Karin Fischer: Es ist viel geschrieben und auch viel spekuliert worden über das Foto von Jewgeni Chaldej, das zum Sinnbild des sowjetischen Sieges über den Faschismus wurde und außerdem zu den Ikonen der Fotografiegeschichte gehört. Drei Soldaten hissen auf dem Dach des Reichstags die rote Fahne. Chaldej war damals 28-jähriger Kriegsfotograf, und das berühmte Foto war nachgestellt, wie man längst weiß, denn am Abend des 30. April, als sowjetische Soldaten den Reichstag stürmten, war es für ein Foto schon zu dunkel, die Aufnahme stammt vom Morgen des 2. Mai. Jetzt kann man ihre Geschichte wie auch andere Fotos von Chaldej in einer Ausstellung im Martin-Gropius-Bau in Berlin kennenlernen, die morgen eröffnet wird.
Frage an meinen Kollegen Carsten Probst: Wie sehr manipuliert war denn dieses Bild?
Carsten Probst: Ja, Sie haben es ja selbst schon erwähnt, es wurde sehr viel spekuliert, es wurde ja sogar vermutet, dass es komplett nachgestellt worden sei in einem Studio in Moskau. Chaldej selbst hat immer gesagt, dieses Foto ist am Ort entstanden. In dieser Ausstellung nun sind mehrere Variationen desselben Motivs immer wieder zu sehen, verschiedene Stufen auch der Manipulation lassen sich dadurch sehr schön nachvollziehen. Also die berühmten Rauchschwaden des brennenden Berlins im Hintergrund sind genauso hineinmontiert wie die doppelte Armbanduhr am Handgelenk eines der Soldaten, die da die Fahne halten. Die wurde wegretuschiert, weil sie sozusagen auf die privaten Beutezeuge der Rotarmisten in Berlin verweist. Aber es gibt dann eben auch zum Beispiel eine Version, wo sich die rote Fahne extrem bauscht, was unglaublich sichtbar nachträglich besorgt wurde. Und da gibt es eben auch noch die berühmte Urversion, die also all diese Manipulationen sehr schön nachvollziehbar macht.
Aber wie Sie es schon sagten, es gab ja auch diese Umstände, die das Ganze noch weiter ausgeschmückt haben. Es gab bereits eine rote Fahne auf dem Reichstag von wenigen Tagen zuvor, und Chaldej hat diese rote Fahne, die auf diesem berühmten Foto nun zu sehen ist, auch bekanntermaßen selber mitgebracht unter seinem Wams und dann auch extra Soldaten dafür angestellt, diese Szene so nachzuspielen. Für ihn selbst hatte das sozusagen eher eine Art naturalistisches Amüsement als so eine Art Manipulation. Er nannte es eher Korrektur.
Fischer: Das ist ja nicht das einzige Bild Chaldejs, das ikonografischen Charakter hat. Man kann ja sagen, es gehörte zu seinem Arbeitsprinzip, die Bilder so zu schaffen, reportageartig, und doch höchst artifiziell komponiert.
Probst: Ja, das ist richtig. Er hat ja auch noch mehrere Ikonen geschaffen, die allesamt oder zum größten Teil irgendwie manipuliert sind, wie gesagt auch eher im Sinne einer Korrektur, also die berühmte Fliegerstaffel über dem zerstörten Reichstag. Aber er hat auch andere Bilder, hoch offizielle Bilder von der Potsdamer Konferenz oder von den Nürnberger Prozessen geliefert. Ähnlich, glaube ich, ein bisschen wie Robert Capa hat Chaldej sich aber eigentlich sehr stark auf diesen berühmten, bedeutenden Augenblick versucht zu konzentrieren. Das hat er so ein bisschen von Cartier-Bresson gelernt, den er, salopp gesagt, versucht hat, wohl ein bisschen auch in diese sowjetische Propagandafotografie einzubauen. Die so etwas starren Figuren des sozialistischen Realismus hat er mit Fleisch und Blut belebt gewissermaßen. Und dadurch war er für diese Propaganda eigentlich dann auch wohl sehr nützlich. Aber es findet sich nichts, aber auch wirklich gar nichts von der großen, berühmten, modernen, experimentellen Fotografietradition eines Eisenstein oder eines Rodchenko oder Lissitzky bei ihm. Also er war da wirklich ein Naturalist.
Fischer: Sie haben seine Rolle als Propagandist der Sowjetunion erwähnt. Wie stark hängt diese Machart der Bilder mit seinem Verhältnis zu Stalin zusammen?
Probst: Er konnte unmöglich an vorderster Front der Kriegsfotografie natürlich sein ohne exzellente Beziehungen zum Politbüro. Es ist ja auch bekannt, dass er das schon erwähnte berühmte Reichstagsfoto selbst Stalin vorlegte, um es dann gewissermaßen auszuwählen und den Soldaten auch Namen zu geben. Also insgesamt kann man sagen, dass seine ganze Position sehr abhängig war von Stalins Wohlwollen, und zugleich fürchtete er Stalin, und er faszinierte ihn zugleich, und erlitt dann auch Ende der 40er Jahre quasi den Rückschlag, als Stalin Chaldej wegen dessen jüdischer ukrainischer Herkunft aus allen Positionen dann auch entfernte. Davon hat sich seine Karriere lange nicht erholt, und trotzdem blieb ein bisschen immer dieser Schatten der Faszination von Stalin über dem Werk von Chaldej haften.
Fischer: Herzlichen Dank, Carsten Probst, für diese Erläuterungen zum Fotografen Jewgeni Chaldej, jetzt zu sehen in Berlin im Gropius-Bau unter dem Titel "Der bedeutende Augenblick".
Frage an meinen Kollegen Carsten Probst: Wie sehr manipuliert war denn dieses Bild?
Carsten Probst: Ja, Sie haben es ja selbst schon erwähnt, es wurde sehr viel spekuliert, es wurde ja sogar vermutet, dass es komplett nachgestellt worden sei in einem Studio in Moskau. Chaldej selbst hat immer gesagt, dieses Foto ist am Ort entstanden. In dieser Ausstellung nun sind mehrere Variationen desselben Motivs immer wieder zu sehen, verschiedene Stufen auch der Manipulation lassen sich dadurch sehr schön nachvollziehen. Also die berühmten Rauchschwaden des brennenden Berlins im Hintergrund sind genauso hineinmontiert wie die doppelte Armbanduhr am Handgelenk eines der Soldaten, die da die Fahne halten. Die wurde wegretuschiert, weil sie sozusagen auf die privaten Beutezeuge der Rotarmisten in Berlin verweist. Aber es gibt dann eben auch zum Beispiel eine Version, wo sich die rote Fahne extrem bauscht, was unglaublich sichtbar nachträglich besorgt wurde. Und da gibt es eben auch noch die berühmte Urversion, die also all diese Manipulationen sehr schön nachvollziehbar macht.
Aber wie Sie es schon sagten, es gab ja auch diese Umstände, die das Ganze noch weiter ausgeschmückt haben. Es gab bereits eine rote Fahne auf dem Reichstag von wenigen Tagen zuvor, und Chaldej hat diese rote Fahne, die auf diesem berühmten Foto nun zu sehen ist, auch bekanntermaßen selber mitgebracht unter seinem Wams und dann auch extra Soldaten dafür angestellt, diese Szene so nachzuspielen. Für ihn selbst hatte das sozusagen eher eine Art naturalistisches Amüsement als so eine Art Manipulation. Er nannte es eher Korrektur.
Fischer: Das ist ja nicht das einzige Bild Chaldejs, das ikonografischen Charakter hat. Man kann ja sagen, es gehörte zu seinem Arbeitsprinzip, die Bilder so zu schaffen, reportageartig, und doch höchst artifiziell komponiert.
Probst: Ja, das ist richtig. Er hat ja auch noch mehrere Ikonen geschaffen, die allesamt oder zum größten Teil irgendwie manipuliert sind, wie gesagt auch eher im Sinne einer Korrektur, also die berühmte Fliegerstaffel über dem zerstörten Reichstag. Aber er hat auch andere Bilder, hoch offizielle Bilder von der Potsdamer Konferenz oder von den Nürnberger Prozessen geliefert. Ähnlich, glaube ich, ein bisschen wie Robert Capa hat Chaldej sich aber eigentlich sehr stark auf diesen berühmten, bedeutenden Augenblick versucht zu konzentrieren. Das hat er so ein bisschen von Cartier-Bresson gelernt, den er, salopp gesagt, versucht hat, wohl ein bisschen auch in diese sowjetische Propagandafotografie einzubauen. Die so etwas starren Figuren des sozialistischen Realismus hat er mit Fleisch und Blut belebt gewissermaßen. Und dadurch war er für diese Propaganda eigentlich dann auch wohl sehr nützlich. Aber es findet sich nichts, aber auch wirklich gar nichts von der großen, berühmten, modernen, experimentellen Fotografietradition eines Eisenstein oder eines Rodchenko oder Lissitzky bei ihm. Also er war da wirklich ein Naturalist.
Fischer: Sie haben seine Rolle als Propagandist der Sowjetunion erwähnt. Wie stark hängt diese Machart der Bilder mit seinem Verhältnis zu Stalin zusammen?
Probst: Er konnte unmöglich an vorderster Front der Kriegsfotografie natürlich sein ohne exzellente Beziehungen zum Politbüro. Es ist ja auch bekannt, dass er das schon erwähnte berühmte Reichstagsfoto selbst Stalin vorlegte, um es dann gewissermaßen auszuwählen und den Soldaten auch Namen zu geben. Also insgesamt kann man sagen, dass seine ganze Position sehr abhängig war von Stalins Wohlwollen, und zugleich fürchtete er Stalin, und er faszinierte ihn zugleich, und erlitt dann auch Ende der 40er Jahre quasi den Rückschlag, als Stalin Chaldej wegen dessen jüdischer ukrainischer Herkunft aus allen Positionen dann auch entfernte. Davon hat sich seine Karriere lange nicht erholt, und trotzdem blieb ein bisschen immer dieser Schatten der Faszination von Stalin über dem Werk von Chaldej haften.
Fischer: Herzlichen Dank, Carsten Probst, für diese Erläuterungen zum Fotografen Jewgeni Chaldej, jetzt zu sehen in Berlin im Gropius-Bau unter dem Titel "Der bedeutende Augenblick".