Sonntag, 28. April 2024

Archiv


Frank Böckelmann / Hersch Fischler: Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums.

Zur letzten Rezension unserer heutigen Sendung und zu einem gänzlich anderen Thema: Der Gütersloher Bertelsmann-Konzern hat den gleichen Ruf wie seine westfälische Heimat, nämlich den, bescheiden und strebsam zu sein. Aber kann aus einem christlichen Provinzverlag ein weltumspannendes Unternehmen werden, wenn Ethik und Menschlichkeit seine Unternehmensphilosophie bestimmen? Bertelsmann behauptet dies, doch ist es auch die Wahrheit? Frank Böckelmann und Hersch Fischler haben sich aufgemacht, wie es im Untertitel heißt: "Hinter die Fassade des Medienimperiums" zu schauen. Ob ihnen das gelungen ist, verrät Ihnen Brigitte Baetz.

Von Brigitte Baetz | 08.11.2004
    Den ersten Kratzer am Lack des Bertelsmann-Konzerns hatte Hersch Fischler bereits 1998 angebracht. Damals enthüllte der Düsseldorfer Historiker, dass das Unternehmen in der Nazi-Zeit beileibe keinen Widerstand leistete, so wie es die offizielle Legende behauptete. Auslöser für seine damaligen Recherchen war die Erfahrung, dass die Zeitschrift STERN trotz Vorankündigung nicht über eine, so Fischler, falsche Geschichte des SPIEGEL über den Reichstagsbrand berichten wollte. An STERN wie SPIEGEL ist Bertelsmann über den Verlag Gruner und Jahr beteiligt.

    Hier haben die geduldet, dass ein Beteiligungsmedium, ein sehr wichtiges, Schund abliefert, eine Fälschung, und dass ein Journalist, der investigativ beginnen wollte, dass der das nicht durfte, dass dem das untersagt wurde. Ich hab angefangen zu fragen, was ist das für ein Konzern, irgendwas kann doch da nicht stimmen. Die haben doch sonst so ein linksliberales Image und so ein Image von Unternehmenskultur und Pluralismus und hab angefangen zu recherchieren, hab auch mit einigen ehemaligen STERN-Journalisten Kontakt aufgenommen und habe festgestellt, dass die mir gesagt haben, dass die mir angedeutet haben, dass der Laden selber nicht in Ordnung ist auch hinsichtlich seiner eigenen Geschichte, dass die ihre eigene Geschichte auch selber geschönt haben und eine Legende produziert haben, im Grunde genommen gefälscht haben.

    Die Recherchen, die Hersch Fischler in Eigenregie begann und in der Schweizer Weltwoche veröffentlichte, wurden inzwischen von einer Historikerkommission bestätigt. Und auch in seinem neuen Buch wirft Fischler zusammen mit dem Autor Frank Böckelmann einen Blick zurück in die Geschichte des Bertelmann-Konzerns, eine Geschichte, die vom Druck evangelischer Erbauungsschriften bis an die Spitze weltweit agierender Medienunternehmen führte.

    Der "evangelische Verlag" Bertelsmann unterwirft sich im Dritten Reich einer entschlossenen Wachstumsstrategie. Doch er bekennt sich nicht dazu, sondern segelt weiter unter der Flagge der Theologie, die in Wahrheit nur noch eine Nebenrolle spielt. Zugleich passt der Verlag sein belletristisches Programm so radikal der politischen Konjunktur an, dass er in wenigen Jahren von einer Randposition aus eine beherrschende Stellung auf diesem Markt erringt. Er streift die Fesseln seines protestantischen Herkunftsmilieus ab und bereichert sich wie kein anderes privates Unternehmen der deutschen Kulturindustrie am Kriegsgeschäft. Mit der Geschwindigkeit und Wucht dieser Expansion hält kein anderer deutscher Verlag Schritt.

    Bereits 1934, so Fischler und Böckelmann, produziert Bertelsmann Kriegsliteratur für Jugendliche und Erwachsene. Werner von Langsdorffs Flieger am Feind beispielsweise, das "Buch der todesbereiten Pflichterfüllung", wird Ende November des Jahres zum "Weihnachtsbuch der Hitler-Jugend" gekürt und in mehreren Auflagen insgesamt 124.000 Mal verkauft. Nach dem Krieg wurde dieses rentable Geschäft aus dem eigenen Gedächtnis und dem der Öffentlichkeit verdrängt.

    Heinrich Mohn hat sich die Berechtigung, seinen Verlag nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft weiter zu betreiben, mit Lüge, Leugnung und Täuschung erschlichen. Reinhard Mohn war darüber im Bilde und hat mit weiteren Täuschungsmanövern verhindert, dass die Sache aufflog und die Lizenz wieder entzogen wurde. Wäre der britischen Militärregierung auch nur annähernd bekannt gewesen, mit welcher Unverfrorenheit sich Bertelsmann den zwischen 1933 und 1945 herrschenden Verhältnissen anpasste, hätte die Firma die Verlagslizenz sicher nicht so schnell erhalten.

    Mit Drückerkolonnen und knallhartem Verdrängungswettbewerb etablierte der Erbe Reinhard Mohn nach dem Krieg seinen Bertelsmann-Club als Deutschlands größte Buchgemeinschaft. Finanziert wurde diese Turboexpansion nicht von Banken, sondern durch einen Schachzug. Mohn verschenkte den Gewinn an die Mitarbeiter, die ihn als Darlehen zu geringem Zinssatz zurück verliehen und das Kapital erst im Pensionsalter abziehen durften. Die Folgen: Der Unternehmer konnte immense Gewinnsteuern sparen, und die so genannte Bertelsmann-Kultur war geboren. Die partnerschaftliche Teilhabe der Arbeitnehmer, die seitdem auch in der Außendarstellung des Konzerns eine wichtige Rolle spielt, ist aber, so Fischler und Böckelmann, nur eine Masche, um Profitinteressen zu verschleiern. Anhand der Betriebsratsarbeit des Kernunternehmens Mohndruck weisen sie nach, dass die Mitarbeit der Arbeitnehmer allein darin besteht, Direktiven von oben abzunicken. Unangenehme Betriebsräte wurden abgefunden oder mussten gehen.

    Bertelsmann "verschenkt" seine Gewinne, setzt die Mitarbeiter als Kreditgeber ein, gibt und nimmt Selbständigkeit, legitimiert sein Vorgehen mit den latenten Bedürfnissen großer Bevölkerungsteile, verleiht Mitbestimmungsrechte, "dezentralisiert" das Unternehmen und stärkt auf diese Weise die Macht der Zentrale. Die Mitarbeiter, bei denen die Gewinne geparkt werden, sind Begünstigte, die keine Wahl haben. Indem die Leitungsebene die Belegschaft am Gewinn beteiligt, finanziert sie weiteres Wachstum über deren Einlagen und befreit sich aus dem Zwang, Fremdkapital aufzunehmen. Der Konzern macht Geschäfte demnach
    nicht nur mit seinen Lesern, sondern auch mit seinen Arbeitern und Angestellten.


    Für Hersch Fischler ist aber nicht nur das Unternehmen Bertelsmann von äußerst fragwürdiger Moral, ebenso in Frage gestellt werden sollte auch die Stiftung, die aus diesem Unternehmen hervorgegangen ist.

    Bertelsmann ist ein Konzern, der in den Medien schon sehr, sehr große Marktmacht hat und der auch meinungsbildend ist, und die legen auch Wert darauf, dass sie meinungsbildend sind. Und die nutzen dafür nicht nur ihre Medien, sondern eben auch die Stiftung. (...) Die Stiftung soll ja gemeinnützig sein, und die Stiftung ist ein Lastesel in vielen Dingen für die AG. Es sieht so aus, dass die Stiftung steuerbegünstigt ist, dass sie gemeinnützig tätig sein soll, dass sie aber effektiv in vielem, sogar in sehr vielem nichts anderes ist als die steuerbegünstigte PR-Agentur des Konzerns.

    Wie wir es besser machen können, ist an so vielen Orten und Ländern dieser Welt bewiesen. Die Frage ist nur, begreifen wir das, können wir das ändern, ist unsere Verwaltung, ist unser Staat fähig zur Evolution.

    Es besser machen zu können als die Politik, ist die Überzeugung des inzwischen über 80-jährigen Reinhard Mohn. Die Bertelsmann Stiftung ist sein eigentliches Lebenswerk in dem Sinne, als es die wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Überzeugungen ihres Gründers weiterträgt. Sie hält seit 1993 Kapitalanteile des Unternehmens und soll, so will es auch das Stiftungsrecht, dem Allgemeinwohl dienen. Im Gegenzug zu den meisten anderen Stiftungen, die Geld geben, damit dann Dritte im sozialen oder wissenschaftlichen Bereich eigenverantwortlich tätig werden, bleibt bei Bertelsmann alles in einer Hand. Die Stiftung setzt ihre Themen und Projekte selbst fest, setzt sie eigenständig um und evaluiert den Erfolg selbst. Mit zeitweise über 300 Mitarbeitern ist sie die größte und vor allem einflussreichste Stiftung Deutschlands. Sie setzt in ihrer Arbeit dabei das um, was Reinhard Mohn schon lange für seinen eigenen Betrieb predigt und was nun auch auf das Unternehmen Deutschland übertragen werden soll: Eigenverantwortung des Einzelnen, Privatisierung, Dezentralisierung.

    Die Stiftung ist dabei nicht nur eine Denkfabrik unter vielen, sondern, das leiten die Autoren Fischler und Böckelmann aus den guten Kontakten der Stiftung zu Politik, Wissenschaft und Journalismus ab, sie bestimmt die Politik der Bundesregierung mit. Ohne Bertelsmann, so suggeriert das Buch, keine Agenda 2010. Und wirklich beherrscht die Stiftung mit der Auswahl ihrer Themen die öffentliche Debatte seit fast einem Vierteljahrhundert. Ob Wirtschafts- und Sozialpolitik, ob Hochschulgestaltung und Schulentwicklung – die Forschungen der Stiftung kommen immer zu dem Schluss, dass mehr Privatinitiative und Wettbewerb not tut, der Staat zurück gedrängt werden soll. Eine Diskussion darüber, ob diese neoliberalen Erkenntnisse alle richtig sind, findet in der Öffentlichkeit kaum statt, ein Teil des demokratischen Prozesses ist somit so gut wie ausgehebelt. Eine Diskussion über den Einfluss der Bertelsmann Stiftung anzustoßen, könnte eine der Meriten dieses Buches sein, auch wenn es ab und zu ein wenig über sein Ziel hinaus schießt in seinem Bemühen, den Bertelsmännern Scheinheiligkeit nachzuweisen.

    Brigitte Baetz rezensierte. Das Buch "Bertelsmann. Hinter der Fassade des Medienimperiums" ist im Eichborn Verlag Frankfurt am Main erschienen, es umfasst 348 Seiten und kostet 19,90 Euro. Soviel für heute in unserer Sendung "Politische Literatur". Am Mikrofon verabschiedet sich - mit Dank für Ihr Interesse - Marcus Heumann. Guten Abend.