Freitag, 03. Mai 2024

Archiv

Fotografie
Die Magie eines Mediums

175 Jahre nach Erfindung der Fotografie versucht das Museum Folkwang in Essen zu klären, was das Medium ist und was es kann. In der vielfältigen Ausstellung "(Mis)Understanding Photography" werden fotografische Ikonen entmystifiziert und der Obsession des Sammelns auf den Grund gegangen.

Von Georg Imdahl | 16.06.2014
    Eine alte Spiegelreflexkamera vom Typ Praktica MTL 5 hängt an einem Band vor einem Bauch.
    Die Ausstellung erörtert auch das Verhältnis zwischen analoger und digitaler Fotografie. (picture alliance / ZB - Peter Endig)
    Manche Amateurfotos finde er "besser als den besten Cézanne", hat der Maler Gerhard Richter einmal festgestellt. Sicherlich eine gewagte Behauptung. Doch viele Teilnehmer der Ausstellung "(Mis)Understanding Photography" dürften mit dieser Ansicht zumindest sympathisieren. Fotografieren bedeutet für sie jedenfalls nicht, Meisterwerke zu erschaffen, die mit der Malerei konkurrieren – wie es die Düsseldorfer Fotoschule vorgemacht hat. Ausgestellt sind in Essen vielmehr experimentelle Bilder, in denen sich die Fotografie selbst bespiegelt, so Florian Ebner, Kurator der materialreichen Ausstellung.
    "Die Idee der Ausstellung folgt eigentlich der einfachen Beobachtung, dass oftmals Künstlerinnen und Künstler vor allem seit den 1970er-Jahren auf sehr pointierte Weise Fotografie kommentieren in verschiedenster Hinsicht. Beginnend mit dem Aufnahmeprozess und dem Material – wie stellt Fotografie sichtbare Wirklichkeit dar? – bis hin zu dem Abarbeiten am gedruckten Bild, an den Ikonen, die wir in den Köpfen haben, auch im ironischen Spiel mit der Kritik am Dokument und der vermeintlichen Evidenz der Fotografie als visuelles Dokument der Wissenschaft."
    Die eigene Realität des Fotos
    So hängt besagte Evidenz der Fotografie maßgeblich vom Bildausschnitt ab. Und von der Information, die dazu geliefert wird. Mit sarkastischem Humor verdeutlicht dies der Brite John Hilliard schon 1974. Auf vier identischen Fotos ist unter einer Plane jeweils dieselbe Leiche zu erkennen. Nur im Ausschnitt unterscheiden sich die Abzüge voneinander: Einmal steht lakonisch "Ertrunken" darunter und man sieht neben dem leblosen Körper einen Fluss. Dann lautet die Bildzeile "Gestürzt", und der Leichnam liegt an einer Mauer; dann wiederum heißt es "Verbrannt", und man sieht ein Lagerfeuer. Und schließlich steht unter dem vierten Foto "Erschlagen", und einige dicke Steine sind zu einem Haufen aufgetürmt. Und jedes Mal erscheint uns das einzelne Bild vollkommen glaubwürdig.
    Die Ausstellung erörtert eingangs das Verhältnis von analoger und digitaler Fotografie. "Porträts und Kameras" nennt der Niederländer Hans Eijkelboom eine Serie, in der er Fotos seiner selbst jeweils mit einer Reklame für die Kamera des Jahres paart. So entsteht eine Autobiografie von 1949 bis 2009, in welcher der Künstler altert, während die Apparate jünger werden.
    Ein anderes Thema ist die triviale Fotografie und ihre Verwertung im Kunstkontext. So hatte Hans-Peter Feldmann schon 1976 Plakate aus einem Kaufhaus als Siebdrucke vervielfältigt – und bestückte damit eine ganze Wand im Museum Folkwang. Diese kitschige Kollektion mit Liebespaaren im Sonnenuntergang, damals ein purer Affront gegen den guten Kunstgeschmack, wirkt heute bereits nostalgisch.
    Die Obsessionen des Sammelns
    In einem weiteren Kapitel geht es um künstlerische Reaktionen auf die Kriegs- und Reportagefotografie. Wie auf das berühmte Bild von Robert Capa aus dem Spanischen Bürgerkrieg oder die Exekution eines Vietcong auf offener Straße in Saigon. Zbigniew Libera, Pavel Maria Smejkal und das Wiener Kollektiv G.R.A.M. verfremden die Bilder mit Photoshop oder stellen sie auf makabre Art nach, um sie zu entmystifizieren.
    Schließlich legt die Ausstellung einen Schwerpunkt auf die Obsessionen des Sammelns. Legendär ist ein Projekt von Larry Sultan und Mark Mandel: Die beiden Amerikaner hatten in den 70er-Jahren Hunderte von militärischen Fotoarchiven durchstöbert und am Ende rund zwei Millionen Fotos gesichtet. Aus diesen trafen sie eine persönliche Auswahl und legten in Buchform eine eigene Bildstrecke an. Diese diente dem erklärten Ziel, jenes grenzenlose Vertrauen in die Technik zu erschüttern, welches die wissenschaftlichen Bilder gerade hatten stärken sollen.
    Das Missverständnis, von dem im Titel "(Mis)Understanding Photography" die Rede ist, wirkt sich also produktiv aus. Insgesamt fahndet die Ausstellung auf anregende Weise nach Erkenntnis über die Fotografie, anstatt mit deren heutiger Opulenz punkten zu wollen.