Donnerstag, 28. März 2024

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Streitkultur
Ist Unsterblichkeit erstrebenswert?

Juliane Vieregge wünscht sich mehr Kommunikation über Sterben und Tod. Unsterblichkeit wäre für Sie "das Ende des guten Lebens". Volker Demuth plädiert für Bioperfektion und technologische Optimierung des Menschen. Die Deutschlandfunk-Sendung "Streitkultur" konfrontiert beide Positionen.

Moderation: Christiane Florin | 20.11.2021
Eine menschliche Figur auf einer Leiter streckt den Arm gen Himmel.
Unsterblichkeit als Menschheitstraum (Lorraine Steriopol auf Unsplash)
Die Journalistin C. Juliane Vieregge argumentiert: "Unsterblichkeit ist der älteste Menschheitstraum. Ihn wahr zu machen, wäre das Ende des guten Lebens. Der Mensch ist ein schöpferisches, vernunft- und phantasiebegabtes Wesen. Ein Leben ohne Sterben wäre das Ende menschlicher Kreativität, da ein Ziel immer der temporären Orientierung bedarf. Erst durch den Tod gewinnt das Leben seinen Sinn. Es ist nicht die Aufgabe unserer Gesellschaft, den Tod technisch zu verdrängen und zu leugnen durch Vorspiegelung eines perfektionierten Lebens, sondern ihn durch eine Kultur des Sterbens und der Trauer sinnvoll in unser Leben zu integrieren. Die Kränkung des Todes anzunehmen gerade als das Unperfekte, ist eine nicht nur subjektive, sondern auch gesellschaftliche Aufgabe."
Der Berliner Philosoph Volker Demuth formuliert Entgegengesetztes: "Als Menschen sind wir Lebewesen, die ihre Optimierung betreiben. Wir möchten uns stets selbst überwinden. Längst geht es heute um biomediale und biomedizinische Verbesserungen unbekannten Ausmaßes. Die Frage unserer Epoche lautet: Zu was kann der Mensch umgeformt werden? Dieses humantechnologische Projekt, bei dem ein nächster Mensch entstehen soll, wird mit viel Nachdruck und Kapitaleinsatz betrieben. Die gesteigerte Bioperfektion soll uns zu mehr Glück, Vitalität, Gesundheit und Lebensdauer verhelfen. Die Überwindung des Todes ist da gewiss die spektakuläre Pointe. Das Optimum ist erreicht, wenn wir über unsere Sterblichkeit hinausgelangen, zum Ende des biologischen Endes."
C. Juliane Vieregge
Autorin, Bloggerin und Online-Journalistin aus Nordrhein-Westfalen. Studierte evangelische Theologie, Germanistik und Kunstgeschichte in Münster, Hamburg und Tübingen. Unterrichtet in Tübingen Creative Writing. 2019 erschien im Berliner Ch. Links-Verlag ihr erzählendes Sachbuch "Lass uns über den Tod reden".
Literarisches Blog: www.tage-und-begegnungen.julianevieregge.de
Volker Demuth
Lebt als Autor und Medienwissenschaftler in Berlin. Produzierte Radio-Features und Hörspiele und wirkte bis 2004 als Professor für Medientheorie. Neben Romanen und kulturtheoretischen Essays beschäftigt er sich in seinen Büchern "Fleisch" (2016) und "Der nächste Mensch" (2018) mit Fragen humantechnologischer Verbesserung und Bioutopie. www.volkerdemuth.de