Kaiserswerth liegt genau genommen auf halbem Weg zwischen Düsseldorf und Duisburg. Da, wo heute auf der luxuriösen Düsseldorfer Königsallee modisch "geshopt" wird, auf dieser KÖ wäre man vor 1300 Jahren in der sumpfigen Matsche stecken geblieben und vielleicht nur von einer Rotte Wildschweine taxiert worden.
Das soll heute nur noch selten vorkommen. Kaiserswerth dagegen lag direkt am Rhein, hier gab es eine Furt durch den Fluss. Furt oder Übergang hieß, dass die Händler meist in gesicherten Geleitzügen übersetzen. Der Rhein war damals noch nicht kanalisiert und verteilte sich - wie ich hier auf einer alten Rheinkarte sehe, bei Kaiserswerth auf mehrere Rheinarme. Kaiserswerth war Kreuzpunkt wichtiger fränkischer und ehemals römischer Heer- und Handelswege. Später auch das lukrative Pilgergeschäft. Man pilgert zum Grab des heiligen Suitbert, einem englischen Missionar- oder Missionsbischof. Und wir müssen hier etwas aufpassen, denn es weht uns ein böiger Drehwind ins Mikrofon. Wilhelm Mayer:
"Es hat auf dieser Insel sicherlich seit der Zeit um 650 einen fränkischen befestigten Hof gegeben. Von dem aus das fränkische Reichsgut, das ist also das, was dem König unmittelbar gehörte, verwaltet wurde. Natürlich hat es zwischen dem Pfalzort Duisburg und dem Pfalzort Kaiserswerth eine Verbindung gegeben. Möglicherweise hat es auch einen Abzweig des Hellwegs über Dortmund, Essen, Richtung Kaiserswerth gegeben. Zu dieser Fährstelle, die dann auf der anderen Seite Anschluss hatte an die alte Römerstraße zwischen Mainz, Köln, Neuss, Xanten. Und im Schutze dieses fränkischen Hofes hat eben Suitbert, in der Zeit zwischen 690 und 700 sein erstes Kloster errichtet. Und hier ist er am 1. März 713 gestorben."
Und Kirchlein und Klosteranlage wachsen zu einer imposanten romanischen Basilika. So sehen wir sie heute noch hier direkt am Rhein.
Und wir sehen hier auch die immer noch die gewaltigen Reste einer Kaiserpfalz. Und wir wollen die Steine der Pfalz zum Reden bringen. Befragen nach dem hochpolitischen Königsraub von Kaiserswerth.
150 Jahre nach Karl dem Großen besteht das Römische Reich Deutscher Nation aus Deutschland, Italien und Burgund. Es ist die Zeit von Kaiser Heinrich III., der plötzlich stirbt und alles an seinen erst sechsjährigen Sohn weitergeben möchte. Auf dem Sterbebett nötigt er den anwesenden Papst und die Großen des Reiches auf die Nachfolge seines Dreikäsehochs. Und es heißt auch damals so im Sprachgebrauch, wehe dem Land, dessen König ein Kind ist. Das alles soll unter der Regentschaft der Kaisergattin Agnes ablaufen. Und wir lesen über die damaligen Zeiten, zusammengefasst:
Die Beziehungen zwischen dem Kaiserhof und der römischen Kurie waren auf einem Tiefstpunkt angelangt. Der römische Adel hatte sich niemals mit seiner Entmachtung durch Kaiser Heinrich III. abgefunden. Die führenden römischen Adelsfamilien vertraten die Linie, man dürfe untereinander die Papstnachfolge quasi in Erbpacht und als Pfründe auskungeln. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation steht also gespalten einer Flut immer neuer Päpste und Gegenpäpsten gegenüber.
Auch die ranghöchsten Herzöge und Bischöfe Deutschlands, Burgunds und Italiens beäugen eifersüchtig wie nun die Kaiserwitwe Agnes von Poitou, eine Französin, Mutter und Regentin des noch unmündigen Knaben, der aber schon zu Aachen als Heinrich IV. gesalbt worden ist, wie Agnes diesen wandernden Machtapparat managt? Welche Ratgeber wird sie bevorzugen? Das ist einmal das berühmte Kloster Cluny in Burgund, das dem überbordenden kirchlichen Pomp entsagt. Und es ist ein unterrangiger Bischof aus Augsburg. Die übergangenen Strippenzieher tun sich schwer mit einer erst 36-Jährigen und in ihren Augen politisch unerfahrenen Regentin.
Und nun kommen wir zur Sache. Im April 1062 weilt Agnes mit dem elfjährigen König Heinrich IV. und ihrem Kaiserhof und dem Tross auf dieser Rheininsel in der ehemaligen Pfalzanlage. Die Stimmung soll ausgelassen gewesen sein, auch wenn Agnes ihre Prunkgewänder abgelegt hat und bescheiden als Nonne mit Schleier auftritt. Viele der Großen sind geladen. Da kommen pro Gast gerne 100 bis 200 Reiter und Herolde, Berater und Bodyguards zusammen, Musiker, Schmeichler, Spaßmacher. Auch der mächtige Erzbischof von Köln, Anno II. 52 Jahre alt, Erzkanzler des Reiches, weilt in Kaiserswerth. Er hat eine unbekannte Zahl von Helfershelfern und Mitverschwörern auf seine Seite gezogen. So umlagern sie den jungen König. Und der offizielle Hofberichterstatter Lampert von Hersfeld schildert uns den politischen Tatort Kaiserswerth:
Als der König nach einem festlichen Mahl besonders heiter war, redet ihm der Bischof zu, ein Schiff, das er zu diesem Zwecke besonders prächtig hatte herrichten lassen, zu besichtigen. Dazu ließ sich der arglose, an nichts weniger als an einen Hinterhalt denkende Knabe leicht überreden.
Die Mausefalle ist gestellt. Also spaziert die Gesellschaft heiter die wenigen Meter zum Rhein. Und Lampert weiter:
Kaum aber hatte der Knabe das Schiff betreten, da umringen ihn die vom Erzbischof angestellten Helfershelfer seines Anschlages, rasch stemmen sich die Ruderer hoch, werfen sich mit aller Kraft in die Riemen und treiben das Schiff blitzschnell in die Mitte des Stroms. Der König, fassungslos über die unerwarteten Vorgänge und entschlossen, dachte nichts anderes, als dass man ihm Gewalt antun und ihn ermorden wolle, und stürzt sich kopfüber in den Fluss.
Natürlich konnte der junge König schwimmen. Aber der Rhein hat im April vielleicht acht Grad und wegen der vielen Inselbänke hier eine starke Strömung. Einer der adeligen Verschwörer springt dem Jungen hinterher, man zieht ihn ins Boot zurück.
Am Ufer die fassungslose, düpierte, ohnmächtige Kaiserin. Das Boot mit dem pitschnassen König rudert mit hoher Schlagzahl Richtung Köln. Der 11-Jährige müsste sich im harten Wind und nass bis auf die Haut bis ins Heilige Köln, das sind 66 Fluss-Kilometer rheinaufwärts, dafür braucht man so acht Stunden, wahrscheinlich sogar mehr - da müsste sich der Junge zwei Lungenentzündungen und folglich den Tod holen. Antibiotika gab es noch nicht, nur Klosterfrau Melissengeist. Einen Todesfall kann sich der Kidnapper und Erzbischof nicht leisten.
Machen wir einen großen Schnitt. Heinrich IV. überlebt den dramatischen Staatstreich, wobei Geiselnahmen damals nicht ungewöhnlich sind. "Onkel Anno", der hat nicht nur den jungen König in seiner Hand, Anno hat auch die Reichsinsignien, Krone, Zepter, Reichsapfel nach Köln bringen lassen. Damit bestimmt er die Reichspolitik.
Mit 15 Jahren übernimmt der gesalbte König Heinrich IV. in Worms mit einer feierlichen Bekundung seiner Mündigkeit alle Verantwortung eines nunmehr erwachsenen Königs des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. 15 Jahre alt. Anno verliert jeden politischen Einfluss, wird von den Patriziern und den Bürgern Kölns aus der Stadt verjagt. Aber aus anderen Gründen. Anno zieht sich in Askese in ein Kloster zurück, wird schließlich "heilig" gesprochen. Und zur Ergänzung.
15 Jahre nach Kaiserswerth steht der 27-jährige König Heinrich IV. barfüßig vor der winterlichen Burg von Canossa und erbittet damit die Lösung vom päpstlichen Bann. Wenige Jahre später setzt Heinrich die Abberufung dieses Canossa-Papstes, Gregor VII. durch und wird vom Gegenpapst in Rom zum Kaiser gekrönt.
Und wir stehen in Kaiserswerth vor den Resten der Kaiserpfalz. Aber aus der Zeit von Friedrich Barbarossa, seine Steine und Fundamente sind 830 Jahre alt!
"1174 hat Barbarossa den reichseigenen Zoll von Thiel in Holland hier nach Kaiserswerth verlegt. Und um diesen Zoll gegen die aufstrebenden Territorialherren im Rheinland und den Erzbischof von Köln zu schützen hat er hier an einer Stelle, an der es bereits 120 Jahre vorher unter den salischen Königen Heinrich III. und IV. eine Pfalz gegeben hat, einen Neubau errichten lassen. Professor Günter Binding, einer der großen Mittelalter-Baukunst-Historiker, hat einmal gesagt, die Kaiserswerther-Pfalz ist ein Dokument kaiserlicher Macht am Niederrhein."
Und diese manifestierte Macht zeigt uns auch ein Kupferstich von Mathäus Merian, ein monumentales Bauwerk am Rhein. Und wieder wollen wir dieses Bauwerk mittels einer Person in laufende Kopfbilder übersetzen. Friedrich Spee von Langenfeld, Theologe, Barockdichter, Professor für Philosophie und Ankläger gegen den Hexenwahn. Wobei das Wort "Hexenwahn" eine verniedlichende Verharmlosung der kriminellen Praktiken ist. Hans Müskens:
"Friedrich Spee wurde hier am 25. Februar 1591 hier in Kaiserswerth
geboren. Der Vater war Burgvogt auf der Pfalz, sodass also der kleine Friederich
die ersten zehn Jahre auf dieser Burg seine Kindheit verlebt hat, "
heißt auch Besuch der hiesigen Lateinschule. Auch eine höfische Ausbildung zum Pagen, fechten, reiten, Instrumente, was so ein heranwachsender Edelmann braucht um an den Höfen zu gefallen. Aber er schließt sich in Köln dann den Jesuiten an. Und wird ein couragierter Pater und Moraltheologe. Und wir wechseln in die romanische Stiftskirche St. Suitbertus und lassen uns von der Orgel ein bekanntes Kirchenlied aus der Feder des "Jesuitenpaters" Friedrich Spee anspielen ... .
O Heiland reiß die Himmel auf und greife ein, in das, was hier auf Erden aus dem Ruder läuft. So könnte man den Text interpretieren, wie einen Aufschrei mitten in der Zeit der Gräuel der Religionskriege und der Verrohung des 30-jährigen Krieges. Und als würde dieses Elend noch nicht genügen zündeln die Menschen unschuldige Frauen und Männer auf den Scheiterhaufen denunzierender Verdächtigungen an, mit Brandbeschleunigern aus Missgunst und mit Öllappen aus Neid und Hysterie.
Genau dies zeigt uns hier ein mannshohes Bronzerelief hier draußen an der Stiftskirche. Da ist einer in Mönchskutte, es ist wohl der Pater Spee, einer, der eine ohnmächtig zusammengebrochene Frau stützt. Wir sehen Folterspuren am Körper der Frau, sehen Fesseln, sehen Folterinstrumente, die jede Fantasie über die Qualen dieses Mitmenschen illustrieren.
"Das Epitaph von Bert Gerresheim hängt hier seit 1991. Der Künstler hat also das Pieta-Motiv benutzt. Also normalerweise ist ja die Mutter Gottes, die den toten Christus in den Armen hält. Und hier ist es genau umgekehrt, dass also Spee diese Rolle der "Mutter", in Anführungszeichen übernimmt."
Allein dieses Bildnis lohnt, dass man nach Kaiserswerth kommt. Sich das anguckt. Sie haben ja eine Art Museum, wo Schriften von ihm sind.
"Mit einem Anruf anmelden, wir haben also sehr viele Besucher hier. Vielleicht noch zu den Figuren im oberen Teil. Ist eingerahmt von zwei Leuten, die auch hier mit dem Ort zu tun haben. Das eine ist Caspar Uhlenberg. Das ist ein Pfarrer, der hier einige Jahre vor Spees Geburt tätig gewesen ist. Und später eine große Karriere in Köln gemacht hat als Professor und Theologe. Und auf der anderen Seite ist der Johannes Weyer. Das ist der Leibarzt der Herzöge von Kleve-Berg. Und der hat als Mediziner geschrieben, dass es in dem Sinne keine Hexen gibt, auch keine Hexerei, sondern wer das behauptet, der ist nicht klar bei Sinnen."
Und wir, die wir heute davorstehen, wir müssen uns auch an die Nase packen. Wie leichtfertig gehen wir auch mit Vorurteilen-, mit Missgunst-, mit einem was anhängen -, mit Intrige, mit Mobbing, nennt man das heute, um!
"Der Bert Gerresheim hat also diese Aktualisierung vollzogen. Sie sehen die Brandöfen von Auschwitz, im Hintergrund ein Hakenkreuz. Das heißt, diese Massenhinrichtung, die ja heute im Moment wieder hoch in der Diskussion ist, ja, in einem ganz großen Bezug gesetzt, auch zu dem, was Friedrich Spee getan hat."
Ein Zitat aus dem berühmten Buch, das Friedrich Spee hier auch auf dieser Plastik in Händen hält. "Cautio Criminalis", in dem Spee seine Eindrücke als Beichtvater vieler gefolterter und zum Scheiterhaufen verurteilter Mitmenschen niederschreibt.
Gar viele werden unschuldig gefoltert, gereckt, geschraubt mit grausamen, unmenschlichen Martern gequält. Vor unerträglicher Pein müssen sie gegen sich und andere bekennen, woran sie nie auch gar nur gedacht haben. Da foltert man sie dreimal, viermal, fünfmal, bis sie endlich entweder sterben oder sich schuldig bekennen. Wehe dem, der einmal den Fuß in die Folterkammer gesetzt hat; er wird ihn niemals zurückziehen können, ohne alles zu gestehen, was man sich nur ausdenken kann.
Und das schreibt der Kirchenmann Spee auch gegen die eigene "Kirche". Er ist ein Insider, der deswegen auch bedroht und mit Schreibverbot - milde formuliert - unterdrückt wird. Die Steine und auch dieses Relief von Kaiserswerth haben uns durchaus etwas zu sagen.
Und noch ein Blick über die alten Häuschen hier rund um dieser Stiftskirche. Es waren die noblen Wohnungen der adeligen Stiftsherrn, in denen sie mit ihren Bediensteten lebten, durchaus ein individuelles Leben, nicht unbedingt nach Klosterregeln, führen konnten.
Und wir kommen abschließend noch einmal in die Stiftskirche. Hier schließt sich der Kreis der Kaiserswerther Geschichte. Hier vor dem Goldschrein des Suitbertus, der in den Kulturführen zwei Sterne hat. Wilhelm Mayer:
"Er ist das wichtigste Ausstattungsstück der Kirche. Der Schrein ist entstanden zwischen 1193 und 1332. Und sein wichtigstes Vorbild wird wohl der Karlsschrein in Aachen sein. Er zeigt uns die Geschichte der Gründung des ersten Klosters hier auf dem Werth, auf der Insel. Wir sehen in der Mitte den heiligen Suitbert, mit der Bischofsmütze und dem Bischofsstab. Rechts und links begleitet von Pippin, dem Mittleren, der seiner Zeit Majordomus, also Hausmeier des fränkischen Reiches war und seiner Frau Plektrud, der die Insel gehörte."
Das hier war dann auch etwas für Pilger: Reliquie. Es war ja damals auch ein Geschäft. Wer anständig was in der Kirche hatte, siehe die Drei Könige in Köln, hatte Zulauf. Leute aus aller Welt, ... oder die Aachener:
"Man hat immer wieder Teile dieser Reliquien verkauft. Und es ist ein guter alter Brauch in Kaiserswerth, dass im September das Suitbertusfest gefeiert wird und der Schrein durch Kaiserswerth getragen wird, in einer ökumenischen Prozession."
Adressen:
Friedrich-Spee-Gesellschaft
Archiv und Bibliothek
Hans Müskens
Suitbertus - Stiftsplatz 11
40489 Düsseldorf-Kaiserswerth
02102-848280
Förderverein Alte Pfalz
Kaiserswerther Mart 23
Dieter Ziob
0211-40668
Museum
Wilhelm Mayer
O211-403614
Das soll heute nur noch selten vorkommen. Kaiserswerth dagegen lag direkt am Rhein, hier gab es eine Furt durch den Fluss. Furt oder Übergang hieß, dass die Händler meist in gesicherten Geleitzügen übersetzen. Der Rhein war damals noch nicht kanalisiert und verteilte sich - wie ich hier auf einer alten Rheinkarte sehe, bei Kaiserswerth auf mehrere Rheinarme. Kaiserswerth war Kreuzpunkt wichtiger fränkischer und ehemals römischer Heer- und Handelswege. Später auch das lukrative Pilgergeschäft. Man pilgert zum Grab des heiligen Suitbert, einem englischen Missionar- oder Missionsbischof. Und wir müssen hier etwas aufpassen, denn es weht uns ein böiger Drehwind ins Mikrofon. Wilhelm Mayer:
"Es hat auf dieser Insel sicherlich seit der Zeit um 650 einen fränkischen befestigten Hof gegeben. Von dem aus das fränkische Reichsgut, das ist also das, was dem König unmittelbar gehörte, verwaltet wurde. Natürlich hat es zwischen dem Pfalzort Duisburg und dem Pfalzort Kaiserswerth eine Verbindung gegeben. Möglicherweise hat es auch einen Abzweig des Hellwegs über Dortmund, Essen, Richtung Kaiserswerth gegeben. Zu dieser Fährstelle, die dann auf der anderen Seite Anschluss hatte an die alte Römerstraße zwischen Mainz, Köln, Neuss, Xanten. Und im Schutze dieses fränkischen Hofes hat eben Suitbert, in der Zeit zwischen 690 und 700 sein erstes Kloster errichtet. Und hier ist er am 1. März 713 gestorben."
Und Kirchlein und Klosteranlage wachsen zu einer imposanten romanischen Basilika. So sehen wir sie heute noch hier direkt am Rhein.
Und wir sehen hier auch die immer noch die gewaltigen Reste einer Kaiserpfalz. Und wir wollen die Steine der Pfalz zum Reden bringen. Befragen nach dem hochpolitischen Königsraub von Kaiserswerth.
150 Jahre nach Karl dem Großen besteht das Römische Reich Deutscher Nation aus Deutschland, Italien und Burgund. Es ist die Zeit von Kaiser Heinrich III., der plötzlich stirbt und alles an seinen erst sechsjährigen Sohn weitergeben möchte. Auf dem Sterbebett nötigt er den anwesenden Papst und die Großen des Reiches auf die Nachfolge seines Dreikäsehochs. Und es heißt auch damals so im Sprachgebrauch, wehe dem Land, dessen König ein Kind ist. Das alles soll unter der Regentschaft der Kaisergattin Agnes ablaufen. Und wir lesen über die damaligen Zeiten, zusammengefasst:
Die Beziehungen zwischen dem Kaiserhof und der römischen Kurie waren auf einem Tiefstpunkt angelangt. Der römische Adel hatte sich niemals mit seiner Entmachtung durch Kaiser Heinrich III. abgefunden. Die führenden römischen Adelsfamilien vertraten die Linie, man dürfe untereinander die Papstnachfolge quasi in Erbpacht und als Pfründe auskungeln. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation steht also gespalten einer Flut immer neuer Päpste und Gegenpäpsten gegenüber.
Auch die ranghöchsten Herzöge und Bischöfe Deutschlands, Burgunds und Italiens beäugen eifersüchtig wie nun die Kaiserwitwe Agnes von Poitou, eine Französin, Mutter und Regentin des noch unmündigen Knaben, der aber schon zu Aachen als Heinrich IV. gesalbt worden ist, wie Agnes diesen wandernden Machtapparat managt? Welche Ratgeber wird sie bevorzugen? Das ist einmal das berühmte Kloster Cluny in Burgund, das dem überbordenden kirchlichen Pomp entsagt. Und es ist ein unterrangiger Bischof aus Augsburg. Die übergangenen Strippenzieher tun sich schwer mit einer erst 36-Jährigen und in ihren Augen politisch unerfahrenen Regentin.
Und nun kommen wir zur Sache. Im April 1062 weilt Agnes mit dem elfjährigen König Heinrich IV. und ihrem Kaiserhof und dem Tross auf dieser Rheininsel in der ehemaligen Pfalzanlage. Die Stimmung soll ausgelassen gewesen sein, auch wenn Agnes ihre Prunkgewänder abgelegt hat und bescheiden als Nonne mit Schleier auftritt. Viele der Großen sind geladen. Da kommen pro Gast gerne 100 bis 200 Reiter und Herolde, Berater und Bodyguards zusammen, Musiker, Schmeichler, Spaßmacher. Auch der mächtige Erzbischof von Köln, Anno II. 52 Jahre alt, Erzkanzler des Reiches, weilt in Kaiserswerth. Er hat eine unbekannte Zahl von Helfershelfern und Mitverschwörern auf seine Seite gezogen. So umlagern sie den jungen König. Und der offizielle Hofberichterstatter Lampert von Hersfeld schildert uns den politischen Tatort Kaiserswerth:
Als der König nach einem festlichen Mahl besonders heiter war, redet ihm der Bischof zu, ein Schiff, das er zu diesem Zwecke besonders prächtig hatte herrichten lassen, zu besichtigen. Dazu ließ sich der arglose, an nichts weniger als an einen Hinterhalt denkende Knabe leicht überreden.
Die Mausefalle ist gestellt. Also spaziert die Gesellschaft heiter die wenigen Meter zum Rhein. Und Lampert weiter:
Kaum aber hatte der Knabe das Schiff betreten, da umringen ihn die vom Erzbischof angestellten Helfershelfer seines Anschlages, rasch stemmen sich die Ruderer hoch, werfen sich mit aller Kraft in die Riemen und treiben das Schiff blitzschnell in die Mitte des Stroms. Der König, fassungslos über die unerwarteten Vorgänge und entschlossen, dachte nichts anderes, als dass man ihm Gewalt antun und ihn ermorden wolle, und stürzt sich kopfüber in den Fluss.
Natürlich konnte der junge König schwimmen. Aber der Rhein hat im April vielleicht acht Grad und wegen der vielen Inselbänke hier eine starke Strömung. Einer der adeligen Verschwörer springt dem Jungen hinterher, man zieht ihn ins Boot zurück.
Am Ufer die fassungslose, düpierte, ohnmächtige Kaiserin. Das Boot mit dem pitschnassen König rudert mit hoher Schlagzahl Richtung Köln. Der 11-Jährige müsste sich im harten Wind und nass bis auf die Haut bis ins Heilige Köln, das sind 66 Fluss-Kilometer rheinaufwärts, dafür braucht man so acht Stunden, wahrscheinlich sogar mehr - da müsste sich der Junge zwei Lungenentzündungen und folglich den Tod holen. Antibiotika gab es noch nicht, nur Klosterfrau Melissengeist. Einen Todesfall kann sich der Kidnapper und Erzbischof nicht leisten.
Machen wir einen großen Schnitt. Heinrich IV. überlebt den dramatischen Staatstreich, wobei Geiselnahmen damals nicht ungewöhnlich sind. "Onkel Anno", der hat nicht nur den jungen König in seiner Hand, Anno hat auch die Reichsinsignien, Krone, Zepter, Reichsapfel nach Köln bringen lassen. Damit bestimmt er die Reichspolitik.
Mit 15 Jahren übernimmt der gesalbte König Heinrich IV. in Worms mit einer feierlichen Bekundung seiner Mündigkeit alle Verantwortung eines nunmehr erwachsenen Königs des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. 15 Jahre alt. Anno verliert jeden politischen Einfluss, wird von den Patriziern und den Bürgern Kölns aus der Stadt verjagt. Aber aus anderen Gründen. Anno zieht sich in Askese in ein Kloster zurück, wird schließlich "heilig" gesprochen. Und zur Ergänzung.
15 Jahre nach Kaiserswerth steht der 27-jährige König Heinrich IV. barfüßig vor der winterlichen Burg von Canossa und erbittet damit die Lösung vom päpstlichen Bann. Wenige Jahre später setzt Heinrich die Abberufung dieses Canossa-Papstes, Gregor VII. durch und wird vom Gegenpapst in Rom zum Kaiser gekrönt.
Und wir stehen in Kaiserswerth vor den Resten der Kaiserpfalz. Aber aus der Zeit von Friedrich Barbarossa, seine Steine und Fundamente sind 830 Jahre alt!
"1174 hat Barbarossa den reichseigenen Zoll von Thiel in Holland hier nach Kaiserswerth verlegt. Und um diesen Zoll gegen die aufstrebenden Territorialherren im Rheinland und den Erzbischof von Köln zu schützen hat er hier an einer Stelle, an der es bereits 120 Jahre vorher unter den salischen Königen Heinrich III. und IV. eine Pfalz gegeben hat, einen Neubau errichten lassen. Professor Günter Binding, einer der großen Mittelalter-Baukunst-Historiker, hat einmal gesagt, die Kaiserswerther-Pfalz ist ein Dokument kaiserlicher Macht am Niederrhein."
Und diese manifestierte Macht zeigt uns auch ein Kupferstich von Mathäus Merian, ein monumentales Bauwerk am Rhein. Und wieder wollen wir dieses Bauwerk mittels einer Person in laufende Kopfbilder übersetzen. Friedrich Spee von Langenfeld, Theologe, Barockdichter, Professor für Philosophie und Ankläger gegen den Hexenwahn. Wobei das Wort "Hexenwahn" eine verniedlichende Verharmlosung der kriminellen Praktiken ist. Hans Müskens:
"Friedrich Spee wurde hier am 25. Februar 1591 hier in Kaiserswerth
geboren. Der Vater war Burgvogt auf der Pfalz, sodass also der kleine Friederich
die ersten zehn Jahre auf dieser Burg seine Kindheit verlebt hat, "
heißt auch Besuch der hiesigen Lateinschule. Auch eine höfische Ausbildung zum Pagen, fechten, reiten, Instrumente, was so ein heranwachsender Edelmann braucht um an den Höfen zu gefallen. Aber er schließt sich in Köln dann den Jesuiten an. Und wird ein couragierter Pater und Moraltheologe. Und wir wechseln in die romanische Stiftskirche St. Suitbertus und lassen uns von der Orgel ein bekanntes Kirchenlied aus der Feder des "Jesuitenpaters" Friedrich Spee anspielen ... .
O Heiland reiß die Himmel auf und greife ein, in das, was hier auf Erden aus dem Ruder läuft. So könnte man den Text interpretieren, wie einen Aufschrei mitten in der Zeit der Gräuel der Religionskriege und der Verrohung des 30-jährigen Krieges. Und als würde dieses Elend noch nicht genügen zündeln die Menschen unschuldige Frauen und Männer auf den Scheiterhaufen denunzierender Verdächtigungen an, mit Brandbeschleunigern aus Missgunst und mit Öllappen aus Neid und Hysterie.
Genau dies zeigt uns hier ein mannshohes Bronzerelief hier draußen an der Stiftskirche. Da ist einer in Mönchskutte, es ist wohl der Pater Spee, einer, der eine ohnmächtig zusammengebrochene Frau stützt. Wir sehen Folterspuren am Körper der Frau, sehen Fesseln, sehen Folterinstrumente, die jede Fantasie über die Qualen dieses Mitmenschen illustrieren.
"Das Epitaph von Bert Gerresheim hängt hier seit 1991. Der Künstler hat also das Pieta-Motiv benutzt. Also normalerweise ist ja die Mutter Gottes, die den toten Christus in den Armen hält. Und hier ist es genau umgekehrt, dass also Spee diese Rolle der "Mutter", in Anführungszeichen übernimmt."
Allein dieses Bildnis lohnt, dass man nach Kaiserswerth kommt. Sich das anguckt. Sie haben ja eine Art Museum, wo Schriften von ihm sind.
"Mit einem Anruf anmelden, wir haben also sehr viele Besucher hier. Vielleicht noch zu den Figuren im oberen Teil. Ist eingerahmt von zwei Leuten, die auch hier mit dem Ort zu tun haben. Das eine ist Caspar Uhlenberg. Das ist ein Pfarrer, der hier einige Jahre vor Spees Geburt tätig gewesen ist. Und später eine große Karriere in Köln gemacht hat als Professor und Theologe. Und auf der anderen Seite ist der Johannes Weyer. Das ist der Leibarzt der Herzöge von Kleve-Berg. Und der hat als Mediziner geschrieben, dass es in dem Sinne keine Hexen gibt, auch keine Hexerei, sondern wer das behauptet, der ist nicht klar bei Sinnen."
Und wir, die wir heute davorstehen, wir müssen uns auch an die Nase packen. Wie leichtfertig gehen wir auch mit Vorurteilen-, mit Missgunst-, mit einem was anhängen -, mit Intrige, mit Mobbing, nennt man das heute, um!
"Der Bert Gerresheim hat also diese Aktualisierung vollzogen. Sie sehen die Brandöfen von Auschwitz, im Hintergrund ein Hakenkreuz. Das heißt, diese Massenhinrichtung, die ja heute im Moment wieder hoch in der Diskussion ist, ja, in einem ganz großen Bezug gesetzt, auch zu dem, was Friedrich Spee getan hat."
Ein Zitat aus dem berühmten Buch, das Friedrich Spee hier auch auf dieser Plastik in Händen hält. "Cautio Criminalis", in dem Spee seine Eindrücke als Beichtvater vieler gefolterter und zum Scheiterhaufen verurteilter Mitmenschen niederschreibt.
Gar viele werden unschuldig gefoltert, gereckt, geschraubt mit grausamen, unmenschlichen Martern gequält. Vor unerträglicher Pein müssen sie gegen sich und andere bekennen, woran sie nie auch gar nur gedacht haben. Da foltert man sie dreimal, viermal, fünfmal, bis sie endlich entweder sterben oder sich schuldig bekennen. Wehe dem, der einmal den Fuß in die Folterkammer gesetzt hat; er wird ihn niemals zurückziehen können, ohne alles zu gestehen, was man sich nur ausdenken kann.
Und das schreibt der Kirchenmann Spee auch gegen die eigene "Kirche". Er ist ein Insider, der deswegen auch bedroht und mit Schreibverbot - milde formuliert - unterdrückt wird. Die Steine und auch dieses Relief von Kaiserswerth haben uns durchaus etwas zu sagen.
Und noch ein Blick über die alten Häuschen hier rund um dieser Stiftskirche. Es waren die noblen Wohnungen der adeligen Stiftsherrn, in denen sie mit ihren Bediensteten lebten, durchaus ein individuelles Leben, nicht unbedingt nach Klosterregeln, führen konnten.
Und wir kommen abschließend noch einmal in die Stiftskirche. Hier schließt sich der Kreis der Kaiserswerther Geschichte. Hier vor dem Goldschrein des Suitbertus, der in den Kulturführen zwei Sterne hat. Wilhelm Mayer:
"Er ist das wichtigste Ausstattungsstück der Kirche. Der Schrein ist entstanden zwischen 1193 und 1332. Und sein wichtigstes Vorbild wird wohl der Karlsschrein in Aachen sein. Er zeigt uns die Geschichte der Gründung des ersten Klosters hier auf dem Werth, auf der Insel. Wir sehen in der Mitte den heiligen Suitbert, mit der Bischofsmütze und dem Bischofsstab. Rechts und links begleitet von Pippin, dem Mittleren, der seiner Zeit Majordomus, also Hausmeier des fränkischen Reiches war und seiner Frau Plektrud, der die Insel gehörte."
Das hier war dann auch etwas für Pilger: Reliquie. Es war ja damals auch ein Geschäft. Wer anständig was in der Kirche hatte, siehe die Drei Könige in Köln, hatte Zulauf. Leute aus aller Welt, ... oder die Aachener:
"Man hat immer wieder Teile dieser Reliquien verkauft. Und es ist ein guter alter Brauch in Kaiserswerth, dass im September das Suitbertusfest gefeiert wird und der Schrein durch Kaiserswerth getragen wird, in einer ökumenischen Prozession."
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