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Frank Castorf zerstückelt den "Hofmeister"

Frank Castorf bringt am Schauspielhaus Zürich die Tragikomödie "Der Hofmeister" von Jakob Michael Reinhold Lenz auf die Bühne: exaltiert und ohne dass etwas ernst genommen wird. Nach dieser Inszenierung sollte man Castorf schnellstens in den Vorruhestand schicken!

Von Christian Gampert | 15.01.2010
    Als Frank Castorf in den 1990iger-Jahren anfing, den bürgerlichen Stückekanon postmodern aufzuschnippeln, war das gerade in seiner gewalttätigen Wut eine Neudefinition des Theaters. Hier wurden Textkörper abgekocht und schrille Figuren ausgestellt und Dramen auf Ideologie und Gegenwartsbezug befragt.

    Aber: Nur, wer sich ändert, bleibt sich treu. Längst ist Castorfs Methode der Stückzertrümmerung zur Masche geworden, das eingeflickte Fremdmaterial wirkt oft beliebig, Romane und Filme werden von ihm halbverdaut wieder ausgespuckt, und bisweilen drängt sich der Eindruck auf, dass Castorf nur deshalb so wild um sich schlägt, weil er überhaupt nicht geradeaus erzählen kann.

    "Der Hofmeister" des sprachgewaltigen Halluzinierers Jakob Michael Reinhold Lenz aber wäre so ein Stück, das man in seiner komischen Tragik ernst nehmen müsste: Der armselige Theologe Läuffer, der sich bei einem Major Berg als Hauslehrer, als Hofmeister verdingt, seine Schülerin Gustchen schwängert und sich dann selbst kastriert, ist ein Fall für den Psychiater, ein Kasus für das psychologische und sozialkritische Erzählen.

    Natürlich kann und will Castorf das nicht. Weil daheim in Berlin wegen chronischer Erfolglosigkeit rein gar nichts mehr geht, hat er das Stück nun in Zürich inszeniert, in der großen Schiffbauhalle und in bewährter Machart, als Patchwork und Groteske.

    Bühnenbildner Hartmut Mayer hat überflüssige, aber teure Deckenverkleidungen und Galerien in die Halle gezogen und eine Trikolore auf den Boden drapiert. Wir befinden uns in Preußen am Vorabend der französischen Revolution. Vorn liegt ein Haufen Stroh für die erotischen Übungen, hinten ein Haufen Rüben, weil die Preußen derlei essen. Hysterische Adelsweiber in Perücke, Body und Pelzmantel kreischen Textbrocken. Major Berg, gebrüllt von Robert Hunger-Bühler, fährt mit dem Trecker herein, rezitiert im Nachthemd Tolstoi und sorgt sich um die Tochter. Gustchen, ein langbeiniges Castorf-Girl, lernt Latein und Ethik, trällert dann aber einen Song von den Dire Straits. Läuffer, der Hofmeister, gespielt von dem sehr präsenten, aber unterforderten Niklas Kohrt, singt den Blues-Klassiker "Tobacco Road". Keiner weiß wieso, offenbar wurde auf der Probe gefragt, wer mal was singen kann.

    Danach ruckelt man erotisch auf dem Bett herum und schreit dabei Kikeriki, und hinterher sagt das eingebildete Gustchen: Igitt, Proletenfick. Dann spricht der Geheime Rat, der bedauernswerte Gottfried Breitfuß, immer wieder goldene Worte der Aufklärung, eine Art Voltaire in der Onkel-Version. Der skurrile Dorflehrer Wenzeslaus dagegen mahnt das Bürgertum zur Selbstbescheidung. Und Gustchen, die ja eigentlich selbstmörderisch ins Wasser gehen will, planscht sehr dekorativ in einem großen Pool, was wiederum an den realen Dichter Lenz erinnern soll, der im Elsass nächtens vom Wahn geschüttelt wurde und öfter mal in die Pferdetränke sprang.

    Sähe er diese Aufführung, seine Verzweiflung würde wohl noch größer werden. Denn Frank Castorf peppt seine Nichtinszenierung mit Texten der reaktionären Schweizer Volkspartei, Opernfragmenten von Wolfgang Rihm und mit Heiner Müllers "Schlacht" auf, weil preußischer Drill direkt in Krieg und Faschismus führt. Die besten Momente hat der Abend, wenn die Hauptfigur Büchners "Lenz"-Erzählung vorträgt: Die depressive Denk- und Gemütsstörung des Dichters Lenz, der sexuelle Selbsthass seines Alter Ego, des Hauslehrers Läuffer, das wäre ein Ansatz gewesen. Aber nichts wird weitererzählt, nichts wird ernst genommen in Castorfs exaltiertem Kindergarten, nicht der Kampf zwischen Bürgern und Adel, nicht die sexuelle Not, nicht das Erziehungsdrama. Sondern: Läuffer entmannt sich selbst, und Castorf kastriert das Stück.

    Dafür braucht er allerdings fünf Stunden, eine Qual für alle Beteiligten. Am Ende darf der verstümmelte Hauslehrer eine barbusige Gänseliesel bespringen, wie schön. Hauslehrer Castorf aber sollte man schnellstens in den Vorruhestand schicken: Seine rechthaberische Pose ist längst reaktionär geworden, und er ist der Schweizerischen Volkspartei ähnlicher, als er denkt.