Mit dem Öffnen der Tür tut sich ein langer dunkler Gang auf. Ein intensiver Geruch nach Weihrauch hängt in der Luft. Die einzige Lichtquelle scheint ein mannshohes Porträt einer javanischen Tänzerin zu sein - ganz am Ende des Ganges.
Schritt für Schritt nähert sich der Ausstellungsbesucher dem Gesicht, das direkt in die Kamera blickt. "Wenn ich hier durch die Räume laufe, kriege ich eine Gänsehaut. Das wird auch nie anders werden. Obwohl ich diese Bilder schon hunderttausendmal gesehen habe. Und das ist was ganz Besonderes, weil diese Bilder etwas haben, was weit über das Visuelle hinausgeht."
Bernd Kolb ist der Fotograf der 16 ausgestellten Bilder. Anfang Juni hat seine neueste Ausstellung "Atman ist Brahman" in der Berliner Malzfabrik eröffnet. Das Prinzip des ersten Raumes wiederholt sich: lange, dunkle Gänge, langsames Zugehen auf die Porträtierten. Gesichter, mal sanft lächelnd, oft aber scheinbar regungslos. Menschen, in Meditation versunken.
"Die Bilder sind entstanden durch die damals für mich verrückte Idee, dass man das höchste Gewahrsein, nämlich die Verbindung von Menschen in der Meditation, das ‚Sich-auf-den-anderen-einlassen‘ in einer Praxis, in der dieses Ich und Du verschwindet, sich auflöst, zum Eins wird, dass man einen solchen Moment mit einer Kamera festhalten kann."
Auf der Suche nach dem menschlichen Bewusstsein
Bernd Kolb, groß, halblange Haare, offener Blick, setzt sich auf ein niedriges Kanapee im letzten Raum der Ausstellung. Es ist der Raum, der den Besuchern einen behutsamen Übergang in die helle und laute Außenwelt ermöglichen soll. Vogelgezwitscher und Wassergeplätscher sind zu hören.
Für Bernd Kolb waren die Reise und seine Fotografien anfänglich ein großes Experiment ohne Absicht. Seine Bilder wollte er weder ausstellen, noch veröffentlichen. Freunde überredeten ihn dazu.
Zu dem Zeitpunkt war Bernd Kolb schon vieles, aber kein Fotograf. Er gründete eine Werbeagentur, war Unternehmensberater, Internet-Pionier und Telekom-Vorstand - nur Beispiele seiner Karrierestationen. 2012 begann er eine mehrjährige Reise durch Asien.
Kolb wollte mehr über "das Bewusstsein" lernen. Über das "bewusste Sein" im Sinne alter östlicher Kulturen: "Der Hintergrund war, dass mich die Frage beschäftigt hat, wie es unserer heutigen Gesellschaft passieren konnte, dass sie trotz größten Wissens gegen ihre eigenen Interessen handelt. Das gilt für den Einzelnen, der sich selbst ausbeutet, bis hin zum drohenden gesellschaftlichen Kollaps, den wir jetzt mit Artensterben und Klimawandel und vielen, vielen Problemen, die auf uns zukommen, sehen. Deswegen habe ich mich für die Frage des Bewusstseins interessiert. Die großen, alten Kulturen des Ostens haben sich vor vier oder fünftausend Jahren intensiv mit diesem Thema beschäftigt."
Seine Suche führte ihn vom Himalaya bis nach Indonesien. Getragen von der Hoffnung, Relikte alter Weisheits- und Lebenspraktiken zu finden. Eine Suche nach Antworten auf die Frage, welchen "inneren Mangel der Mensch bekämpft, indem er als einzige Spezies einen äußeren Überfluss produziert, der aber langfristig sein Fortbestehen gefährdet", wie Kolb sagt.
"Die Leute, mit denen ich dort jetzt die letzten Jahre verbracht habe, die tun im täglichen Leben nichts, was ihrer Umwelt oder ihrer Natur oder ihren Mitmenschen schaden würde. Aber nicht, weil sie in irgendeiner Form Gutmenschen sind oder weil es da eine Ethik oder Moral gibt, sondern aus einem hohen Bewusstsein heraus, was dem Menschen ein Potenzial eröffnet, was jeder von uns hat. Nämlich das Potenzial des Mitgefühls. Das sind mitfühlende Menschen."
"Hier geht es um die Erfahrung des Seins"
Mit seiner Fotoausstellung "Atman ist Brahman" möchte Kolb weder den Zeigefinger erheben noch in besonderem Maße esoterisch oder gar spirituell - den Begriff lehnt er ab - daherkommen. Sein Wunsch: den Betrachtern der Bilder Mitgefühl zu ermöglichen, das Gefühl einer Verbindung zwischen allem Lebendigem.
Die Ausstellung ist nur geführt zu erleben. Vor Betreten der Räume gibt ein Guide eine kurze Anleitung zum Betrachten der Fotos. Er empfiehlt ein paar Minuten bei jedem Porträt zu verharren, möglichst nicht zu zwinkern und sich völlig auf die Bilder einzulassen. Ab dann wird geschwiegen.
"Hier geht es um eine Erfahrung des Seins. Eine Erfahrung, die umso einfacher zugänglich ist, je weniger man versucht, sie zu begreifen. Ich lade ein, mit sich selbst in Berührung zu kommen und die Bilder ermöglichen das insofern, als dass diese abgebildeten Menschen in diesem Moment ganz bei sich selbst sind. Und sich dann etwas zeigt, was ja das eigentlich Überraschende ist. Was den Verstand auch definitiv überfordert, nämlich: Atman ist Brahman. Atman, das wahre Selbst, ist Brahman, der Ozean des Seins, des Einen, des Alls, des Universums."
Neue Lebensaufgabe auf Java
Bernd Kolb wünscht den Besuchern in Zwiesprache mit den Porträtierten, sich des Wunders der Schöpfung bewusst zu werden und sich selbst als Teil dessen erleben zu können.
"Es geht ja hier nicht darum, sich Gesichter anzuschauen. Sondern wer sich hier einlassen kann, begegnet sich am Ende ja selbst. Ich möchte den Menschen Zugang ermöglichen. Und zwar letztendlich Zugang zu sich selbst. Ich habe keine Ideologie. Ich gehöre keiner Religionsgruppe an. Ich bin niemand, der eine Meinung verkauft und der möchte, dass man mir Dinge glaubt. Sondern ich bin jemand, der selbst erfahren durfte, der sich selbst begegnet ist. Der erfahren durfte, was dieses Wunder der Schöpfung eigentlich ist."
Immer wieder tun ihn Menschen auch als Esoteriker ab. Aber mit solcher Kritik weiß Kolb umzugehen.
"Ich tue, was ich tue, in einer vollkommenen Reinheit. Ich biedere mich niemandem an und ich tue vor allen Dingen nichts, um irgendjemanden zu gefallen. Und mir ist schon klar, dass Leute, die einen Horizont haben, der vollkommen verstandesorientiert ist, dass die wahrscheinlich sich schwer tun mit dem, was ich sage."
In Deutschland ist Bernd Kolb nur noch selten. Mittlerweile lebt er auf Java. Anlass sich dort niederzulassen, gab ihm die Entdeckung des Kejawèn, der alten javanischen religiösen Bräuche und Kultur.
"Das ist mitunter für mich bei allem, was ich in Asien gesehen habe, einer der reichsten Schätze an Menschheitsgedächtnis. Das ist so unentdeckt. Das kennt eigentlich fast niemand. Kejawèn wird dort als Religion rechtlich anerkannt. Kejawèn, bedeutet übersetzt: ‚die Kultur des Java‘, bezeichnet sich aber ausdrücklich als Nicht-Religion. Hat auch kein Buch, hat niemand verschriftlicht, ist eine orale Tradition."
Vor wenigen Monaten erst haben Bernd Kolb und seine javanische Frau in Yogyakarta, ihrem Wohnort, einen Tempel gebaut und eröffnet.* Regelmäßig wollen sie dort jetzt Retreats veranstalten, um auch das Kejawén lebendig zu halten. Weisheiten, die auszusterben drohen, meint Kolb.
Kolb scheint es sich zur neuen Lebensaufgabe gemacht zu haben, altes Wissen östlicher Kulturen und Religionen bewahren zu wollen.
* Ursprünglich hieß es hier, Bernd Kolb und seine Frau hätten einen Kejawèn-Tempel gebaut und eröffnet. Bernd Kolb legt Wert drauf, dass es sich nicht um einen Kejawèn-Tempel handelt, sondern um einen Tempel, der keiner Religionsgemeinschaft oder Ideologie zuzuordnen ist.