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Fragwürdige Strukturen in Erfurt

Im Rahmen der Erfurter Dopingaffäre um den Sportarzt Andreas Franke, der Sportlern Blut entnommen, mit UV-Licht bestrahlt und den Athleten wieder zurückgeführt haben soll, sind auch viele Fragen zu historischen und juristischen Dimensionen offen. In Thüringen führen belastete Alt-SED-und Stasi-Kader bis heute die Sport-Strukturen an und dies wird von der Politik seit mehr als zwei Jahrzehnten unterstützt.

Von Thomas Purschke | 04.02.2012
    Seit über zwei Jahrzehnten schon kann der Thüringer Sport schalten und walten, wie er mag. Die Landespolitik sorgt für die benötigten Fördermittel und sonnt sich im Glanze der Medaillen. Personalien und Strukturen innerhalb des Sports werden dabei kaum hinterfragt.
    Der einstige DDR-Hochspringer und Bronzemedaillengewinner bei den Europameisterschaften 1978, Rolf Beilschmidt, ist seit mehr als zwei Jahrzehnten die Schlüsselfigur und der Strippenzieher des Thüringer Sports. Seit 2001 amtiert der inzwischen 58-jährige als Hauptgeschäftsführer des Landessportbundes. In nahezu keinem anderen Bereich der Gesellschaft in Ostdeutschland – außer im Sport - konnten sich so viele belastete DDR-Kader in Führungspositionen festsetzen beziehungsweise behaupten.
    Als Athlet des Sportclubs Motor Jena wurde Beilschmidt von Juni 1976 an einige Jahre vom DDR-Geheimdienst als Stasi-IM, Deckname "Paul Grün" geführt. Er legte, so steht es in seiner Akte - "Wert auf eine hohe Konspiration". Wegen "erwiesener Unzuverlässigkeit" verzichtete die Stasi dann auf eine weitere geheime Mitarbeit. Nach seinem Sportstudium wurde er Sportfunktionär in seinem Sportclub Motor Jena. Im Sommer 1989 übernahm der SED-Kader Beilschmidt den dopingverseuchten Leistungssportclub als Chef.

    Nach dem Mauerfall verhandelte er 1990 als frisch gewählter Vizepräsident des DDR-Sportbundes (DTSB) mit den Vertretern des Deutschen Sportbundes über die Neugestaltung des Spitzensports in Ostdeutschland. Am 20. Juni 1991 wurde in Erfurt offiziell der Olympiastützpunkt (OSP) Thüringen gegründet. Von 1991 bis 2001 leitete der als umtriebig bekannte Beilschmidt als Chef den Olympiastützpunkt Thüringen und baute die Strukturen auf. Dabei wurden zahlreiche Altlasten wie Wolfgang Filbrich, einst DDR-Biathlon-Co-Nationaltrainer oder der Trainingswissenschaftler und Stasi-Spitzel Hans Hartleb, Deckname IM "Falun" angestellt, die bis heute maßgeblich auch durch Steuergeldern mitfinanziert werden.

    Auf Honorarbasis wurde auch der einst in der DDR tätige Arzt der damaligen Sportmedizinischen Hauptberatungsstelle Erfurt, Andreas Franke, an den Olympiastützpunkt in Erfurt vertraglich gebunden. Der jetzt wegen seiner langjährigen Blutbehandlungsmethoden bei Leistungssportlern in der Kritik stehende Sportmediziner Franke, der als Vertragsarzt des OSP bis 2011 tätig war, wird vom Erfurter Anwalt Matthias Fertig vertreten. Pikant daran ist, dass der Jurist Matthias Fertig in der Rechtsanwaltskanzlei Spilker und Collegen tätig ist.

    Heinz-Jochen Spilker, dem beste Kontakte in Thüringer Regierungskreise nachgesagt werden und dessen Kanzlei sich "Am Anger" in Erfurt in bester Lage befindet, ist ein Strippenzieher mit unrühmlicher sportlicher Vergangenheit. Zudem stellt Spilker einen bemerkenswerten Resozialisierungsfall eines westdeutschen Ex-Dopers dar. Der einstige Sprint-Bundestrainer Spilker wurde 1994 vom Amtsgericht Hamm zu 12.000 D-Mark Geldstrafe verurteilt, weil er seine Athletinnen Ende der 80er Jahre mit vermännlichenden Dopingpräparaten versorgt hatte. Spilker im Hauptberuf Jurist und laut eigenen Angaben, ehemaliger wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl von Professor Kurt Biedenkopf, mietete nur zehn Tage nach dem Fall der Mauer, am 19. November 1989, in Erfurt Kanzleiräume an und beriet den 1990 gegründeten Thüringer Landessportbund in rechtlichen Fragen. Seit vielen Jahren ist Spilker nun schon Vizepräsident des Landessportbundes, zuständig für Recht und Liegenschaften.

    In Spilkers Kanzlei arbeiten auch zwei ehemalige Thüringer Minister und CDU-Politiker mit. Andreas Birkmann, der von 1986 bis 1991 als Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe wirkte und danach in die Thüringer Staatskanzlei wechselte, war von 1999 bis 2002 Justizminister des Freistaats. Seit einigen Jahren gehört er nun zur Kanzlei von Spilker in Erfurt.
    Der Pfälzer Manfred Scherer, der von 1999 bis 2006 als Staatssekretär im Justiz- bzw. Innen-Ministerium in Erfurt wirkte, war von Mai 2008 bis November 2009 Thüringer Innenminister. Danach nahm er eine Anwaltstätigkeit in der Spilker-Kanzlei auf.

    Zum zwanzigsten Kanzlei-Jubiläum von Spilker und Collegen im Herbst 2009, waren neben zahlreichen Gästen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Sport, auch Ex-Ministerpräsident Bernhard Vogel und die amtierende Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht zu Gast. Dabei ließ es sich Frau Lieberknecht nicht nehmen, unter tatkräftigem Beifall von Herrn Spilker sogar selbst zum Mikrofon zu greifen.

    Übrigens noch im Februar 2011 hatte Thüringens höchster hauptamtlicher Sportfunktionär, Beilschmidt, in einer öffentlichen Veranstaltung in Erfurt das DDR-Staatsdoping verharmlost. Beilschmidt räumte ein, er habe früher als Athlet Dopingmittel bewusst eingenommen. Wie anziehend solche Verharmlosungen auf Thüringens Nachwuchssportler sein können, kann man sich vorstellen.

    Sport-Referatsleiter im dafür zuständigen Thüringer Sozialministerium ist Klaus Fiedler, der in der DDR im Leistungssportclub Turbine Erfurt als Lauf- und Sprint-Trainer gearbeitet hat. Der erste Landessportbund-Präsident in Thüringen nach dem Mauerfall wurde der stasibelastete Jenaer Sportsoziologie-Professor und SED-Kader Manfred Thieß. 1994 wurde Peter Gösel der Nachfolger von Thieß als LSB-Präsident. Gösel war in der DDR ebenfalls ein exponierter SED-Kader und im Hauptberuf zuständig für die Organisation von Militärtransporten bei der Reichsbahn-Direktion in Erfurt.