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Fotoausstellung
Vom Meer gezeichnete Menschen

Wenn das Wetter ungemütlich wird, zieht es Ingo Gebhard an die Küste. Dann macht der Fotograf seine Aufnahmen. Fünf Jahre lang hat er Menschen aus Küstengebieten fotografiert. Das Ergebnis ist ab Sonntag (7.9.) im Hafenmuseum Speicher XI in Bremen zu sehen. Porträtfotos in schwarz-weiß aus seinem Bildband "Meer-Menschen", das aktuell für den Deutschen Fotopreis nominiert ist.

Von Peter Backof |
    "Ich bevorzuge ja genau dieses Wetter: wenn Herbststürme kommen. Windstärke zehn, elf. Da fange ich eigentlich erst an, zu fotografieren."
    Nur in den Monaten Oktober bis März hat Ingo Gebhard fünf Jahre lang Menschen und Landschaften der deutschen Küste fotografiert. Strandpanoramen auf Postkarten zu setzen, das war ein Brotjob in den Neunzigern für den heutigen Berliner, der auf Wangerooge aufgewachsen ist.
    "Ich war bei relativ hohen Winden auf Sylt, am Leuchtturm und da kam mir aus der Entfernung ein älterer Herr entgegen. Irgendwann stand er vor mir. Der Leuchtturm und diese gewaltige Landschaft, vom Sturm durchzaust, da hatte ich die Idee, man müsste dieses beides in Einklang bringen, in einem Buch zeigen."
    So entstand – ganz allmählich, im Zuge von fünf "dunklen" Jahreszeiten - das Buch "Meermenschen". Als aufgefalteter Fotoband sind dreißig Porträts von Nord- und Ostfriesen, 60 mal 80 Zentimeter groß in Bremen zu sehen. Dazu sieben Landschaftspanoramen, diese gleich 60 mal einen Meter 80 groß. Das ist wirkungsmächtig: ein ungefähres Abbild des Wetters, das der Fotograf vor Ort selbst erlebt hat. Alles ist schwarz-weiß. Alles ist analog fotografiert mit Belichtungszeiten von teilweise einer halben Stunde.
    Ein diesig-düsteres Schwarzweißambiente
    "Ich arbeite sehr gerne mit Langzeitbelichtung: um nicht nur einen Moment festzuhalten, sondern eine Zeitspanne. Das hat natürlich zur Folge, dass viele Bildelemente sehr unscharf erscheinen; und Details des Bilds – wie ein Strandkorb, ein Pfahl – scharf sind."
    Scharf sind Reihen von Holzpflöcken, die als Wellenbrecher dienen, in einem Panoroma. Ein diesig-düsteres Schwarzweißambiente wie ein kultischer Ort, ein friesisches Stonehenge. Das eigentlich Besondere sind aber die drei Bildschichten: Strand, Meer, Himmel. In der halben Stunde Belichtungszeit war das Wetter umgeschlagen: Sandwirbel und Gischt sind jetzt milchig weich, der Himmel stellenweise noch – oder schon wieder? - schön. Ein fotografisches Spiel mit der Zeit und mit Naturgewalten. Trotzdem ist das, obwohl es fast schon digital manipuliert wirkt, unretuschierte analoge Fotografie. Ebenso unretuschiert: die Porträts der Insulaner."Klassische Headshots" in der Fotografensprache: Gesichter im Fokus, diese allerdings kurz belichtet.
    "Meine Grundidee war ja, dass das Meer sich in die Gesichter der Menschen einschreibt. Das ist natürlich knallhart den Leuten gegenüber. Man sieht ja jede Pore, jedes Barthaar."
    Die Gesichtslandschaften sind mit extremem Kontrast abgelichtet. Das macht selbst Ingo Gebhards ehemalige Nachbarn auf Wangerooge zu schrulligen Typen und Seebären mit verschlagenem Blick aus der Schwarzweiß-Kino-Ära. Bei der Erstpräsentation auf Wangerooge, wo jeder jeden kennt, wie Gebhard sagt, haben sich die Portraitierten untereinander gar nicht erkannt. Und etwas erstaunliches Zweites kommt dazu: auch Stars wie Otto Waalkes oder den Trio-Schlagzeuger Peter Behrens erkennen wir Nicht-Friesen erst auf den zweiten Blick. Wegen dieser extremen Kontrast-Ästhetik.
    Wind und Wetter ausgesetzt
    Dieses Stilmittel ist der übergeordnete Rahmen, der die Serie zusammenschweißt. Der Strandwärter, der im Sommer den UV-Strahlen und im Winter – ohne Touristen - gähnender Langeweile trotzt, bei Windstärke zehn, elf, steht jetzt in einer Reihe mit einem Strandjäger, der Fasane und Hasen erlegt, die – Wind und Wetter ausgesetzt – tatsächlich salzig schmecken. Das Meer schreibt sich in die Gesichter ein?
    "Es sind ja auch existenzielle Ängste, die die Bewohner auf diesen Inseln haben. Speziell auf der Insel Sylt wird immer mehr Land abgetragen. Ich weiß nicht, wie das in ein-, zweihundert Jahren aussieht."
    Der Klimawandel und davor auch schon ein Leben am Rand der Naturgewalt: es gäbe schon eine friesische Mentalität, einen Kern Wahrheit hinter dem regionalethnologischen Klischee des Friesisch-Herben. These der"Meer-Menschen". Der man glauben mag, wenn man diese atmosphärisch gewaltige Serie gesehen hat. Weit mehr als eine anrührende Heimat-Serie von Ingo Gebhard:
    "Das liegt natürlich im Auge des Betrachters. Also ich finde, man sieht es den Leuten an. Klar ist das einerseits den Umwelteinflüssen zuzuschreiben, aber andererseits: Diese Anmutung, immer mit den Gefahren des Meeres zu leben – Ebbe und Flut auf kleinem Mikrokosmos - das bewirkt schon was bei den Leuten. Das lässt viele auch erstummen: Ein bisschen reservierter, in sich gekehrter, ich denke, das hat schon mit der Naturgewalt zu tun."