Donnerstag, 18. April 2024

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Framing in den Medien
Kalkulierter Tabubruch

Immer wieder fallen Politiker durch unbedachte oder rechtspopulistische Äußerungen auf. Für Journalisten ist es schwierig darauf adäquat zu reagieren, auch weil die Äußerungen oft in einem gar nicht so populistischen Gewand daherkommen.

Von Jan Schilling | 04.06.2018
    17.05.2018, Berlin: Akten werden vor der Plenarsitzung des Deutschen Bundestages im Reichstagsgebäude durch eine Saaldienerin vom Rednerpult genommemn. Hauptthemen der 33. Sitzung der 19. Legislaturperiode sind der Bundeshaushalt 2018, die Finanzplanung des Bundes für die Jahre 2017 bis 2021 sowie einzelne Ressort-Etats.
    Framing - wenn Begriffe und Konzepte immer wieder in die Öffentlichkeit getragen werden. (dpa/ Ralf Hirschberger)
    Wolfgang Schäuble: "Frau Kollegin Weidel, Sie haben in Ihrer Rede die Formulierung - unter anderem "Kopftuchmädchen und sonstige Taugenichtse" gebraucht. Damit diskriminieren Sie alle Frauen, die ein Kopftuch tragen."
    Alice Weidel: "Nein!"
    Schäuble: "Dafü̈r rufe ich Sie zur Ordnung."
    Begriffe aus dem rhetorischen Hinterland
    "Was bei diesen Manövern auch zu betrachten ist, es handelt sich dabei immer um eine Ausweitung der Kampfzone. Wenn Weidel und andere wieder eine noch derbere Provokation vom Stapel lassen, heißt das ja nicht nur, dass diese Sprache kolportiert wird und durch die Medien geistert, es heißt auch, dass alles, was nicht ganz so scharf formuliert ist, quasi im rhetorischen Hinterland, dann schon zur Normalität wird", so das Urteil von Politikwissenschaftler Robert Feustel.
    Framing nennen Wissenschaftler dies. Wenn Begriffe und Konzepte immer wieder in die Öffentlichkeit getragen werden und nach und nach den Diskurs bestimmen. Das Problem für Journalisten: die Begriffe aus diesem rhetorischen Hinterland werden mittlerweile auch von anderen Politikern übernommen.
    "Manche Akteure wie Boris Palmer oder Horst Seehofer mögen politisch so ticken wie die AfD, das muss man konstatieren. Andere, da habe ich schon den Eindruck, dass sie dieser Aufmerksamkeitsgeschichte hinterherlaufen. Und dann immer wieder die gleichen Themen bespielen, weil sie glauben, dass das das eigentliche Problem ist, mit dem man heute noch die Wahlen gewinnt. Die SPD ist das beste Beispiel. Die SPD rennt die ganze Zeit irgendwelchen neurechten Thesen hinterher und glaubt, wenn sie die jetzt auch noch drischt, dann werden sie ihre 16 Prozent ein wenig aufpolieren mit Wählern von der AfD."
    "Die Möglichkeit, nicht zu berichten"
    Der Medienjournalist Michael Kraske hat sich mit der Frage beschäftigt, wie Journalisten damit umgehen sollten, dass sich auch die etablierten Parteien immer häufiger einer populistischen Sprache bedienen.
    "Immer dann, wenn die Grenze zum Rassismus überschritten ist, sollten wir das als Journalisten kenntlich machen. Und dann kann es keine Rolle spielen, in welcher Partei ein solcher Standpunkt vertreten wird."
    Berichten Medien aber nur über den Tabubruch, tragen sie dazu rechtspopulistische Konzepte in den Köpfen zu verankern.
    Politikwissenschaftler Robert Feustel:
    "Man bekommt das Gefühl, als hätten wir in erster Linie ein Problem mit Migranten. Als wäre der Islam das einzige Problem, dass wir bearbeiten müssten. Das hat mit einer ganz auffälligen Wahrnehmungsverzerrung zu tun, weil es medial völlig überrepräsentiert ist. Und das muss man sich klarmachen, dass Medien da eine Verantwortung haben und dass es aus Sicht der Medienakteure auch immer die Möglichkeit nicht zu berichten."
    Wörter viel mehr hinterfragen
    Empörungsjournalismus führt nicht weiter, weil dabei oft die Einordnung auf der Strecke bleibt. Einordnen und gleichzeitig die Probleme benennen, sei eine mögliche Lösung, so Medienjournalist Michael Kraske.
    "Die Themen, die anstehen, und sei es Kriminalität unter Flüchtlingen etc., die müssen behandelt werden. Aber es gibt keine Notwendigkeit, sich die Richtung der Fragen diktieren zu lassen, das heißt, es gibt auch keine Notwendigkeit in irgendeiner Weise die Grenzen des Sagbaren zu verschieben."
    Das erfordert von Journalisten, dass sie sich ihrem Gegenstand zuwenden: der Sprache. Die Ausweitung des populistischen Diskurses benötigt Sprachgefühl, so Nancy Grochol. Die Sprachwissenschaftlerin ist Mitherausgeberin des "Wörterbuches des besorgten Bürgers", in dem populistische Sprache analysiert wird. Grundsätzlich müssten Journalisten Wörter heute sehr viel mehr hinterfragen.
    Rückbesinnung auf journalistische Tugenden
    "Unabhängig davon, ob die von der AfD oder von anderen Politikern gebracht wurden, zu fragen, muss ich denn tatsächlich von Begriffen schreiben wie Asylbetrug, Flüchtlingskrise, auch so eine schwierige Geschichte. Wer hat denn die Krise? Es ist aber ein Begriff, der gut verbreitet ist, wo man sich fragen könnte, ob das wirklich nötig ist, dieses Vokabular auch in den eigenen journalistischen Texten zu verwenden."
    Gegen rechtspopulistische Rhetorik hilft die Rückbesinnung auf journalistische Tugenden. Gute Recherche, Kritik gegenüber Aussagen und die Einordnung. Vor allem aber, sich nicht zu sehr von seinen Emotionen leiten zu lassen. Denn populistische Äußerungen lassen sich am besten mit sachlichen Argumenten entlarven.