Donnerstag, 25. April 2024

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Fotografie in Corona-Zeiten
Leere Räume der Erwartung

Die Landschafts- oder Stadtansicht ist ein Klassiker der Kunstgeschichte und der Fotografie - bislang fast immer mit Menschen. Nun sehen wir seit einigen Wochen immer mehr Aufnahmen von menschenleeren Orten. Entsteht durch Corona gerade ein ganz neues Genre?

Hanno Rauterberg im Gespräch mit Christiane Florin | 09.04.2020
Das Foto zeigt die Via Roma, die wichtigste Fußgängerzone im Zentrum von Turin, die menschenleer ist. Grund ist das Coronavirus
Architektur wird wieder sichtbar: die menschenleere Fußgängerzone Via Roma im Zentrum von Turin (picture alliance / dpa / Alessandro Vecchi)
Die Menschenleere der Bilder, die gerade entstehen, habe nichts Bedrohliches, sagte Hanno Rauterberg, Redakteur, Kunst- und Architekturkritiker der Wochenzeitung "Die Zeit" in Hamburg. Trotzdem würden sie als etwas Besonderes erlebt:
"Schon in der klassischen Landschaftsmalerei ist der Mensch oft nur Staffage: um die Erhabenheit und Schönheit, auch das von Menschen Unberührte der Natur hervorzuheben. Oft auch ein Blick von oben herab. Hier allerdings, in den Städtebildern, die nun ohne Menschen entstehen, blicken wir auf eine von Menschen gemachte Schönheit – und also auf die Erhabenheit der Städte, der Architektur; auf leere Räume der Erwartung. Maler wie zum Beispiel Leonardo waren ja immer auch Forscher."
"Abbild des Unbewussten"
Künstler wie Thomas Struth hätten auch schon früher leere Stadtlandschaften fotografiert. Das sei bislang aber eigentlich nur an frühen Sonntagmorgenden möglich gewesen, wenn noch keine Menschen unterwegs waren: "Seine Reihe 'Unconscious Places' hat gezeigt, dass Stadtlandschaft immer auch ein Abbild des Unbewussten ist."
Die Vedute, eine Landschafts- oder Stadtansicht, entstand als eigenes Genre im 17. Jahrhundert - auch wenn es vorher schon entsprechende Darstellungen gab. Vorher wurden vor allem so genannte "ideale Landschaften" gemalt, die bestimmten formalen Vorgaben und kompositorischen Vorgaben entsprechen mussten. Nun ging es für die noch meist männlichen Maler darum, das Gesehene so wirklichkeitsnah wie möglich wiederzugeben: Vor allem englische Aristokraten wollten von ihren in Mode gekommenen Bildungsreisen nach Italien gemalte Souvenirs mit nach Hause nehmen. Um die Szenen lebendig werden zu lassen, gehörten Menschen von Anfang an fest zum Bildinventar. Bald gab es auch in anderen europäischen Ländern Interesse: Die Ansicht des Stadtpanoramas von Dresden malte Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, 1748 vom rechten Elbufer aus.
Allgemein spreche aus der Darstellung von Landschaft immer auch ein Kontrollimpuls, erläuterte Hanno Rauterberg im Deutschlandfunk.
"Das ist ein Akt der Naturaneignung und Naturbeherrschung durch Kartografie. Etwas Unüberschaubares wird überschaubar gemacht, angenehm sortiert. In diesem Sinne erlaubt die Drohne nun eine Schwerelosigkeit, den Gottesblick. Aber was sieht er? Dass der Mensch in seinem Kontrollverlangen scheitert. Weil er sich selbst wegsperren muss, weil er nicht will, dass ihm ein Partikelchen Natur wie das Virus sein Leben nimmt."