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Fotogener Vollbart

Selten ist ein Übersetzer bekannter als sein Autor. Doch Harry Rowohlt hat inzwischen Kultstatus gewonnen und sein Name ist zur Marke geworden. Schuld an dieser Rolle, die dem Verkauf zwar gut tut, den kritischen Blick aber zuweilen trübt, sind weniger seine unbestrittenen Fähigkeiten als Übersetzer, als vielmehr sein fotogener Vollbart, seine sympathische Stimme und die einnehmende Art, mit der er aus den Werken seiner Autoren vorliest. Dass diese häufig aus Irland stammen, fällt einem spätestens auf, hört man den whiskeywarmen Klang des Rowohlt’schen Sprechorgans.

Von Tobias Lehmkuhl | 20.02.2004
    Irland, gesehen mit den Augen von Flann O’Brien? Schnapsidee! Der hat sich doch kaum je aus seiner Kneipe herausbewegt, wird mir, als wüsste ich das alles nicht längst, entgegengehalten. Der wahnsinnige Sweeney, der ist ganz schön herumgekommen, aber Flann O’Brien, kannste vergessen! Erstens ist der wahnsinnige Sweeney Flann O’Briens Kopf teilweise entsprungen und zweitens hatte Flann O’Brien ein Auto, sage ich trotzig. Der alte Suffkopp hatte ein Auto? Erzähl mal. Und wieder versickert eine Informationsquelle. Ich habe es satt, so ist es immer; anstatt mir etwas zu erzählen, wollen sich die Iren etwas von mir erzählen lassen.

    Drei jetzt erschienene Hörbücher zeugen von Rowohlts besonderer Vorliebe für Flann O’Brien. Eines von ihnen heißt schlicht "Harry Rowohlt liest Flann O’Brien". Es bietet allerdings nur einen schmalen Einblick in das Werk des irischen Schriftstellers. Neben drei feuilletonistischen Texten und einem Roman-Auszug nimmt sich Rowohlts eigener Essay "Irland, mit den Augen von Flann O’Brien gesehen" am interessantesten aus. Darin vermittelt der Übersetzer und Vorleser, ohne direkt von dessen Büchern zu sprechen, ein Bild vom literarischen Universum O’Briens, in dem wilde literarische Fantasie und realistische Gesellschaftsschilderung zusammen kommen.

    Auf außerordentliche Weise mischen sich das Spiel mit verschiedenen Ebenen der Fiktion und die Darstellung unterschiedlicher Milieus in O’Briens Opus Magnum Auf Schwimmen-zwei-Vögel, das erstmals 1939 erschien. Es hat dem Autor den Vergleich mit James Joyce eingebracht, wofür er allerdings das Seinige tat, indem er mit Anspielungen auf den Übervater der modernen irischen Literatur nicht geizte. Erzählt wird aus der Perspektive eines verlotterten Studenten, der einen Großteil seiner Zeit im Bett verbringt und sich nicht damit zufrieden geben will, dass ein Roman nur einen Anfang haben soll. So entwirft er eine Reihe von Romananfängen, aus denen im Laufe des Buches dann mehrere, schließlich ineinandergreifende Geschichten hervorgehen. Da ist zum Beispiel der bereits erwähnte Bericht über die wahnsinnige Sagengestalt Sweeney oder die Idee, dass eine Biographie auch ohne Kindheit und Jugend auskommen kann.

    Mr John Furriskeys Erscheinung war keineswegs außergewöhnlich; trotzdem hatte er eine Eigenschaft, die man äußerst selten antreffen dürfte – er wurde nämlich im Alter von 25 Jahren geboren und kam mit einem Gedächtnis zur Welt, aber ohne jede persönliche Erfahrung, die dessen Vorhandensein begründet hätte. Seine Zähne waren wohlgeformt, aber von Tabak verfärbt; zwei Backenzähne waren gefüllt, und im linken Eckzahn drohte ein Loch zu entstehen. Seine physikalischen Kenntnisse waren bescheiden, sie reichten bis zu Boyles Gesetz und dem Parallelogramm der Kräfte.

    Auf acht CDs hat Harry Rowohlt den Roman seines Lieblingsautors jetzt vollständig eingesprochen. Seine Fans werden begeistert sein: Fast zehn Stunden lang brummt und poltert, plaudert und faselt, flötet und trötet der Meister, was das Zeug hält. Er fährt sein reichhaltiges Repertoire an Stimmen und Stimmfärbungen auf, behält dabei die Übersicht und liest jeden Satz mit großer Leidenschaft. Dass er manchesmal zu dick aufträgt und statt ein Augenzwinkern anzudeuten auf einen Schenkelklopfer schielt, mag verzeihlich scheinen. Besser noch entspricht Rowohlts eher komische denn ironische Art dem dramatischem Einakter "Durst", den er nun als drittes O’Brien-Hörbuch aufgenommen hat.

    Elendig schlimm war’s für uns da draußen in der Wüste. Niemand der das erlebt hat, wird je die Erinnerung daran aus seinem Sinn verlieren, nicht mal, wenn er sich das Gehirn waschen ließe. Und das ist Tatsache. - Jem: Und das Gehirn würde ich mir bei Gott nur höchst ungern waschen lassen. Es ist schon schlimm genug wenn man sich... - Mr C.: Da war eine Abteilung arabischer Wahnsinniger, weit weg in der Wüste bei einer oder der anderen Oase gesichtet worden und nun sammelten sie sich, um auszurücken und uns anzugreifen - Peter: O Gott. - Mr C.: Es waren vielleicht tausend Mann und noch mehr davon kamen auf Kamelen, um zu ihnen zu stoßen. - Peter: Kamele würden mich nervös machen.

    Herrlich rasant gestaltet Rowohlt in Durst den Wechsel der Stimmen und Stimmungen. Ein Wirt, Mr C., wird nach der Sperrstunde dabei ertappt, wie er zwei Gästen ausschenkt. Um den Sergeant milde zu stimmen und ihm Verständnis, am Ende vielleicht sogar Whiskey einzuflößen, bietet Mr C. all seine Beredsamkeit auf. Und wenn man anfangs nicht erkennt, warum er so leidenschaftlich von seinen Weltkriegs-Erlebnissen in der Wüste Mesopotamiens erzählt, wird einem spätestens bei der Beschreibung der unwahrscheinlichen Hitze klar, worum es ihm geht: Indem er vom eigentlichen Beweggrund des Trinkens spricht, will er diesen entfachen: den Durst. Danach hat sich auch Rowohlt sein Glas verdient.

    Ich erkläre hiermit und Gott ist mein Zeuge, dass die Sonne sich auf uns hernieder senkte, aus dem Himmel herab. Mit jeder Minuten schien sie sich tiefer zu senken, tiefer und noch tiefer, runter, runter auf unseren Kopf Die Hitze, meine Herren, die Hitze! (Stürzt eilig sein Getränk herunter).

    Flann O’Brien
    Auf Schwimmen-zwei-Vögel. Gelesen von Harry Rowohlt
    Kein und Aber Verlag, 8 CD, 572 Minuten, EUR 49,-

    Ders., Durst. Gelesen von Harry Rowohlt
    Kein und Aber Verlag, 1 CD, 44 Minuten, EUR 13,95