Archiv


Forum PISA vor Ort: Die Carl von Linné Schule in Berlin-Lichtenberg

Sonderschule oder Behindertenschule – egal, wie die Schule heißt, ich bin froh hier zu sein, hab' hier Freunde und Kontakt auch zu den Lehrern und so.

von Jacqueline Boysen |
    Antje bewegt sich gewandt mit ihrem Rollstuhl über die breiten Schulflure. Die musikalische Siebzehnjährige war von der ersten Klasse an Schülerin der Carl-von-Linné-Schule in Berlin-Lichtenberg – anders als Marco und Christine, die beide ihre Schullaufbahn auf einer herkömmlichen Grundschule begonnen hatten, denen dann aber die sonderpädagogische Betreuung empfohlen wurde.

    Ich hatte vorher Angst herzukommen, wenn die anderen aus meiner Klasse in der alten Schule es erfahren, oh Gott, das ist ja grausam, die werden mich hänseln, ich bin dann nicht mehr angesehen. Aber ich hab mich hier von Anfang an heimisch gefühlt.

    Ich hab geheult und hatte Angst herzukommen, ich hab es mir dann hier angeschaut und gedacht, ich bin doch gar nicht behindert. Aber nach einer Zeit bin ich damit auch klargekommen, aber am Anfang nicht.

    Vierhundert körper- und lernbehinderte Kinder und Jugendliche werden an der Carl-von-Linné-Schule unterrichtet und betreut – je ein Lehrer und ein Erzieher kümmern sich hier um Kleingruppen mit selten mehr als acht Schülern, ganz anders also als in den Schulen, an die sich Christine und Marco noch erinnern:

    Dort waren pro Klasse 27 Schüler. Da gab es dann Arbeitsblätter, die musste man ausfüllen und das war's, auch wenn man einen Frage hatte. Der Lehrer hat Zeitung gelesen. Hier stellt man eine Frage, der Lehrer erklärt, das muss er auch, weil manche ja eine Lese-Rechtsschreibschwäche haben und dadurch verstehen sie die Aufgaben nicht.

    Christine beschwert sich darüber, daß die Erzieher ihr zu wenig Freiraum lassen. Auch geht ihr die individuelle Förderung nicht weit genug:

    Also, wenn ich von meiner Schwester auf einer sogenannten normalen Schule höre, dann ist es schon hier leichter. Wenn ich sage, wir machen Kreisberechnungen, dann macht sie das auch, ist aber ein Jahr jünger. Es ist schon bei ihr strenger, ohne Übungsstunden, daher sind wir halt mit dem Stoff nicht so weit. Was ich in der 10. Klasse hab, machen die in der neunten schon.

    Ihre Mitschülerin Desiree dagegen hat am ganztägigen intensiven Unterricht offenkundig überhaupt keinen Spaß:

    Na ja, Mathe und Sozialkunde und Sport mag ich... und Nachhausegehen... Aber sonst: Das geht doch da rein, da raus.

    Den Schülern stehen ein schuleigenes Schwimmbad und eine angegliederte Physiotherapie offen, Kantine und Schülerclub, Bibliothek und Computer, auch ein Wasserbett in jenem musikberieselten Raum, in dem sie Entspannung finden können – doch darauf zu schließen, in der Carl-von-Linné-Schule herrschten rosige Zustände, wäre vermessen: Der aus den siebziger Jahren stammende, weitläufig angelegte, helle Schulbau ist stark renovierungsbedürftig:

    Die Schule sah 1993, als ich anfing, so aus wie jetzt. Da frag ich mich, wo ist das Geld hin?

    Jetzt wird auch wieder gekürzt, dabei müßte mal renoviert werden. Dahinten sind die Balkone gesperrt, weil Einsturzgefahr besteht.

    Antje hat gerade ein Praktikum hinter sich – und der für sie neue Alltag jenseits der schützenden Schulmauern stimmt sie nicht nur zuversichtlich.

    Das hab ich im Praktikum nach der zweiten Woche gemerkt: Das ist traurig, irgendwann geht die Schule zuende ... und was machst Du dann?!