Samstag, 20. April 2024

Archiv

Francos Erbe
Spaniens geraubte Kinder

In Spanien sollen seit 1939 etwa 300.000 Babys ihren Müttern nach der Geburt gestohlen worden sein. Kinder aus verdächtigen Familien wurden von regimetreuen Eltern aufgezogen. Was als politische Säuberung begann, wurde zum Geschäft, in das auch die katholische Kirche verwickelt war. Dies dokumentiert der Film "Francos Erbe - Spaniens geraubte Kinder".

Von Wolfgang Martin Hamdorf | 06.04.2017
    General Franco nimmt 1959 von der Tribüne des Präsidentenpalastes in Madrid eine Parade ab.
    Unter General Franco wurden in Spanien hunderttausende Kinder geraubt (dpa)
    "Viele Adoptierte sind in Spanien 'Gestohlene Kinder'. Es begann mit dem Franquismus, am Anfang ging es um ethnische und politische Säuberung. Aber bis weit in die 1990er Jahre wurde damit weitergemacht. In Spanien wurden rund 300 000 Kinder mithilfe mafiöser Strukturen verkauft. Die Kinder wurden nicht freiwillig in Adoption gegeben, sondern häufig direkt von den Eltern gestohlen."
    Das sagt Anwalt Enrique J. Vila Torres, der die Opfer des Kindesraubes, sowohl die Eltern als auch die Kinder, vertritt. Seit Jahren sucht er selbst nach seiner leiblichen Mutter. Er ist einer der drei Protagonisten des deutschen Dokumentarfilms "Francos Erbe - Spaniens geraubte Kinder" von Inga Bremer.
    "Das leibliche Kind wurde weiterverkauft"
    Sie zeigt, wie der Kindesraub funktionierte, wie sich politische Repression, archaische Familienvorstellungen und knallhartes Geschäft vermischten. Missliebigen Müttern oder Familien wurden ihre Kinder genommen. Sie wurden an regimetreue Eltern verkauft. Mithelfer fanden sich oftmals in kirchlichen Einrichtungen, etwa Krankenhäusern oder Heimen. Den beraubten Eltern wurde vorgegaukelt, ihr Kind sei tot. Erstmals wurde der organisierte Raub von Neugeborenen 1982 aufgedeckt. Da erscheint eine Fotoreportage in der spanischen Illustrierten "Interviú". Inga Bremer hierzu:
    "Da wurde schon festgestellt, dass in einem Krankenhaus zumindest Babyleichen in Kühlschränken aufbewahrt wurden, um diese Leichen den Eltern zu zeigen, um zu beweisen, dass ihr Kind gestorben sei. Das leibliche Kind von diesen Eltern wurde eben weiterverkauft."
    Aber diese Enthüllung blieb ohne Folgen. Erst 2011, fast dreißig Jahre später, kam dann ein weiterer Fall ans Licht, wie Bremer berichtet:
    "Und dann ist dieser Fall aufgerollt worden und man hat festgestellt, dass da eine Nonne involviert war, die sehr lange in einem Krankenhaus tätig war und viele, viele hundert Kinder anscheinend so verkauft hat."
    Aber die Vinzentinerin starb im Januar 2013 unmittelbar vor ihrer gerichtlichen Vernehmung. Mit dem Tod von María Gómez Valbuena endete zunächst die strafrechtliche Verfolgung des organisierten Babyraubes.
    Auch Vertreter der Kirche waren verwickelt
    Jahrelang recherchierte Inga Bremer und fand, stellvertretend für tausende von Opfern, ihre drei Protagonisten: den Anwalt Enrique J. Vila Torres, Alicia sowie Clara Alfonsa. Ihr wurde die Tochter kurz nach der Geburt geraubt. Sie fand sie, wollte strafrechtlich gegen die Adoptiveltern vorgehen und verlor so ihre Tochter erneut. Alicia dagegen steht für jene Opfer, die gegen den Willen ihrer Adoptiv-Familie ihre leiblichen Eltern suchen. Einfühlsam erzählt der siebzigminütige Dokumentarfilm die Geschichte seiner drei Protagonisten. Aber auch die Geschichte des langen Kampfes um die Aufklärung dieser dunklen Episode der spanischen Geschichte. Inga Bremer schont auch nicht die katholische Kirche. Ihre Vertreter waren von Anfang an tief verwickelt in den organisierten Babyhandel. Etwa in kirchlichen Heimen, wo unverheiratete Mütter ihre Schwangerschaft oft verbrachten. Oder in Krankenhäusern, die meist in katholischer Hand waren.
    "Wir haben natürlich versucht, mit Vertretern der katholischen Kirche zu sprechen. Das war ziemlich schwierig; beziehungsweise unmöglich. Vor der Kamera macht das tatsächlich niemand, zumindest nicht die Personen, die wir angefragt haben. Aber es gibt immer wieder auch Priester zum Beispiel, in Spanien, die sich schon relativ öffentlich auf die Seite der Betroffenen stellen. Aber was jetzt so von den wirklich hohen Vertretern der Kirche kommt, ist leider wirklich diesbezüglich nicht viel."
    Überschwemmungen, Kellerbrände und Reißwölfe
    Immer wieder stoßen die Protagonisten bei ihren Nachforschungen in katholischen Geburtskliniken auf tiefes Schweigen. Archive sind nicht zugänglich oder zerstört, angeblichen Überschwemmungen oder Kellerbränden zum Opfer gefallen. Ein neues Gesetz in Spanien besagt, dass Krankenhaus-Akten nur noch zwanzig Jahre aufbewahrt werden müssen. Die Unterlagen zu den meisten Fällen, sagt Inga Bremer, könnten damit bald im Reißwolf enden:
    "Es gibt immer wieder aber doch Mitarbeiter in Kirchenhäusern, die tatsächlich Dokumente freigeben. Eine Freundin von einer Protagonistin, da gibt es auch eine Szene in dem Film, die hat auch ihre Mutter gefunden, aber nachdem sie zwanzig Jahre lang jedes Jahr wieder bei der Mutter Oberin angefragt hat, um da die Unterlagen zu bekommen. Und dann gab es irgendwann eine neue Schwester. Die hat sie dann reingelassen und dann hat sie die Unterlagen einsehen können und somit herausgefunden, wer ihre leibliche Mutter ist. Also es gibt immer wieder auch mutige Menschen innerhalb der katholischen Kirche, die den Betroffenen helfen."