Archiv

Fotografie
Armutsbericht von oben

Der Reichtum eines Landes macht sich vor allem an einem fest: An seiner nächtlichen Beleuchtung. Eindrucksvoll zeigt sich dies in der Ausstellung "Urbanes Leuchten" in Ulm, in der unter anderem Satellitenaufnahmen von Städten zu sehen sind.

Von Christian Gampert |
    Die Weisen aus dem Morgenland müssen Astrologen gewesen sein: Sie folgten ihrem Stern bis nach Bethlehem. Vielleicht deshalb sind um die Weihnachtszeit Ausstellungen so beliebt, die den Blick in den fernen Weltenraum richten und – zum Beispiel - die Schönheit galaktischer Sphären feiern.
    Eine Ausstellung im Ulmer Stadthaus kehrt diese Perspektive nun um: Sie richtet den Blick aus der Erdumlaufbahn eines Spezial-Satelliten der NASA zurück auf die Erde. Und zwar ausschließlich nachts. Mit einem besonderen Sensor konnte dieser Satellit im Jahr 2011 auch die dunkle Seite der Erdkugel fotografieren, aus 824 Kilometern Höhe. 22 Tage lang wurden diese Nachtbilder nach unten gefunkt, und viele der nun gezeigten digitalen Prints sind natürlich aus mehreren Aufnahmen zusammengesetzt. Sie sind fast alle schwarz-weiß oder changieren ins Grau, manche zeigen auch beleuchtungsverändernde "Mondphasen über dem Persischen Golf, einige wenige sind bearbeitungstechnisch in ein schönes Ultramarin getaucht. Der Clou an diesen Bildern ist, dass alle natürlichen Lichtquellen herausgefiltert wurden; was übrig bleibt, ist das nächtliche Kunstlicht, und das heißt: das Leuchten der Zivilisation.
    Der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch hat schon 1983 die Folgen der künstlichen Helligkeit vor allem für die westlichen Gesellschaften beschrieben: Seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es auf einmal eine zweite Tageshälfte, mit allen Folgen – nächtliche Ausschweifung, nächtliche Kontrolle, Nacht-Arbeit. Seit die Elektrifizierung potenziell weltweit möglich ist, zeigt die Nachtseite der Erde aber vor allem eines: die ungleiche Verteilung von Reichtum. Ist Europa ein dichtes Lichtermeer, so bleibt der afrikanische Kontinent absolut dunkel, mit wenigen Lichtquellen vor allem am Rand, am Meer. Ist die amerikanische Ostküste und Florida dicht besiedelt und beleuchtet, so nehmen die Lichtquellen in Richtung mittlerer Westen immer mehr ab; dann folgt ein großes schwarzes Loch, bis die Lichter Kaliforniens auftauchen. In Asien zeigt sich die Konzentration des Kapitals auf wenige Metropolen am schonungslosesten, ähnlich in den arabischen Ländern. In Australien sind die produktiven Küstenstädte deutlich erkennbar, aber auch im Landesinnern flackern merkwürdige Zeichen – es sind die großen Buschfeuer der Eingeborenen. Südkorea ist gut beleuchtet, Nordkorea ein schwarzes Tuch. Zoomt man noch näher heran, so kann man etwa in Ägypten die helle, gekrümmte Schlange des Nils und das Nildelta gut verfolgen, 97 Prozent der Bevölkerung lebt dort. Die israelische Küstenebene um Tel Aviv ist lichtdurchflutet, die arabischen Nachbarn weitgehend dunkel. Aber man sieht deutlich Jerusalem, Amman, Damaskus und am Meer Haifa und Beirut; schaut von oben sehr friedlich aus. In Europa sind die industriellen Zentren gut erkennbar, in Frankreich die Pariser Zentralisierung, in Deutschland Ruhrgebiet und Berlin.
    Mit etwas Fantasie sehen diese Bilder aus wie manche Werke des abstrakten Expressionismus, etwa von Sam Francis, nur eben schwarz-weiß; sie sind aber vor allem Diagnosen unserer Weltordnung, unserer Abhängigkeit vom Wasser, vom Wissen, von Bodenschätzen. Sie sind ein Armuts-Bericht aus großer Höhe. Flankiert werden diese Zustands-Beschreibungen in der Ulmer Ausstellung von beeindruckenden Arbeiten der Fotografen Wolfgang Reichmann und Christian Höhn. Reichmann setzt sein im Widerschein der Lichter zartrosa funkelndes, gigantisches New-York-Panorama aus 30 Tafeln zusammen, die uns in das Gewühl der Großstadt ziehen. Höhn hat sich auf asiatische Megacitys spezialisiert, deren nächtliches Schimmern eine Mischung aus Bewunderung und Angst erzeugt: hier, in diesen wehrhaften Türmen, in diesem Meer aus Glas, Stein und Stahl, wird zum Teil rund um die Uhr gearbeitet; der ausgebeutete Mensch ist ein Nichts, er funktioniert irgendwie, in Tokio, Schanghai, Hongkong, Quingdao, Shenzhen, auch in Singapur. Im arabischen Dubai vermitteln die leeren Strandliegen am Meer eine gespenstische Nachtstimmung – sie erzählen vom Verschwinden des Individuums, weil dahinter gleich die anonyme Geschäftswelt mit ihren Skyscrapern dröhnt.
    Christian Höhn inszeniert seine Fotografien zum Teil als Panorama-Leuchtkästen wie Jeff Wall. Sie sind das herangezoomte Detail, das Gegenstück zu den Weltraumbildern der NASA, die uns von der Erde so unfassbar weit entfernen. Aber beide belegen nur eines: die Unregierbarkeit der Welt.