Freitag, 19. April 2024

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Fotograf Wolfgang Tillmans
"Ich wollte ein Gefühl von Freiheit übersetzen"

Mit der Londoner Tate Modern und der Baseler Fondation Beyeler würdigen gleich zwei große Museen den Turner-Preisträger Wolfgang Tillmans mit großen Werkschauen. Dabei habe ihn das Fotografieren an sich nie besonders interessiert, sagt Tillmans im DLF. Es sei lediglich ein Mittel, um Gefühle und Ideen in Bilder zu übersetzen.

Wolfgang Tillmans im Corsogespräch mit Achim Hahn | 30.05.2017
    Der Fotograf Wolfgang Tillmans
    Der Fotograf Wolfgang Tillmanns ist einer der erfolgreichsten und aufregendsten Fotokünstler der Gegenwart. (imago / APress)
    Achim Hahn: Seine Porträts von Partygängern und Ravern haben ihn in den 90ern bekannt gemacht. Seitdem ist Wolfgang Tillmans längst ein Popstar unter den deutschen Fotografen geworden. Erster deutscher Turner-Preisträger – die Museen jedenfalls reißen sich um ihn. Derzeit läuft in der Londoner Tate Modern eine große Werkschau und seit Sonntag wurde in Basel in der Fondation Beyeler eine weitere Retrospektive eröffnet. 200 fotografische Arbeiten, von 1989 bis 2017 – und eine neue, audiovisuelle Installation. Hallo, Herr Tillmans.
    Wolfgang Tillmans: Ja, guten Tag.
    Hahn: Zwei so bedeutende Werkausstellungen innerhalb eines Jahres – gerade hat auch eines ihrer Fotos den Sensationspreis von 600 000 Dollar erreicht, habe ich gelesen. Was macht das mit einem, der in der Subkultur angefangen hat und sich längst in den heiligen Hallen der Hochkultur etabliert hat?
    Tillmans: Also, es ist ja zum Glück nicht über Nacht gekommen. Das erste Buch 1995, die erste Museums-Ausstellungs-Tournee 2001 waren natürlich seinerzeit auch riesige Schritte. Und gleichzeitig ist natürlich die Fallhöhe, die Fallhöhe wird auch immer höher. Ich bin zumindest nicht gelangweilt und bin weiterhin neugierig, weiterzumachen. In gewisser Weise fühle ich mich tatsächlich erst, als ginge es jetzt auch noch mal weiter, in verschiedene Richtungen.
    "Mein Interesse war das Bildermachen"
    Hahn: Bedeutet das denn mehr Freiheit für Sie? Denn Sie haben mal gesagt, dass Sie nicht mehr ständig und immer und überall fotografieren?
    Tillmans: Hm, also Fotografieren ist ein ganz kleiner Prozentteil meiner Zeit. Ich arbeite nicht, dass ich ständig alles fotografiere. Wenn also in so einer Ausstellung, in Basel jetzt, gut 200 Bilder zu sehen sind aus fast 30 Jahren, dann sind das weniger als zehn pro Jahr. Diese Beschleunigung des Bildermachens hat mich eigentlich noch nie interessiert. Also für mich war das Interesse nicht das Fotografieren an sich, sondern das Bildermachen. Und da habe ich nach Benutzen aller möglicher Medien eigentlich erst zu allerletzt die Fotografie entdeckt. Und bin seitdem nicht müde geworden, also mich nicht gelangweilt davon. Weil das, was das tut, nämlich Licht in Farbstoffe umzuwandeln auf Papier, das ist ein endlos wundersamer Prozess.
    "Was wird von der Kunst erwartet?"
    Hahn: An der aktuellen Ausstellung in Basel haben Sie selber sehr intensiv mitgearbeitet, indem Sie zum Beispiel die Ausstellungsräume als Mini-Modell in Ihrem Berliner Studio nachbauten. Was schwebte Ihnen vor?
    Tillmans: Ich wollte vor allen Dingen ein Gefühl von Freiheit übersetzen. Dass eine Idee von Spiel, ein Spiel mit dem Auge auch in politisch herausfordernden Zeiten … wir uns nicht die Freiheit der Kunst oder die Freiheit zu feiern, die Freiheit der Freundschaft verbieten lassen. Die wird uns nicht verboten, aber manchmal denkt man so im Kopf, das dürfte man jetzt nicht. Oder ich wurde auch in den letzten zwei Jahren oft gefragt: Wie muss sich jetzt die Kunst mit der politischen Situation auseinandersetzen? Was wird von der Kunst erwartet? Und da hab ich, also persönlich, zweierlei Ansätze:
    Einerseits bin ich aktivistisch aktiv und auf der anderen Seite denke ich: Nein, das ist auch wichtig, dass wir an genau den Freiheiten, die wir schätzen und für die andere Generationen vor uns gekämpft haben, dass wir daran auch festhalten und sie ausleben.
    "Mut zur Unvollständigkeit"
    Hahn: Sie zeigen Arbeiten aus den vergangenen 30 Jahren. Warum liegen Ihnen diese Bilder am Herzen? Der "Tukan" beispielsweise, die "Concorde-Serie" oder auch die Farbschlieren und Zufallszeichnungen, die man unter dem Titel "Freischwimmer-Serie" kennt.
    Tillmans: Das ist das Spannende an so einem Ausstellungsprojekt, was, in diesem Fall zum Beispiel, vor drei Jahren mit der Einladung dazu begonnen hat, also dass es eine Gedankensammlung im Hinterkopf ist, die dann immer konkreter wird, je näher der Ausstellungstermin rückt. Und ich mich dann frage: Was ist denn das Wesentliche aus dieser Zeit? Und das Einzige, was dann eigentlich zu einer guten Ausstellung führt, ist, den Mut zur Unvollständigkeit zu haben.
    Also, ich bin gegangen nach ganz persönlichen Favoriten: Auch Bilder, die ich auch vor 15 Jahren zum Beispiel gemacht hatte, wo es aber zu der Zeit andere Bilder gab, die mir vielleicht wichtiger waren. Und ich jetzt erst, durch die Klarheit des Blickes und der Zeit, diese neu bewerten konnte. Zum Beispiel ist ein Moment in der Ausstellung, das sind zwei Bilder von einem Fenster, aus verschiedenen Abständen, auf denen jeweils ein Baum zu sehen ist: Das eine ist "Tree Filling Window" und das andere heißt "Window Shaped Tree". Und das ist eigentlich ein schwarz-weiß Negativ, aber ich hab es vergrößert in einem ganz intensiven Grün. Und die sitzen in dem Raum plötzlich wie wirkliche Fenster. Und die hab ich so noch nie gezeigt und sie sehen dadurch frisch und völlig überraschend aus – auch für Kenner meiner Arbeit.
    Und andererseits ist es jetzt nicht so, dass ich irgendwelche Bilder aus der Vergangenheit hier nun neu erfunden habe, sondern die waren auch damals in Büchern abgebildet. Aber so ist das jetzt eine ganz persönliche Auswahl, natürlich entstanden im Gespräch mit der Kuratorin Theodora Fischer. Aber es soll irgendwie einem Mut machen, angstfrei in die Welt zu gucken und seinen Augen zu trauen, solange man weiß, was die Augen tun. Also, das hilft natürlich, Dinge von verschiedenen Perspektiven zu betrachten – und auch dem ersten Anschein vielleicht zu misstrauen. Oder dann wieder doch auch zurückzukommen dahin, wie es auf den ersten Blick aussah.
    "Keine falsche Sicherheit"
    Hahn: Die Ausstellungsarbeit liegt nun hinter Ihnen – gibt es schon neue Projekte?
    Tillmans: Ich arbeite an Musik im Moment mit dem Londoner Musiker Powell – und wir arbeiten an einem Auftritt beim Atonal-Festival in Berlin, im August. Und dann überlege ich weiter, wie ich politische Aktivitäten, jetzt auf den kommenden deutschen Kontext, umwandeln kann, bündeln kann und ich denke, das ist ganz wichtig, sich jetzt nicht durch die Wahl in Frankreich in falscher Sicherheit zu fühlen. Denn man muss sich vorstellen: In Deutschland kommt es jetzt zwar nicht zu irgendwelchen Regierungswechsel in Richtung "rechtsextrem", aber die Vorstellung, dass man eventuell ab Oktober für vier Jahre diese Stimmen im Bundestag hören muss und dann auch in Nachrichtensendungen hören muss, die lässt mich schon schaudern. Und deshalb ist es ganz wichtig, auch hier wieder eine Bundestags-Wahlbeteiligung … Trägheit überwinden, denn die AfD kriegt man auch nur weg, durch eben besonders hohe Wahlbeteiligung von anständigen Leuten.
    Hahn: Wolfgang Tillmans, vielen Dank für dieses Corsogespräch. Die aktuelle Ausstellung in der Fondation Beyeler in Basel ist noch bis zum 1. Oktober zu sehen, die Londoner Ausstellung nur noch bis zum 11. Juni. Und ab dem 22. September startet eine Einzelschau im Kunstverein in Hamburg.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.