Bridge hatte sein Handwerk schon früh sozusagen zuhause gelernt, als zehntes von zwölf Kindern eines Mannes, der sein Druckereigewerbe aufgab, um Geigenunterricht zu erteilen und um in Theatern als Dirigent aufzutreten. Mit 6 Jahren begann Frank mit dem Geigespielen, und für ihn und einen Cello spielenden Bruder gab es viele Gelegenheiten für kammermusikalisches Musizieren und noch mehr mit leichterer Kost im Theater, wo sie sich ihre ersten musikalischen Sporen verdienen konnten. Die neue, bei Conifer Records in London erschienene CD zeigt anhand der eingespielten kürzeren und längeren Orchesterstücke, was sich für das gesamte Werk des Komponisten sagen läßt: es besteht, grob gesehen, aus den früheren, vor dem ersten Weltkrieg entstandenen, eigentlich noch weitgehend traditionell romantisch ausgerichteten Stücken und den späteren, in Form, Harmonik und Aussage sehr viel experimentelleren, oft auch ernsten, suchenden, ja tragischen Werken, bei denen sich Verbindungslinien zum französischen Impressionismus oder auch zum hochdramatischen Ausdruck eines Alban Berg ziehen lassen. Zweifellos zur ersten Schaffensphase gehört die um Weihnachten 1909 geschriebene "Suite für Streicher e-moll", aus der Sie jetzt den 2. Satz hören: ein luftiges, leichtes Intermezzo. * Musikbeispiel: Frank Bridge: aus "Suite for Strings", 2. Satz: Intermezzo Mit gleichem Charme und Esprit wie bei diesem Intermezzo gestaltet die "Britten Sinfonia" unter der Leitung von Nicholas Cleobury auch das Finale dieser Streichersuite von Frank Bridge, und das größere Prelude zu Beginn erweckt sie mit einem warmen, intensiven, gefühlvollen Streicherklang zum Leben. Auch für die nicht so eingängigen, aber bei genauem Hören ungemein farbigen und vielschichtigen Werke der zweiten Schaffensperiode treffen diese Musiker den richtigen Ton. Hierzu gehört vor allem die 1927 entstandene Orchesterminiatur mit dem ungewöhnlichen Titel "Es neigt ein Weidenbaum sich übern Bach." Dies könnte ein beschreibendes Tongemälde sein, aber es steckt mehr dahinter, nämlich die berühmte Rede der Königin am Ende des vierten Aktes von Shakespeares Drama "Hamlet", in der sie Laertes die Nachricht vom Ertrinken seiner Schwester Ophelia überbringt. Die spannungsvolle Chromatik im Streichersatz zu Beginn ist ein erster Hinweis auf die gefährliche Strömung des Baches. Oboe, Harfe und Streicher nehmen die Rolle Ophelias an, die "phantastisch Kränze wand von Hahnfuß, Nesseln, Maßlieb, Purpurblumen", Kränze für ihre verlorene Liebe. Eine drängendere Version der Oboenmelodie, jetzt in den Streichern, zeigt den Moment, wo Ophelia den Weidenbaum hinaufklettert, um an den herabhängenden Ästen ihr "Laubgewinde" aufzuhängen. Doch es "zerbrach ein falscher Zweig, und nieder fielen die rankenden Trophäen und sie selbst ins weinende Gewässer" - dargestellt von Klarinettenklängen. Wir hören sie noch singen: Bruchstücke ihrer alten Melodien in Oboe und Fagott, "bis ihre Kleider, die sich schwer getrunken, das arme Kind von ihren Melodien hinunterzogen in den schlamm'gen Tod." * Musikbeispiel: Frank Bridge: "There is a willow grows aslant a brook" Diese ausdrucksstarken moderneren Werke von Frank Bridge gibt es vermutlich nur, weil er seit 1923 eine Gönnerin hatte, die ihn kräftig genug unterstützte, damit er sich ganz dem Komponieren widmen konnte. Ob sie ihn verpflichtete, "Modernes" zu schaffen oder ob ihr gar nicht klar war, welch radikale Wege Bridge ging, läßt sich heute kaum sagen, denn diese Mrs. Coolidge war extrem schwerhörig. Auf die Frage, warum sie neben der Musik nicht auch die Bildende Kunst fördere, soll sie mit kühlem britischen Humor geantwortet haben: "Ich mag zwar taub sein, aber blind bin ich nicht."
Zum Schluß sollten Sie von dieser neuen CD noch ein Theatermusik-Intermezzo von 1921 hören, einen mitreißenden Tanzsatz im Dreiertakt. Wenn es Maurice Ravel gelang, in seinem Orchesterstück "La Valse" eine Apotheose des Walzers zu schreiben, dann ist es Frank Bridges Verdienst, mit knappen Mitteln das weltweit bekannte Wiener Wiegen hinreißend zu persiflieren. * Musikbeispiel: Frank Bridge: aus "Threads", 2. Satz: Tempo di Valse Die neue Platte - heute mit Orchestermusik von Frank Bridge, gespielt von der Britten Sinfonia unter der Leitung von Nicholas Cleobury.
Hier im Studio verabschiedet sich Ludwig Rink.