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Frank Bösch über das Jahr 1979
Als die Welt von heute begann

Die iranische Revolution, der Unfall im Atomkraftwerk Harrisburg oder die erste Weltklimakonferenz: Ereignisse wie diese haben 1979 zu einem Jahr der Zäsur gemacht, sagte der Historiker Frank Bösch im Dlf. Diskussionen unserer Zeit - über Klima oder Muslime - seien 1979 angestoßen worden.

Frank Bösch im Gespräch mit Anja Reinhardt |
Kurz vor der Rettung durch das deutsche Hilfsschiff Cap Anamur treibt ein Fluchtboot, das nahe am Kentern ist, mit 38 Fl
Insgesamt 35.000 vietnamesische Boatpeople fanden Ende der 70er-Jahre Zuflucht in Deutschland. (dpa / picture alliance / Scharsich)
Während 1989 für Deutsche klar als Zäsur erkennbar war, sieht der Historiker Frank Bösch 1979 als ein Jahr, dessen Wende-Charakter erst im Nachhinein deutlich wurde. So führte etwa die Wahl von Margaret Thatcher zur britischen Premierministerin zu einer neoliberalen Wirtschaftspolitik, deren Folgen die Bürgerinnen und Bürger erst später zu spüren bekamen.
Die Revolution im Iran mit ihren Auswirkungen in Saudi-Arabien und Afghanistan habe zu einer Radikalisierung von Muslimen geführt. Im Ausland habe sich dadurch in den Köpfen das Bild von gewalttätigen Muslimen festgesetzt, so Bösch. Ein Bild, das Ängste aufkommen ließ und Stereotypen prägte - mit Auswirkungen bis heute.
Rechtsextreme Anschläge
Ende der 1970er-Jahre formierte sich laut Bösch eine radikale Rechte in Deutschland, die gewaltbereit war. Es folgte eine Welle von rechtsextremen Attentaten, die Todesopfer forderten: auf den jüdischen Verleger Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin, auf das Münchner Oktoberfest 1980 und auch auf Flüchtlingsheime. Dabei habe es gegenüber den vietnamesischen Boatpeople auch eine Willkommenskultur gegeben.
Die erste Weltklimakonferenz, die eine Erderwärmung prognostizierte, die Ölkrise und der Unfall im Atomkraftwerk Harrisburg hätten Diskussionen über die Themen Energiesparen und alternative Energiequellen angestoßen.
Holocaust-Serie löst Umdenken aus
Mit der Fernseh-Serie "Holocaust", die 1979 in Deutschland zu sehen war, habe bei vielen Deutschen erst das Bewusstsein für den Mord an den europäischen Juden durch die Nationalsozialisten eingesetzt. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer seien von der Serie erschüttert gewesen, so Frank Bösch, und sie hätten erstmals die Frage gestellt: Wie konnte so etwas passieren?
Frank Bösch, Direktor des Zentrums für zeithistorischen Forschung (ZZF), aufgenommen am 06.10.2017 in Potsdam (Brandenburg) in seinem Arbeitszimmer. Seit 25 Jahren wird am ZZF Gesellschaftsgeschichte beschrieben, es beschäftigt sich mit der Vorgeschichte der Gegenwart». (zu dpa Korr Bericht "Potsdamer Zentrum: Forschungen zur Geschichte der Gegenwart") Foto: Bernd Settnik/dpa-Zentralbild/ZB | Verwendung weltweit
Frank Bösch, Direktor des Zentrum für zeithistorische Forschung (ZZF) in Potsdam. (picture alliance/dpa-Zentralbild)
Frank Bösch ist ein deutscher Historiker. Als Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts lehrt er an der Universität Potsdam. Gemeinsam mit Martin Sabrow leitet er das Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF). Bösch trat mit Untersuchungen zu gesellschaftlichen Wandlungsprozessen hervor. So untersuchte er für sein Buch "Zeitenwende 1979" globale Ereignisse von 1979 und ihre Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft in Deutschland.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.