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Fragwürdige Passivität

Seit mehr als vier Monaten dominiert eine Diskussion die deutsche Sportpolitik: Die Frage der Persilscheine für ehemalige Dopingtrainer sorgt für erbitterte Auseinandersetzungen über die Dopingvergangenheit in Ost und West. Nur schwer zu begreifen ist dabei, dass sich der Sportausschuss des Bundestages, der sonst nahezu jede aktuelle Problematik aufgreift, in vier Monaten nicht damit befasst hat. Warum eigentlich nicht?

Von Jens Weinreich | 10.05.2009
    Deutschlandfunk-Mitarbeiter Jens Weinreich wollte es genau wissen und hat an alle sechzehn Mitglieder des Sportausschusses einen Fragenkatalog geschickt. Das Ergebnis seiner Recherche:

    Die Liste von 20 Fragen umfasst alle relevanten Punkte, die in den vergangenen Monaten diskutiert wurden. Einige Beispiele:

    1) Warum hat der Sportausschuss dazu noch nicht öffentlich beraten? Wann wird das geschehen und was gedenkt jeder Abgeordnete persönlich zu unternehmen?

    2) Ist die von Bundesinnenministerium (BMI), dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und dem Leichtathletik-Verband (DLV) gewählte Form der Vergangenheitsbewältigung in Form von Trainererklärungen akzeptabel?

    3) Wird der Sportausschuss Vertreter der Dopingopfer anhören?

    4) Gedenken die Abgeordneten, Ihrer Rolle als Kontrollinstanz nachzukommen und die rückwirkende Überprüfung von Zuwendungsbescheiden des BMI zu verlangen, zumal ja mit den Trainererklärungen einmal mehr der Beweis erbracht wurde, dass seit 1991 Bundesmittel zweckentfremdet wurden.

    5) Steht es in der Macht des Innenministers und seiner Sportabteilung, sich selbst von der Kontrollpflicht über die Zuwendungsbescheide zu befreien und dauerhafte Verstöße über einen langen Zeitraum zu bereinigen?

    6) Um wie viele dopingbelastete Trainer aus der DDR und den alten Bundesländern, die seit der Vereinigung mit Steuermitteln beschäftigt wurden, handelt es sich insgesamt?

    Und schließlich auch diese Frage:

    7) Zahlreiche Mitglieder des Sportausschusses sind im Ehrenamt als Präsidenten oder Vizepräsidenten diverser Sportorganisationen tätig. Inwieweit beeinflusst diese Tätigkeit Ihre Arbeit im Ausschuss? Fühlen Sie sich deshalb im Themenbereich "Dopingtrainer" befangen?

    Auf viele konkrete Fragen gab es kaum Antworten.

    - Sechs von sechzehn Abgeordneten reagierten eine Woche lang überhaupt nicht, bestätigten nicht einmal den Eingang der Emails.

    - Je ein Abgeordneter von CSU und FDP versprachen Antworten - die aber ausblieben.

    - Die Vertreterin der Linken antwortete ebenfalls nicht.

    - Je drei Abgeordnete von CDU und SPD kündigten Kollektiv-Antworten ihrer jeweiligen Sport-Obleute an. Diese Schreiben von Dagmar Freitag (SPD) und Klaus Riegert (CDU) beantworten jedoch kaum eine der 20 Fragen explizit.

    Klaus Riegert schrieb für die CDU unter anderem:

    "Wir vertreten die Auffassung, dass der autonome Sport selbstverständlich alle Fakten auf den Tisch legen muss und treten der Forderung nach einer Generalamnestie für Dopingtrainer entgegen."

    Dagmar Freitag teilte für die SPD mit, man wolle mit der Steiner-Kommission reden und stehe "auch für erneute Gespräche mit den Dopingopfern zur Verfügung". Eine "Verharmlosung oder Verzerrung historischer Realitäten" könne sie in den Trainererklärungen nicht erkennen. Aussagen zum BMI und zur Vergabe öffentlicher Mittel traf sie nicht.

    Nur ein Abgeordneter, der Bündnis-Grüne Winfried Hermann, beantwortet alle Fragen. Er bedauert, dass sich der Sportausschuss nicht mit dem Thema befasst hat. Wegen einer Erkrankung konnte sich Hermann zuletzt nicht nachdrücklich genug einbringen:

    "Ich finde, es kann nicht angehen, dass man in einem pauschalen Entschuldigungsschreiben, scheinbar das Problem der Vergangenheitsbewältigung löst und scheinbar Schwamm drüber macht. Es geht erstens darum, welchen Anteil hat das Ministerium, das Innenministerium, gehabt am Nichtwahrnehmen dieser problematischen Traineranstellung, an der Bezahlung aus öffentlichen Mittel für problematische Trainer. Es kann nicht angehen, dass der Sport, der selber lange Zeit nichts aufgearbeitet hat, jetzt sagt, es ist alles verjährt. Es kann nicht sein, dass alle die, die sozusagen schlafmützig für Verjährung gesorgt haben, jetzt zum Schluss sagen, es geht aber nicht, weil es verjährt ist. Weil sie selber für Verjährung gesorgt haben, durch Nichtstun."

    Sportausschuss-Chef Peter Danckert (SPD) schreibt zunächst, er wisse gar nicht, warum ihm solche Fragen gestellt werden. Seine Position habe er jederzeit klar gemacht. Tags darauf ist er zu einem kurzen Interview bereit. Danckert, der sonst noch jeden Tagesordnungspunkt durchzupeitschen vermag, sagt diesmal:

    "Wir haben aber hier eine Verabredung, dass wir bestimmte Dinge gemeinsam besprechen. Das ist nicht der Ausschussvorsitzende, der hier die Tagesordnung allein festlegt. Ich schlage da was vor, die Obleute beraten das, und wir verabschieden das gemeinsam. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir uns mit dieser Thematik in naher Zukunft noch mal befassen."

    In naher Zukunft? Warum so vage? Warum nicht längst geschehen?

    "Ich habe persönlich den Eindruck, dass die Beteiligten da, aus welchen Gründen auch immer, nicht gut beraten sind, die Sache sich nicht genügend, das ist meine persönliche Auffassung, sich nicht genügend durchdacht haben, auf allen Seiten. Weil man kann mit der Reaktion, die jetzt aus der Seite der ehemals betroffenen Athleten kommen, letztlich nicht viel anfangen. Es wird da kein konstruktiver Weg aufgezeigt."

    Danckert auf das "volle Programm" der kommenden Sitzungswochen. Eine öffentliche Debatte wird es im Ausschuss also kaum mehr geben. Die Obleute wollen sich nur in kleinem Kreise mit der Steiner-Kommission treffen. Danckert kündigt ein Hintergrundgespräch mit Klaus Zöllig an, dem Vorsitzenden des Dopingopferhilfevereins, der sich an den Petitionsausschuss des Bundestages gewandt hat, um politische Verantwortlichkeiten zu klären.

    Sieht Danckert seinen Ausschuss, der ein Kontrollorgan der Regierung und in gewisser Weise auch der öffentlich geförderten Sportverbände sein soll, nicht in der Pflicht, die Rechtmäßigkeit der Sportförderung zu überprüfen?

    "Wir haben diesen Punkt im Auge. Mehr möchte ich damit nicht sagen im Moment."

    Warum?

    "Ich sag mal: In bestimmten Bereichen hilft man der Sache nicht, wenn man sich öffentlich äußert. Wir haben, so viel kann ich sagen, diesen Punkt im Auge und wir werden auch uns mit diesen nicht einfachen Rechtsfragen da befassen."

    Dagegen spricht Winfried Hermann von einem "fortgesetzten Betrug der Öffentlichkeit", der sich keinesfalls verjährt habe.

    "Also, es muss geklärt werden, wer ist da unter welchen Bedingungen in den letzten Jahren im Sport tätig gewesen und war belastet. Es muss geklärt werden, was an Ost-belasteten Trainern übernommen worden ist. Es muss aber auch endlich mal geklärt werden, was an öffentlichen Mitteln geflossen ist in so genannte West-Trainer und West-Institutionen, die auch der Doping-Anwendung sich schuldig gemacht haben. Ich denke da vor allen Dingen an Freiburg und an die Freiburger Ärzte, die verwickelt waren, und auch an Institutionen, die öffentlich gefördert sind und gefördert wurden bis zum heutigen Tag gefördert werden. Dass sogar wissenschaftliche Mittel zur Verfügung gestellt wurden, angeblich zur Bekämpfung von Doping, die wahrscheinlich zur Nutzung von Doping verwendet wurden. All das muss dringend aufgearbeitet werden."

    Die Frage aber ist: Kann und will das der Sportausschuss mehrheitlich?

    Etwa Eberhard Gienger (CDU), der als DOSB-Vizepräsident Leistungssport eher eine Lobbyisten-Rolle einnimmt und oft genug so handelt. Gienger war auf wiederholte Anfrage nicht bereit, sich zu äußern.

    Oder Klaus Riegert als Vizepräsident des Schwäbischen Turnerbundes, Martin Gerster (SPD) als Präsident des Sportakrobatik-Bundes, Dagmar Freitag als Vizepräsidentin des DLV - und andere?

    Nur Frau Freitag mag sich dazu äußern und teilt mit, sie könne ihre berufliche Tätigkeit strikt von ihrem ehrenamtlichen Engagement im Deutschen Leichtathletik-Verband trennen.

    Andererseits: Steffen Reiche, ihr SPD-Kollege im Bundestag und Chef des brandenburgischen Leichtathletik-Verbandes, gilt inzwischen in der Steiner-Kommission als befangen.

    Winfried Hermann:

    "Also es ist schon ein gewisses Problem, dass sehr viele Sportausschuss-Mitglieder gleichzeitig Funktionäre sind im Sport. Und man kann sich sozusagen selber nicht kritisieren. Da müsste man schon sehr viel Kritikfähigkeit haben. Deswegen finde ich, ist es schon notwendig, dass der Sportausschuss zwar in aller solidarischen Freundschaft mit dem Sport positiv agiert, aber er muss sich auch ab und zu auch mal distanzieren und kritisch nachfragen. Das kann schon sein, dass diese Interessenskonflikte dazu führen, dass man halt eben doch nicht genügend kritisch nachfragt. Ich selber habe es deswegen auch vermieden, dass ich eben irgend so ein Amt im Sport habe."