So lautet die zentrale These in dem Buch "Imperium der Angst" von Benjamin R. Barber, einem der einflussreichsten Politikwissenschaftler der USA, der auch innenpolitischer Berter der Clinton-Regierung war. Er kann auf eindringliche und überzeugende Weise zeigen, dass ein "Imperium der Angst” ein Reich ohne Bürger ist. Diese werden zu Untertanen, Zuschauern und Opfern degradiert. Ihre Passivität erleben sie als Hilflosigkeit. Angst und Angsthysterie breiten sich aus – worauf ja auch bereits zahlreiche Intellektuelle und Künstler immer wieder hingewiesen und dies auch etwa in Filmen demonstriert haben.
In der Zeit der Vorbereitung auf den Irak-Krieg wiederholte sich der Fehler, den die Bush-Administration nach dem 11. September begangen hatte, als sie die Menschen dazu aufforderte, statt über das Geschehen nachzudenken und sich politisch zu engagieren, "einkaufen zu gehen”, also zu konsumieren.
Die meisten waren sich nicht ganz klar darüber, was das Anliegen des Krieges war, aber dennoch willens, mitzuwirken, hatten aber keinen Ort, an dem sie ihr bürgerschaftliches Engagement hätte ausleben können; so blieb ihnen allenfalls übrig, Nationalfähnchen zu schwenken und bangend zuzuschauen.
Ganz folgerichtig wird auch von der computergesteuerten Kriegsführung ein "Bürger in Uniform” nur als störend empfunden. Eine rein militärisch agierende Supermacht ist von dem Wahn beherrscht, sie könne mithilfe ihrer Präventivkriegsstrategie, unter dem Motto "Schock und Einschüchterung”, alle Konflikte lösen. Wer an die Stelle von Völkerrecht, von Diplomatie, Dialog der Kulturen und Kooperation Strategien setzt, die sich in ihrer verbalen Diktion durch nichts von der der so genannten Schurkenstaaten unterscheidet, kommt nicht mehr heraus aus dem Zirkel von Allmacht und Ohnmacht, von Gekränktwerden und Kränken, der Erfahrung von Verwundbarkeit und dem blinden Verlangen, andere ebenso zu verwunden.
Die Vereinigten Staaten von Amerika ... befinden sich auf Kollisionskurs mit der Geschichte ... durch ein plötzliches Erlebnis der Verwundbarkeit konsterniert, verschließt Amerika die Augen vor der Erkenntnis, dass die neue Welt des 21. Jahrhunderts notwendigerweise eine Welt der gegenseitigen Abhängigkeit, der Interdependenz sein wird. ... Auf der Suche nach einer sichereren Welt haben sie unsere kollektive Sicherheit systematisch untergraben ... dieser Krieg kann den Terrorismus nicht besiegen.
Barbers engagierte Streitschrift für Demokratie und gegen die Diktatur der Angst unterstellt sich dem Motto von Winston Churchill:
Der Staatsmann, der sich vom Kriegsfieber anstecken lässt, muss wissen, dass er, sobald der Startschuss gefallen ist, nicht mehr Herr der Politik ist, sondern Sklave unvorhersehbarer und unkontrollierbarer Ereignisse.
Barber vermag überdeutlich zu zeigen, wie wenig Beachtung eine solche Einsicht bei der Bush-Administration unter einem Präsidenten findet, der anstelle von Nachdenklichkeit auf Aktivismus setzt.
Der in Yale und Cambridge lehrende Soziologe Michael Mann, der sowohl britischer als auch amerikanischer Staatsbürger ist, geht in seiner Analyse und Anklage so weit, von einer weltweiten Gefährdung durch diese Politik zu sprechen:
Meine beiden Regierungen bedrohen durch eine beispiellos tolldreiste militaristische Politik den Frieden und die Ordnung der Welt ... ein Empire, das sie errichten könnten, wäre militärisch und nicht humanitär. ... Der Welt zuliebe muss man sie stoppen.
Michael Mann rekonstruiert die politischen, ökonomischen und militärischen Voraussetzungen und Interessen, die schließlich dazu geführt haben, dass George Bush im Verlauf des Jahres 2002 immer öfters von "präemptiven Schlägen” und notwendigen "Regimewechseln” sprach, die die USA auch "alleine machen” könnten. Statt den offenen und hybriden Imperialismus und Militarismus anzuprangern, verkleiden die Mitläufer diese Politik als "Realismus” und "Humanitarismus”. Gegen solche Verharmlosungen richtet sich Michael Mann mit aller Vehemenz:
Meine These soll ein eher gespenstisches Bild illustrieren: Das American Empire entpuppt sich als militärischer Riese, ökonomischer Trittbrettfahrer, politisch Schizophrener und ideologisches Phantom.
Jeder dieser massiven Anschuldigungen widmet der Autor ausführliche Kapitel, in denen er zeigt, wie die amerikanische Unterdrückung armer Länder einen Nährboden für Terrorismus schafft und sich dies rächen wird; weiterhin zeigt er, wie die politisch-militärische Macht Amerikas in internationalen Angelegenheiten zwar immens groß ist, dass ihnen ihre unilateralen Alleingänge aber kein Gewicht in der Neugestaltung nationalstaatlicher Strukturen verleihen. So könnte von dem amerikanischen Traum am Ende nur ein ideologisches Phantom übrig bleiben.
Den demokratischen Werten Amerikas widerspricht in ungeheuerlicher Weise ein Imperialismus, dessen militärisches Angriffspotenzial gewaltig ist, der aber zu schwach ist, um hernach die Ordnung, den Frieden und die Demokratie zu garantieren.
Zumindest mit Ernüchterung müssen dies auch die Befürworter des letzten Golfkriegs im heutigen Irak feststellen. Gegen einen Diktator Krieg zu führen, weil er eine Beleidigung und Erniedrigung für eine Supermacht, dessen früheren und jetzigen Präsidenten darstellt und er außerdem über Öl verfügt, das er zum eigenen Vorteil und dem seines Landes ausbeutet, stellt eine höchst zweifelhafte Kombination von Motiven dar, die nicht weniger dubios erscheint, wenn man noch die offiziellen Begründungen - Zerstörung der Massenvernichtungswaffen und der Verbindungen zum Terrornetz Al-Kaida - hinzunimmt. Michael Mann hat das zeitweise überstrapazierte Argument, die USA seien doch nur am irakischen Öl interessiert, präzisiert:
Es geht in dem Krieg um Öl, doch vor dem Hintergrund des übersteigerten Selbstvertrauens der neuen Imperialisten.
Wäre es der Bush-Administration (die, wie jeder weiß, eng mit der Ölindustrie liiert ist) nur ums Öl gegangen, hätte sie auch eine ganz andere Politik betreiben und die Kooperation mit dem Irak und Iran suchen können. Entscheidend für die USA wäre nur gewesen, die Herrschaft des Dollar als Leitwährung der Ölgeschäfte zu wahren.
Michael Manns Fazit: Im Kopf von Bush gingen Öl, Rache und Hybris eine unheilvolle Allianz miteinander ein. Viele seiner Kriegsbegründungen, wie die, Saddam Hussein stelle die größte Bedrohung für die Welt, eine unmittelbare Gefahr dar, beleidigt, so Michael Mann, unsere Intelligenz. Wenn, dann konnte er nur für die Nachbarstaaten gefährlich werden, aber auch sie, mit Ausnahme von Kuwait, waren gegen die Invasion, fürchteten sie doch die Nachwirkungen. Außerdem hatte auch Saddam, wie sie selbst, die Repression als Mittel gewählt, um die multiethnischen Konflikte in Schach zu halten. Die Kosten und die Opfer des Krieges wären sogar noch zu rechtfertigen, wenn das Versprechen "Operation irakische Freiheit” tatsächlich eingelöst worden wäre. Der Krieg bleibt eine atavistische Form der Gerechtigkeit, so voller Risiken, dass man ihn nicht "aus Großmannssucht” vom Zaune brechen sollte. Dies sei, so Michael Mann, der schwerwiegendste Anklagepunkt gegen die US-Politik im Irak.
Dass die Welt keinen selbstgerechten, kraftstrotzenden amerikanischen Militarismus will, darin sind sich die Autoren der in diesem Herbst erschienenen Studien einig. Unterschiedlich bewerten sie, ob die Welt ohne die eine Hegemonialmacht USA friedlicher wäre. Darüber lässt sich nur spekulieren.
Benjamin R. Barber: Imperium der Angst. Die USA und die Neuordnung der Welt
Beck, 276 S., EUR 19,90
Michael Mann: Die ohnmächtige Supermacht. Warum die USA die Welt nicht regieren können
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