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Francisco Contreras aka Niño de Elche
Flamenco für Dissidenten

Flamenco ist mehr als Kastagnettenklappern und Rüschenröcke. Der spanische Künstler Francisco Contreras alias Niño de Elche bürstet Klischees gegen den Strich und macht aus der spanischen Vorzeigekunst zeitgenössische Avantgarde. Das diesjährige Sónar-Festival räumt ihm einen Ehrenplatz ein.

Von Julia Macher | 14.06.2018
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    Niño de Elche habe den "Flamenco bombardiert", sagt die Presse über den Künstler (Ricardo Cases)
    Der Mann, der so somnambul von der "aktiven, denkenden Faulheit" singt, sitzt blitzwach vorm Mischpult in seinem Aufnahmestudio und bastelt an einem Track: Francisco Contreras alias Niño de Elche. Kurzer gestutzer Vollbart, akkurat gebügeltes Hemd. So also sieht der Mann aus, der nach Meinung der spanischen Kritiker wahlweise den "Indie-Pop revolutioniert" oder den "Flamenco bombardiert" hat. Contreras räuspert sich, lacht und räumt mit einem Missverständnis auf:
    "Das größte Missverständnis ist, wenn Leute denken, dass ich mit dem Flamenco brechen will. Dabei will ich mich nur von der Mehrheitsmeinung über das, was das ist, entfernen. Ich bin ein Ex-Flamenco: Ich habe den Flamenco durchschritten, er hat seine Spuren in mir hinterlassen und manchmal kehre ich zu ihm zurück."
    "Flamenco war schon immer heterodox"
    Mit seiner Doppel-CD "Antología del cante flamenco heterodoxo", "Anthologie des heterodoxen Flamenco-Gesang", will er all jenen Dissidenten Anerkennung zollen, die von der klassischen Flamenco-Tradition ignoriert werden: weil sie keine Andalusier oder schwul waren, über Kirche, Stierkampf und Co. die Nase rümpften oder sonst irgendwie jenseits des Establishment standen.
    "Am Flamenco haben sich sowohl das Lumpenproletariat wie das gehobene Bürgertum, die klassische Hochkultur und die niedrige Volkskultur abgearbeitet. Er war schon immer heterodox. Diese ganzen Mythen von Nation, Rasse und so weiter kamen erst später. Wenn man sich dem als radikaler Künstler nähert, fallen diese Schichten von alleine ab."
    Niño de Elche sampelt aus Gedichtzeilen Coplas und lässt zum Takt von Motoren tanzen. Obwohl oder vielleicht weil er eine ganz klassische Flamenco-Ausbildung hinter sich hat: Mit acht lernte er Gitarre spielen, mit zehn gewann er seinen ersten Preis und mit 18 trieb er seinen Vater zur Weißglut, weil er Texte des sozialkritischen Rappers Nach in Flamenco verwandelte.
    "Mein Vater ist ein Aficionado, ein leidenschaftlicher Hobbysänger – das ist ein total romantisches Klischee: eine andalusische Familie, er sang, ich spielte Gitarre. Als ich mit meinen Performances anfing, hat mein Vater überhaupt nicht verstanden, was ich da mache. Das hat sich geändert. Jetzt sagt er: Ich verstehe es zwar nicht, aber es ist gut. Du verdienst ja Geld damit."
    "El Niño de Elche" braucht die Extreme
    Contreras lacht. Nicht oder falsch verstanden zu werden, ist er gewohnt. Er hat bei Flash Mobs gegen Pleitebanken mitgemacht, trägt T-Shirts mit queeren und feministischen Statements und predigt auf der Bühne gegen "die Wiederbewaffnung des autoritären Staats" und das lange Erbe der Franco-Dikatur. Spaniens Linke hätte ihn gern auf ihrer Seite. Aber über Podemos und Co. verdreht Francisco Contreras nur die Augen. Das seien weichgespülte Autoikonoklasten, irgendwo aus der schwammigen Mitte. Niño de Elche braucht die Extreme.
    "Spanien ist gleichzeitig ein sehr konservatives und sehr anarchistisches Land. Wie der Flamenco. Ich sage immer: Spanien und der Flamenco sind zum Schlimmsten und zum Besten fähig. In diesem Spannungsfeld bewege ich mich. Deshalb scheue ich mich so sehr vor politischer Korrektheit, die auf Festivals manchmal verlangt wird: Diese falsch verstandende Sozialdemokratie."
    Nein, in Schubladen will sich Francisco Contreras nicht einordnen lassen. Und natürlich hält er auch die Trennung von Kunst und Pop für Humbug. Seine Videos - surrealistische Zusammenschnitte aus spanischer Volkskultur mit einer Prise Dystopie – sind für ihn genausowichtig wie Text und Musik. Auch deswegen wird Niño de Elche inzwischen ebensohäufig zu Kunst- wie zu Musikfestivals eingeladen. Im letzten Jahr trat er in Kassel auf der Documenta auf.
    "Ich habe das Glück, dass ich die Documenta mit meiner Musik und das Sónar mit meiner Performance-Kunst verschmutzen kann. Das ist ein Privileg."
    Und für das Sónar ist sein Auftritt willkommene Gelegenheit, wieder einmal zu beweisen, dass das Festival seinem Motto treu bleibt: Hallo, wir sind Avantgarde!