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France Telecom lässt MobilCom fallen

Gerner: Bangen heute früh um den Arbeitsplatz. Der größte Kreditgeber, die französische Telecom, lässt das deutsche Unternehmen fallen. Am Telefon ist Thomas Schrader, Betriebsratssprecher bei MobilCom. Herr Schrader, wie ist die Stimmung?

    Schrader: Die Stimmung ist sehr betrübt hier bei uns am Standort.

    Gerner: Was haben Sie in den nächsten Minuten vor?

    Schrader: Zur weiteren Entwicklung lassen sich erst mal keine Prognosen abgeben. Wir werden das Gespräch mit der Geschäftsleitung aufnehmen, um die weiteren Schritte dann zu besprechen.

    Gerner: Wie viele Arbeitsplätze sind gefährdet?

    Schrader: Wir reden von insgesamt 5500 Arbeitsplätzen.

    Gerner: Und die stehen alle auf der Kippe?

    Schrader: Erst mal grundsätzlich ja. Wir geben natürlich alles dafür, das so weit wie möglich der größte Teil erhalten bleibt, aber in welchem Ausmaß das möglich ist, das müssen wir, wie gesagt, jetzt natürlich im Laufe der nächsten Tage beziehungsweise beginnend heute klären.

    Gerner: Das heißt, nicht nur das UMTS-Geschäft ist in Gefahr?

    Schrader: Nein. Wir sehen im Moment alle Mitarbeiter und wir machen jetzt keine Unterscheidung zwischen dem Provider-Geschäft und dem UMTS-Geschäft.

    Gerner: Was können Sie jetzt in den nächsten Tagen tun bei der drohenden Insolvenz und was erwarten Sie von der Politik oder anderen?

    Schrader: Was wir tun können, ist, dass wir natürlich die Gespräche zur Politik suchen, um Unterstützung bei der Politik ersuchen und positiv darauf einwirken, dass wir die Arbeitsplätze erhalten können - das ist das Erste - und die Mitarbeiter natürlich auch entsprechend anzuhalten, weiterhin zur Arbeit zu kommen. Das ist auch das Wichtigste. Denn erst einmal ändert sich nichts für die Mitarbeiter.

    Gerner: Thomas Schrader. Danke für diesen ersten kurzen Eindruck. Der Betriebsratssprecher von MobilCom. Auf einer anderen Leitung begrüße ich jetzt Heide Simonis, die Ministerpräsidentin der SPD in Schleswig Holstein. Guten Morgen.

    Simonis: Guten Morgen.

    Gerner: Böses Erwachen für Sie heute?

    Simonis: Es hatte sich ja schon seit längerem angedroht, dieses Hick-Hack um die Frage, ob die französische "Mutter" weiter zu ihren Pflichten stehen würde, und nun ist offensichtlich eine Entscheidung gefallen, die durchaus ihre Auswirkungen haben wird und die wir alle sehr bedauern und die eigentlich dazu führt, dass man sich fragt: Internationale Zusammenarbeit ja, aber nicht, wenn man so sehr von jemandem abhängig ist, dass man jederzeit fallen gelassen werden kann.

    Gerner: Gut, das ist ein Vorwurf an das Unternehmen selbst. Der Bürgermeister von Büdelsdorf, wo die Zentrale von MobilCom in Schleswig-Holstein steht, hat gesagt, dass er jetzt Hilfe von der Landesregierung erwartet. Wird es die geben?

    Simonis: Das ist schwer zu sagen. Wir wissen ja gar nicht, wie es weitergeht. Zunächst wird ja in den nächsten Tagen höchstwahrscheinlich darüber entschieden werden müssen, ob es zu einem Insolvenzantrag kommt, ja oder nein. Dann wird ein hoffentlich guter Insolvenzverwalter dafür sorgen, dass und welche Arbeitsplätze weiter aufrecht erhalten bleiben können. Das sind derartige Summen von Schulden in Milliardenhöhe, die da jetzt zur Disposition stehen, die kann natürlich ein Land alleine nicht schlucken, darf es übrigens auch nicht nach EU-Richtlinien. Aber was wir an Hilfen anbieten können, das werden wir tun. Dazu gehören höchstwahrscheinlich auch steuerliche Fragen. Dazu gehören Fragen, wie man der Kommune helfen kann. Das wird in Ruhe miteinander zu diskutieren sein.

    Gerner: Frau Simonis, es war zu lesen, dass sich die Bundesregierung gestern eingeschaltet hatte. Was ist denn dabei rausgekommen? Über was wurde gesprochen?

    Simonis: Das kann ich Ihnen auch nicht sagen, weil das Gespräche sind, die teilweise mit Frankreich geführt worden sind.

    Gerner: Keinen kurzen Draht zum Bundeskanzler?

    Simonis: Doch, natürlich einen kurzen Draht zum Bundeskanzler, ins Bundeskanzleramt hinein. Die haben die Hilfe organisiert. Die haben den Finanzminister beauftragt. Die haben den Wirtschaftsminister beauftragt. Aus dem Kanzleramt selber ist mit dem französischen Staatspräsidenten gesprochen worden. Ob der Bundeskanzler persönlich zum Hörer gegriffen hat, das weiß ich nicht, das kontrolliere ich auch nicht nach, aber ich weiß, dass dort alles gemacht worden ist, um zu helfen, um die Franzosen noch einmal zu bewegen, nicht den Schritt zu machen, den sie nun leider Gottes gestern nun doch entschieden hatte.

    Gerner: Gehen Sie davon aus, dass die SPD-Regierung jetzt wenige Tage vor der Wahl alles tun wird, damit keine Arbeitsplätze verloren gehen?

    Simonis: Wir werden alles, alles tun, damit keine Arbeitsplätze verloren gehen. Nur, ich darf noch einmal darauf hinweisen: Die France Telecom, die uns ja jetzt nicht mehr interessiert, hat über 60 Milliarden Euro Schulden, und dadurch hat sich natürlich auch die Situation hier in unserer Region für MobilCom verschlechtert. Dann kamen die öffentlichen Auseinandersetzungen hinzu, die die Aktien in den Keller getrieben haben. Das jedenfalls ist jetzt vorbei, sodass ein guter Insolvenzverwalter und mit einem Zusammenhalt der Politik dafür sorgen kann, dass der gute Ruf dieses Unternehmens, der ja aus dem Nichts, durch Tüchtigkeit von Mitarbeitern und dem Inhaber geschaffen worden ist, wieder auf die Beine kommen kann.

    Gerner: Frau Simonis, es zeigt sich ja jetzt, nicht nur aber auch gerade an diesem Beispiel, dass der Optimismus in dem Erwerb von UMTS-Lizenzen mitnichten gerechtfertigt war. War da nicht auch von Seiten der Politik die Summen, für die Hans Eichel die UMTS-Lizenzen verkauft hat, Naivität, zu viel Optimismus im Spiel?

    Simonis: Das waren ja ersteigerte, wo alle möglichen mitgesteigert hatten, weil sie sich kürzere Zeiträume vorgestellt haben, in denen man das alles realisieren kann. Es zeigt nur auch, dass man in solchen neuen technischen Erneuerungen mit einem langen Atem rechnen muss. Man darf nicht davon ausgehen, dass in dem Boom, den die Jugendlichen oder Leute mit Handys haben, nun sich alle auf diese Technologie stürzen. Zu den Lizenzen wäre natürlich noch einmal Geld nötig gewesen, in die Hand zu nehmen, um das Ganze zu entwickeln. Also, ich kann da keinem Politiker den Vorwurf machen, dass die Lizenz sehr teuer ersteigert worden ist. Vielleicht hätte man einen Deckel einziehen müssen und hätte sagen müssen: Sag mal, könnt Ihr das auch wirklich? - also Nachweise über die Leistungsfähigkeit. Aber die waren ja alle der Meinung, sie schaffen es, und haben sich ja auch deswegen in Europa zusammen getan.

    Gerner: Heide Simonis war das, die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin der SPD zur Lage beim Telekommunikationsunternehmen MobilCom. Ich danke Ihnen für dieses Interview.

    Link: Interview als RealAudio