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Francis Fukuyama: Das Ende des Menschen

Francis Fukuyama ist Professor für internationale politische Ökonomie im amerikanischen Baltimore. Vor zehn Jahren machte er Furore mit seinem Buch "Das Ende der Geschichte". - "Das Ende des Menschen" - der deutsche Titel seines neuen Buches knüpft etwas reißerisch an den Titel seines Welterfolges an. Der englische Originaltitel kommt aber eigentlich der Sache näher, um die es im Buch geht. Übersetzt lautet er: "Unsere posthumane Zukunft. Konsequenzen der biotechnologischen Revolution." Fukoyama begibt sich damit erstmals auf das Feld der Biowissenschaften.

Ludger Fittkau | 08.07.2002
    Wer für die bundesdeutsche Debatte um die neuen Biotechnologien im Fukuyama-Buch Argumente sucht, wird schnell enttäuscht sein. Denn es ist ein sehr auf die amerikanische Biopolitik-Debatte bezogener Text, verfasst von einem Berater der US-amerikanischen Regierung. Francis Fukuyama ist seit dem vergangenen Jahr Mitglied der Bioethik-Kommission der Bush-Administration, begreift sich aber dennoch nicht als Bioethiker, sondern grenzt sich deutlich von dieser neuen Ethik-Richtung ab:

    Die Gemeinde der Bioethiker, die synchron mit der biotechnischen Industrie herangewachsen ist, steckt in mancher Hinsicht voller Widersprüche. Auf der einen Seite haben ihre Mitglieder eine außerordentlich nützliche Funktion wahrgenommen, indem sie Fragen und Zweifel hinsichtlich Sinn und Moral bestimmter technologischer Neuerungen aufwarfen. Auf der anderen Seite sind viele von ihnen inzwischen nur noch geschickte Rechtfertiger dessen, was Wissenschaftler tun möchten.

    Ein solcher kritikloser Rechtfertiger will Fukuyama nicht sein. Er fordert ein weltweites Verbot des Klonens mit der Absicht, ein Kind hervorzubringen- das so genannte reproduktive Klonen. Er problematisiert neue Biotechniken wie die Präimplantationsdiagnostik, die Keimbahnmanipulation oder die Schaffung von Chimären unter Verwendung von menschlichen Genen. Die Begründungen seiner Positionen bleiben aber vielfach nur sehr oberflächlich und fallen hinter die Debatten in den deutschen Feuilletons zurück. Weitergehende Erkenntnisse sind hingegen gerade aus einem Kapitel zu gewinnen, das sich explizit nicht mit der Genmanipulation des Menschen beschäftigt, sondern mit einem anderen Feld moderner Biomedizin: der Verhaltenskontrolle durch Psychopharmaka. Fukuyama vergleicht die neueste Generation von Beruhigungs- und Aufputschmitteln mit der Glückspille namens Soma in Huxleys "Schöne neue Welt" :

    Die neuropharmakologische Welle der biotechnischen Revolution ist bereits mit Wucht über uns hereingebrochen. Sie hat Pillen hervorgebracht, die an Huxleys Soma erinnern, Medikamente, die Kinder sozial kontrollieren, Tabletten, die weit wirkungsvoller zu sein scheinen, als es die frühkindliche Sozialisation und die Freudschen Therapien des zwanzigsten Jahrhunderts je waren. Sie werden überall auf der Welt von Millionen Menschen konsumiert.

    Am Beispiel des Novartis-Präparates Ritalin zeigt Fukuyama, wie ein Bündnis einer Selbsthilfegruppe mit dem Hersteller es erreichte, das mit Amphetaminen, Speed und Kokain verwandte Antidepressivum als Medikament für Kleinkinder gesellschaftsfähig zu machen. Ritalin wird vor allem dazu benutzt, das so genannte "Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitäts-Syndrom" (ADHS) zu behandeln. Das Syndrom gilt in den USA offiziell sogar als Behinderung. Für Fukuyama ist das nicht nachvollziehbar:

    ADHS ist höchstwahrscheinlich überhaupt keine Krankheit, sondern einfach ein Etikett, das wir Leuten ankleben, die sich am unteren Ende der Normalverteilung befinden, was Konzentration und Aufmerksamkeit angeht. Hier handelt es sich also tatsächlich um einen klassischen Fall einer gesellschaftlichen Konstruktion einer Pathologie.

    Fukuyama verweist auf eine amerikanische Studie aus dem Jahre 1998, nach der bei über der Hälfte der Kinder unter vier Jahren, bei denen Konzentrationsmängel festgestellt wurden, Psychopharmaka verschrieben wurden. Eine Selbsthilfe-Gruppe von Eltern mit Kindern, denen das Aufmerksamkeits-Defizit ärztlich bescheinigt wurde, startete 1995 eine Kampagne mit dem Ziel, die Freigabe des Psychopharmakas Ritalin für ihre Kinder zu erreichen. Fukuyama beschreibt, wie diese Aktion scheiterte, als bekannt wurde, das der Hersteller Novartis die Selbsthilfegruppe mit 900.000 Dollar gesponsert hatte.

    Wir müssen nicht auf die Genmanipulation und die Designerbabys warten, um einen Vorgeschmack auf die Art von politischen Kräften zu erhalten, die die neuen medizinischen Techniken vorantreiben werden; sie alle sind im Reich der Neuropharmakologie bereits am Werk.

    Um seine Skepsis gegenüber bestimmten Entwicklungen in der Biotechnologie theoretisch zu untermauern, sucht Fukuyama einen Standpunkt jenseits von Kirche und kantianisch geprägtem Vernunftrecht. Kant habe die Ansicht vertreten die von ihm aufgestellten moralischen Normen gälten für alle rational Handelnden, selbst wenn sie keine Menschen seien; die Gesellschaft könne durchaus `aus vernünftigen Teufeln´ zusammengesetzt sein. Im Gefolge Kants gingen spätere Denkansätze davon aus, dass es keine fundierte Theorie über die Bestimmung des Menschen geben könne, sei sie nun aus der menschlichen Natur oder irgendeiner anderen Quelle abgeleitet.

    Doch Fukuyama glaubt, in der Debatte mit amerikanischen Naturwissenschaftlern nicht auf eine solche Theorie der menschlichen Natur verzichten zu können. Er greift dafür auf den Gedanken zurück, dass sich die Menschenrechte aus der menschlichen Natur ableiten lassen- schließlich gründete auch die Verfassung der USA von 1776 auf dem Naturrecht- die Tatsache natürlicher Gleichheit machte gleiche politische Rechte erforderlich. Fukuyama versucht nun, die Evolution in diesen alten Naturrechtsgedanken einzubauen und ihn somit zu modernisieren. Diese besondere menschliche Natur will der Autor vor dem Zugriff der Biotechnologie bewahren:

    Wir wollen die Totalität unserer komplexen, entwickelten Natur gegen Versuche der Selbstmanipulation schützen, wir wollen weder die Einheit noch die Kontinuität der menschlichen Natur und damit die Menschenrechte, die sich darauf gründen, zerstören.

    Spätestens hier zeigt sich die Fragwürdigkeit des Denkansatzes von Fukuyama: Hätte ein Mensch, der aus geklonten Körperzellen entstünde, etwa keine Menschenrechte, nur weil seine Erzeugung gegen die "Kontinuität der menschlichen Natur" stattfand? Warum muss das Klonen, das Fukuyama als "höchst unnatürliche Form der Reproduktion" bezeichnet, dazu führen, das anschließend auch die Beziehung zwischen Eltern und Kindern "unnatürlich" wird, wie der Autor behauptet. Warum sollte ein Klon nicht geliebt werden können? Fukuyama scheitert mit seinem Theorieversuch jenseits von Gott und europäischer Rechtstradition, mit dem er fast die Hälfte des Buches füllt.

    Im Schlusskapitel "Was tun? Strategien für die Zukunft" beschäftigt sich Fukuyama mit der Frage, welche politischen Kontrollinstitutionen für die neuen Biotechniken notwendig sind. Auch hier zeigt sich wieder die Schwäche des Buches: der zu sehr auf die amerikanische Politik gerichtete Blick. Das deutsche Embryonenschutzgesetz oder Regelungen in anderen Ländern werden zwar erwähnt, aber mehr als einen flüchtigen Überblick über den Stand der biopolitischen Debatte bekommt der Leser nicht. Und auch der politische Vorschlag, als Methode für eine Grenzziehung im Feld der Biowissenschaften die Unterscheidung zwischen Heilbehandlung und Vervollkommnung zu wählen, bleibt unpräzise. Fukuyama liefert selbst das wichtigste Gegenargument:

    Die Unterscheidung zwischen Therapie und Perfektionierung ist mit dem Argument angegriffen worden, es gebe in der Theorie keine Methode, zwischen beidem zu unterscheiden- und damit auch nicht in der Praxis. Eine lange Denktradition, die in den letzten Jahren von dem französischen postmodernen Denker Michel Foucault am nachdrücklichsten vertreten worden ist, gelangt zu der Aussage, was die Gesellschaft als pathologisch oder krank ansieht, sei in Wirklichkeit ein gesellschaftlich konstruiertes Phänomen, bei dem die Abweichung von einer vermeintlichen Norm stigmatisiert wird.

    Vielleicht ist Fukoyamas Hinweis auf Foucault die beste Stelle des Buches. Der Hinweis auf den Autor, der die kritische europäische Denktradition für die politische Analyse der Biotechnologien fruchtbar gemacht hat- nicht zuletzt mit dem Begriff der Biomacht. Fukoyama bleibt diese Denktradition verschlossen, weil er selbst im Grunde viel zu biologistisch denkt. Das Ende des Menschen ist nicht gekommen, weil der individuelle Mensch seinen Körper perfektionieren will - auch der manipulierte einzelne Mensch bleibt noch ein Mensch. Das eigentliche Problem ist eine Gesellschaft, die nur noch Menschen eine Chance gibt, die einem technisch-herstellbarem Ideal entsprechen. Von solcherart gesellschaftlichen Gefahren der sanften Eugenik ist bei Fukuyama zu wenig zu lesen.

    Francis Fukuyama "Das Ende des Menschen" ist erschienen bei der Deutschen Verlagsanstalt Stuttgart. Die 360 Seiten kosten 29,90 Euro.