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Fragwürdige Abstammungszertifikate
Kaffeesatzleserei in den Genen

Rasante Fortschritte bei der DNA-Analyse ermöglichen inzwischen theoretisch Rückschlüsse auf die eigenen Ahnen. Daraus versuchen immer mehr Unternehmen Profit zu schlagen und ködern Kunden mit Abstammungszertifikaten. Auf Kritik reagieren die Firmen empfindlich, wie ein Genetik-Professor erfahren musste.

Von Christine Westerhaus | 24.09.2018
    Die Knochen des britischen Königs Richard III.
    Mit DNA-Profil identifiziert: Die Knochen des britischen Königs Richard III. (UNIVERSITY OF LEICESTER)
    Auf den ersten Blick erscheint das Angebot eines Schweizer Unternehmens wie ein Schnäppchen: Die Basisanalyse der genetischen Abstammung mit schriftlichem Zertifikat in edlem Rahmen ist für knapp 180 Euro zu haben. Sollte sich herausstellen, dass das DNA-Profil des Kunden mit dem des ägyptischen Herrschers Tutenchamun übereinstimmt, dann ist der Spaß sogar umsonst.
    Wenn Mark Thomas vom University College London so etwas hört, sträuben sich bei ihm die Nackenhaare. Vor Kurzem hat der Professor für evolutionäre Genetik ein wissenschaftliches Paper über die absurden Aussagen dubioser Ahnenforscher geschrieben, es wird demnächst veröffentlicht.
    "Es gibt in unserem Forschungsgebiet schon länger Spannungen, weil manche Kollegen irgendwelche Geschichten in ihre Genanalysen hineininterpretierten. Wirklich aufgeregt habe ich mich aber, als ich in der BBC ein Gespräch mit einem Unternehmer gehört habe. Der behauptete, er hätte jemanden in Schottland identifiziert, der ein Enkel der biblischen Eva ist. Als der Unternehmer dann auch noch behauptete, es sei akademische Forschung, was er da betreibe, bin ich richtig sauer geworden."
    Nach Kritik Post vom Anwalt
    Um seinem Ärger Luft zu machen, schrieb Mark Thomas eine kurze ironische E-Mail an einen ehemaligen Kollegen, der inzwischen für die Gentest-Firma arbeitete. Als Antwort bekam er Post vom Anwalt. Dabei hat Mark Thomas weniger ein Problem damit, dass Unternehmen private Genanalysen anbieten. Es sind ihre absurden Aussagen über vermeintliche genetische Abstammungen, über die sich der Forscher aufregt:
    "Es gibt einen Haufen verrückter Aussagen. Wie zum Beispiel: 'Deine Chromosomen zeigen, dass du von den Jägern und Sammlern abstammst.' Oder: 'Deine Vorfahren haben Großbritannien um 3000 bis 4000 vor Christi erreicht.' Tatsache ist, dass jeder Vorfahren hat, die zu den Jäger und Sammlern gehörten. Vor 10.000 Jahren waren wir alle Jäger und Sammler."
    Die Aussagen der vermeintlichen Ahnenforscher sind also nicht unbedingt falsch. Doch sie sind so allgemein, dass sie auf jeden zutreffen, der in einer bestimmten Region lebt. Dennoch fühlen sich Menschen davon persönlich angesprochen. Psychologen nennen das den "Barnum-" oder "Forer-" Effekt: Menschen schätzen Aussagen eher dann als zutreffend ein, wenn sie über sie selbst gemacht werden.
    "Genetische Astrologie"
    Das erkläre auch die Popularität von Horoskopen, meint Mark Thomas, weshalb er den Mythos um persönliche Abstammungsprofile "Genetische Astrologie" nennt: "Du wirst in diesem Monat einen großen dunkelhaarigen Unbekannten treffen. Ja, das stimmt definitiv."

    Die Idee, mithilfe von Gentests in der eigenen Ahnenreihe zu stöbern, sei zwar nicht völlig aus der Luft gegriffen. Konkrete Aussagen über die eigene Abstammung ließen aber sich nur selten weiter als ein paar Generation weit in die Vergangenheit machen.
    "Viele Leute, die ihre DNA untersuchen lassen, haben vorher schon eigene Ahnenforschung betrieben. Sie haben in Kirchenbüchern und ähnlichem recherchiert und wollen dann zusätzlich einen Gentest machen, um mehr über ihre Abstammung zu erfahren. Ich finde das wissenschaftlich völlig legitim, es ist quasi so etwas wie Bürgerforschung, was großartig ist. Und es gibt auch tatsächlich interessante Beispiele, bei denen einzelne Personen anhand von Genanalysen identifiziert wurden. Zum Beispiel Richard der Dritte."
    Prominentes Beispiel Richard III.
    Das Skelett dieses britischen Königs war 2012 unter einem öffentlichen Parkplatz in der Stadt Leicester entdeckt worden. Anhand des DNA-Profils eines Neffen von Richard III. in der 17. Generation konnten die sterblichen Überreste dem britischen Monarchen zugeordnet werden. Ob allerdings auch Normalsterbliche ihre Verwandten auf diesem Weg finden werden, ist fraglich. Denn wer verfügt schon über eine Ahnentafel, die mehr als 500 Jahre zurückreicht.