden, etwa "Wolfsgesänge" (2019) für Violoncello oder die Kammermusik "Seven Colours" (2018). Und Eres Holz deutet den Tod in seinem Streichquartett "Dunkle Risse" (2018) als einen Grenzgang, der das Leben als substanziell widersprüchlich erscheinen lässt. Unsere Annäherung an Sterben und Tod sollte und soll also eine offene, aufgebrochene sein, nach Möglichkeit multikulturell und multireligiös.
    Knipper: Wie fast alle Festivals konnte auch das Forum neuer Musik im Jahr 2020 pandemiebedingt nicht wie geplant stattfinden und wird jetzt 20.–23. November 2021 nachgeholt. Welche Konsequenzen sind damit verbunden?
    Kämpfer: Das Forum 2020 wurde kurz vorm Start abgesagt. Alle Mitwirkenden waren einverstanden, es komplett auf Herbst 2021 zu verschieben. Im Februar wurde mir klar, dass Covid-19 schwer kalkulierbar verläuft und dass es klüger wäre, die Form eines Radiofestivals zu wählen: also alles vorzuproduzieren und gebündelt zu senden. Auf die höchst unsichere Veranstaltungsform zu verzichten, bedeutete nun, manches stark umzubauen. Zum Beispiels Sarah Nemtsovs halbszenisch gedachten Eröffnungsabend mit dem Decoder Ensemble, für den Regisseur:in Heinrich Horwitz eine sehr beredte Raum-Dramaturgie erarbeitet hatte, in der die Vergangenheit auf der Bühne spielen sollte, während man sich zur Zukunft hätte umdrehen, d.h. sich hätte bewegen müssen.

    Festival-Umbau im Zuge von Covid-19

    Für den Deutschlandfunk muss nun alles rein auditiv funktionieren; Noam Brusilovski, ein Hörspielmann, kam dazu ins Boot. Andere Geldgeber verlangen dazu noch eine filmische Arbeit. Ich bin froh, dass dieses besondere Projekt auch vor diesen Hürden nicht kapituliert hat, zumal spezielle Förderer nicht so flexibel sind wie die Kunststiftung Nordrhein-Westfalen, die das Forum als Ganzes unterstützt und mit viel Verständnis auf Änderungsnotwendigkeiten reagiert. – In einem anderen Fall lief es anders herum, als Erweiterung: Sergej Maingardts Musik-Video-Text-Stück "Transfleisch" (2013) hätte ursprünglich unseren zweiten halbtheatralen Abend beschlossen – hier senden wir nun nicht die schon bestehende elektronische Spur, sondern produzieren eine ganz neue Instrumentalfassung neu.
    Das ist die künstlerische Seite mitsamt manch technisch-logistischem Umbau, der natürlich auch Kosten verursacht. Es gibt ebenso die gesellschaftspolitische Seite und die Wissensaspekte und deren Vermittlung, da stellen sich mir Veränderungen als viel gravierender dar.
    Knipper: Hat die Frage nach der Überwindung des Todes für Sie denn durch Corona eine neue Perspektive erhalten?
    Kämpfer: Sarah Nemtsov und Heinrich Horwitz wollten mit ihrem Projekt eine Lanze für Fragen brechen, die eigentlich aus der Öffentlichkeit unserer Gesellschaft völlig ins Private verdrängt schienen. Ich dachte, ihre Initiative sei ein Muss für den Deutschlandfunk, auch wenn unser Forum damit reichlich unpolitisch erschien. Covid-19 und nicht zuletzt die mediale Aufbereitung, oder besser die strukturelle Handhabung der Pandemie, haben Sterben und Tod, die damit verbundenen Ängste und Ungewissheiten zentral in den Fokus gerückt. Gesundheit ist plötzlich politisch geworden, und eigentlich hat sich unsere Forums-Thematik punktgenau als richtig erwiesen. Deshalb muss ich jetzt allen künstlerisch und journalistisch Mitwirkenden genau diese Frage stellen und sie zum Neudenken bringen: Wie hat sich Dein Thema und Gegenstand angesichts von Corona verändert? Wie verändert die gelebte Erfahrung der Pandemie den Blick auf Tod und Leben, den Dein Projekt oder Beitrag aufzeigen will?

    Corona schärft den Blick auf Gesellschaft

    Wie immer habe ich dazu kontroverse soziologische Texte herausgesucht und sie den Autoren der späteren Sendungen als Reibefläche zur eigenen Auseinandersetzung zur Verfügung gestellt. Darin geht es natürlich nicht um Musik, sondern um Lesarten zur Pandemie. Der alte Giorgio Agamben etwa artikuliert im Frühjahr 2020 Kritik an einem neuen "Paradigma der Biosicherheit", das den Staatsbürger in der (italienischen) Demokratie "auf allen Ebenen zum passiven Gegenstand von Pflege, Überwachung und Misstrauen" machen würde – womit Agamben im Grunde sein Lebensthema, die Gefahr der Selbstaushöhlung der Demokratie, zuspitzt. (2) Der Berliner Philosoph Byung-Chul Han hat sich in den letzten Jahren auf kulturelle Kritik des Neoliberalen spezifiziert. Corona ist hier folglich eine Konsequenz unserer Lebensweise. In seiner Publikation "Palliativgesellschaft. Schmerz heute" (3) votiert Han für die Bewahrung des Seelisch-Körperlichen, und man liest bei ihm den erstaunlichen Satz: "Die Pandemie stellt keine andere Lebensform in Aussicht."
    Slavoj Žižek (4) sieht unsere kapitalistische Zivilisation gleichzeitig in einer medizinischen, einer ökonomischen und einer psychologischen Krise. Man müsse folglich "lernen, außerhalb der Koordinaten von Börse und Profit zu denken, und andere Wege zu entwickeln". Adäquat finde ich eigentlich nur die These von Martin Burckhardt, der in "Going Viral! Ein Abgesang der Postmoderne" unserer Gesellschaft attestiert, längst einen Sprung in einen ganz neuen Modus gemacht zu haben, diesen aber noch nicht klar zu reflektieren: "Das ist genau das Charakteristikum unserer Übergangsepoche, deren Institutionen, Prozeduren und Gesetzgebungsverfahren allesamt der untergehenden Welt der Repräsentation angehören, während die informellen Praktiken sich längst den Gesetzen der neuen Zeit überantwortet haben." (5) Gemeint ist, dass unser gesellschaftliches Miteinander im Zuge der Digitalisierung immer mehr virtuelle, ja virale Züge annimmt und dass uns Corona einen Spiegel vorhält, was wir unsererseits aber ausblenden. Womit wir gewissermaßen jetzt zur Rückseite unseres Forums gelangen.

    Posthumanismus versus Transhumanismus

    Knipper: Das Forum neuer Musik 2021 hat noch einen zweiten Themenstrang: Begegnungen mit post- und transhumanem Denken. Was ist da geplant, wie gehört das zusammen und was bedeutet das überhaupt?
    Kämpfer: Um es mit der Medienkulturwissenschaftlerin Anna Schürmer zu sagen: "Der Posthumanismus ist ein kritisches Denkmodell, das die gegenwärtige Radikalität des techno-kulturellen Wandels und eine gleichzeitige Erosion des Humanen aufzeigt. Die Transhumanisten wollen eine Optimierung des menschlichen Lebens vorantreiben, mithilfe von Medizin, Technologie und Virtualität." Wie schon oben gesagt, findet sich solch ein Denken quer durch die Geschichte in verschiedenen Kulturen und Kulturzeugnissen – heute ist es aufgrund des beschleunigten Fortschritts besonders brisant.
    Den Tod überwinden zu wollen, ist immer noch aber keine technologische, sondern eine ethische Frage. In seinem tragikomischen Roman "Eine Zeit ohne Tod" (2005) zeigt der portugiesische Autor José Saramago nicht umsonst gleich anfangs auf, wie ein Land kollabiert, wenn darin nicht mehr gestorben wird. Unser Forum zielt aber auf etwas anderes: nämlich das Leben mehr wertzuschätzen, und zwar das gesamte biologische Leben. Zu diesem bekennt sich auch Sergej Maingardts sehr faszinierendes Video-Text-Stück "Transfleisch", das der Kölner Komponist für die Formation electronic ID gerade neu komponiert hat.

    Chance des Radios

    Den Dissenz zwischen dem Posthumanismus und den Transhumanisten reflektiert ebenso auch unsere Dlf-Sendung "Streitkultur", mit der unser Forum am 20. November im Radio beginnt: Moderatorin Christiane Florin konfrontiert da die Schriftstellerin C. Juliane Vieregge und den Medienwissenschaftler Volker Demuth. Transhumane Visionen reflektiert auch der Wiener Sterbeforscher Thomas Macho, der eine exklusive Lecture zum Forum beisteuert. Sie ist "Vom Geschenk der Endlichkeit" überschrieben. Um noch einmal auf die Musik zu kommen: Das Radio-Forum endet nach vier Tagen mit einem Hörstück, in dem Autorin Anna Schürmer eine Art posthumane Musikgeschichte entwirft. Sie "beleuchtet Künstliche Intelligenz und Nostalgie, Virtualität und (Un-)Sterblichkeit, die das Menschsein unter digitalen und viralen Bedingungen neu reflektieren". Das war zunächst als Live-Feature gedacht, mit szenischen Einlagen von Studierenden des Instituts für Medien und Kulturwissenschaften der Uni Düsseldorf; jetzt wird es ein radiofones Produkt.
    Knipper: Was erwarten Sie nun nach eineinhalb Jahren Verschiebung? Haben sich Debatten aller Art unwiederbringlich ins Netz verlagert oder hat das Radio noch eine Chance? Was vermag Ihr Forum im November 2021 zu leisten?
    Kämpfer: Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue sagt, die Zukunft des Radios fängt gerade an. Gemeint ist damit vor allem die Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen, in komplizierter erscheinenden Zeiten Orientierung und Aufklärung zu bieten, Auseinandersetzung und aktuellen Diskurs. Das Programm des Deutschlandfunks steht ganz klar dafür. Unser um eineinhalb Jahre und von der Bühne ins Hörfunk-Programm verschobene Forum "Wollen wir den Tod überwinden?" fügt sich da zweifellos ein. In Bezug auf Corona werden wir nur nicht mehr Vorreiter sein, sondern reflektierende Nachhut. Mit Fragen von Sterben und Tod allerdings hat sich, soweit ich weiß, seit der Projektgruppe Neue Musik in Bremen 1996 kein Veranstalter mehr eingehend befasst. Wir produzieren vier starke, exklusive künstlerische Projekte neuer Musik im Kammermusiksaal des DLF – und das ist heute doch viel.
    [erschienen in Neue Zeitschrift für Musik, Schott Mainz, September 2021]
    (1) Hannah Ahrendt: Vita activa oder Vom tätigen Leben (amerikanisches Original: The human Condition, 1958), München 1981, S. 29.
    (2) vgl. Giogio Agamben: Wo stehen wir? Die Epidemie als Politik (italienisches Original: A che punto siamo? L’epidemia come politica, Macerata 2020), Wien/Berlin 2021, S. 106.
    (3) vgl. Buying-Chul Han: Palliativgesellschaft Schmerz heute, Berlin 2020, S. 28.
    (4) vgl. Slavoj Žižek: Pandemie! Covid-19 erschüttert die Welt, Wien 2020, S. 74.
    (5) vgl. Martin Burckhardt: Going Viral! Ein Abgesang der Postmoderne, Berlin 2021, S. 135 f