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Fragen des Alters

Warum sind einige im Alter noch topfit, andere nicht? Welche Fähigkeiten können wir im Alter bewahren oder sogar verbessern, welche eher nicht? Mit solchen Fragen beschäftigt sich der Entwicklungspsychologe Ulman Lindenberger, der für seine Arbeit nun mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis ausgezeichnet wurde.

Von Barbara Leitner | 18.03.2010
    "Altern ist ein Prozess, der sich sehr stark zwischen Personen und zwischen verschiedenen Fähigkeiten unterscheidet. Wir altern nicht alle gleich und auch unsere Fähigkeiten altern nicht im gleichen Maße."

    Ulman Lindenberger, Professor für Entwicklungspsychologie und Direktor am Max Planck Institut für Bildungsforschung in Berlin, international einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der kognitiven Alternsforschung.

    "Fähigkeiten, die sehr stark mit dem erworbenen Wissen zu tun haben, bleiben bis ins hohe Alter stabil. Und andere Dinge, wie die Fähigkeit, mehrere Dinge gleichzeitig zu tun oder schnell auf Reize zu reagieren, nehmen bereits im mittleren Erwachsenenalter ab. Warum nun Leistungen abnehmen und stabil bleiben, sind genau die Fragen, mit denen ich mich in meiner Forschung beschäftige."

    Altern - so das Verständnis der Psychologie der Lebensspanne, die Lindenberger vertritt - setzt mit der Geburt ein und das ganze Leben lang reifen und entwickeln sich Menschen, lernen sie hinzu und gibt es - jeweils unterschiedlich gewichtet - gleichzeitig Prozesse des Vergehens. Auch im höheren Alter sind deshalb noch Reifungs- und Lernprozesse möglich. Dabei reichen ältere Menschen allerdings beispielsweise beim Erlernen einer Sprache oder dem Spielen eines Musikinstrumentes kaum an die Fortschritte der Jüngeren heran. Eine körperliche Ursache dafür ist der veränderte Dopaminstoffwechsel im Gehirn.

    Der Botenstoff steuert geistige Prozesse und ist für das Lösen von Mehrfachaufgaben zuständig. Er allerdings - das wiesen die Wissenschaftler nach - nimmt alle zehn Jahr etwa um zehn Prozent ab. Und das bereits ab dem 20. Lebensjahr.

    Dennoch - so zeigt Ulman Lindenberger in seinen Studien - haben auch älterer Menschen einen Spielraum, ihr geistiges Leistungsniveau durch ihr eigenes Handeln zu verbessern. Einer der Faktoren dabei ist die körperliche Fitness.

    "Es gibt Hinweise darauf, dass es die Durchblutung des Gehirns fördert und überhaupt die Funktionsfähigkeit des Gehirns stärkt, wenn man versucht, körperlich fit zu bleiben. Es gibt noch einen zweiten Grund. Und zwar können sie beobachten, wenn die Sinne nachlassen und das Gleichgewicht nachlässt, dass wir dann auch für täglich Verrichtungen immer mehr Aufmerksamkeit in den Körper investieren müssen. Der Körper wird sozusagen zu einer Hypothek des Geistes, weil viele Sinneswahrnehmungen nicht mehr so automatisch funktionieren wie vorher. Stellen sie sich vor, ein 80- Jähriger, der die Straße überquert und ein 20-Jährigen. Für den 80-Jährigen ist das Überqueren der Straße im gewissen Maße zu einer geistigen Aufgabe geworden, weil ihm die Sinne nicht mehr so zuverlässig melden und weil er vielleicht er darauf achten muss, dass wenn er von Bürgersteig auf die Straße wechselt, dass er nicht stolpert und so weiter. Das heißt, er muss ständig viel mehr Aufmerksamkeit auf den Körper verwenden als früher."

    Wer allerdings auch im Alter noch körperlich fit ist, entlastet sich von der Herausforderung, sich ständig auf den Körper konzentrieren zu müssen und hält deshalb kognitive Kapazitäten für andere Aufgaben frei.

    Auch verschiedene emotionale und soziale Faktoren lassen in der Konstitution eines Menschen eine Art Reserve entstehen - beispielsweise indem soziale Beziehungen gepflegt werden, man sich um andere kümmert, man Bücher und Zeitungen liest. Dadurch kann auch der Beginn einer solch schweren Krankheit wie die Demenz verschoben werden.
    Doch längst nicht alle Prozesse sind durch individuelles Verhalten beeinflussbar. Deshalb untersucht der Wissenschaftler mit seinem Team, welche Faktoren des Lebensstils besonderen Einfluss auf die geistigen Potenziale im Lebenslauf haben und wie diese beispielsweise mit genetischen Faktoren verknüpft sind.

    "Wir haben in einigen Fällen nachweisen können, dass es tatsächlich so ist, dass die genetisch bestimmten Unterschiede und der Wirkungen auf die kognitive Leistungsfähigkeit bei älteren Personen größer sind als bei jüngeren Personen. Das mag ein zunächst verwundern. Das kann damit zusammenhängen, dass bei älteren Personen das System insgesamt etwas anfälliger ist, sodass dann bestimmte genetische Varianten, die einen Nachteil mit sich bringen für bestimmte kognitive Leistungen, stärker zum Vorschein kommen, weil es weniger Möglichkeiten gibt, sie auf andere Weise zu kompensieren."

    Gerade deshalb haben die Grundlagenforscher ein großes Interesse, ihre Forschungsergebnisse rasch in wirksame Praxisprogramme zu überführen. Welche Art von Gehirntrainings nutzen älteren Menschen tatsächlich, um ihre Wahrnehmung und ihr Gedächtnis fit zu halten? Ab welchem Alter und wie oft müssen sie dafür trainieren und ab welchem Punkt setzen tatsächlich nachhaltige Wirkungen für den Alternsprozess ein? Solche Studien führen die Wissenschaftler im Max-Planck-Institut für Bildungsforschung im Laborversuch durch und sie planen weitere:

    "Es wäre sehr spannend, Interventions- und Trainingsstudien durchzuführen, um zu sehen, in welcher Weise sich auch dem Abbau des Dopaminstoffwechsels begegnen lässt. Also ob es möglich ist, durch etwa geistiges Training etwas gegen den Untergang des Dopaminstoffsystems zu tun. Es jetzt vielleicht nicht auszuschalten, aber dennoch vielleicht abzuschwächen."

    Noch ist das eine offene Forschungsfrage. Ulman Lindenberger interessieren vor allem Langzeitstudien, um die Entwicklung vieler Menschen über ihr Leben hinweg verfolgen zu können und zu sehen, welche Faktoren der Lebensführung sich langfristig einen geistig regen, vielleicht weisen Geist erhalten. Dabei arbeitet der 49-Jährige Wissenschaftler interdisziplinär. Er kombiniert Ansätze aus den Neurowissenschaften, der Gerontologie und der Entwicklungspsychologie. Gegenwärtig setzt er sich dafür ein, psychologische Methoden auch in das sozialökonomische Panel des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung einzuführen. Damit können in Zukunft aus der sozialwissenschaftlichen Erhebung auch Rückschlüsse auf individuelles Verhalten gezogen werden. Auch mit diesem Wissen können Trainings und technische Hilfsmittel entwickelt werden, die ältere Menschen unterstützen, auch jenseits der 70, 80 oder 90 geistig fit zu sein.

    "Ich glaube, es geht insgesamt darum, das Bild vom Alter auszudifferenzieren und genauer zu machen und sowohl auf die Grenzen und Chancen hinzuweisen und deutlich zu machen, dass es ein sehr individueller Prozess ist, für den es kein Patentrezept gibt, sondern es darauf ankommt, für bestimmte Menschen, bestimmte Lebenslagen herauszubekommen, wie man ihre Potenziale möglichst gut fördern kann."