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Frankfurter Buchmesse 2018
Messe-Eröffnung der kämpferischen Botschaften

Nicht nur die Frankfurter Buchmesse wird 70, sondern auch die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Die Messe feiert das mit einer Kampagne für Meinungsfreiheit und Respekt. Und die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie singt ein Lied darauf, wie Literatur den Horizont erweitern kann.

Jan Drees im Gespräch mit Karin Fischer | 09.10.2018
    Eröffnungsrede auf der Frankfurter Buchmesse: Chimamanda Ngozi Adichie aus Nigeria hat einiges zu sagen über Themen, die brandaktuell sind - Migration, Rassismus oder Frauenrechte.
    Eröffnungsrede auf der Frankfurter Buchmesse: Chimamanda Ngozi Adichie aus Nigeria hat einiges zu sagen über Themen, die brandaktuell sind - Migration, Rassismus oder Frauenrechte. (imago)
    Karin Fischer: Zuerst einmal nach Frankfurt, wo zur Stunde die 70. Ausgabe der Frankfurter Buchmesse eröffnet wird. Die Branche in Deutschland ist in Schwierigkeiten, kleine Verlage haben es schwer, stärkste Konkurrenz für das Buch sind derzeit die sozialen Medien, die ihm die Leser buchstäblich vor der Nase wegschnappen. In Frankfurt zur Eröffnung verweist man allerdings gern auf die Internationalität der Buchmesse. Der Anteil der internationalen Aussteller beträgt 70 Prozent. Mit einer Kampagne "onthesamepage" begeht die Buchmesse in diesem Jahr außerdem das 70. Jubiläum der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, denn sie versteht sich als Hort der Meinungsfreiheit, wie Juergen Boos, Chef der Buchmesse gerade erklärte:
    "Die Frankfurter Buchmesse ist ein Ort der Freiheit. Wer unsere Bühnen nutzt, der muss verstehen, dass er es nur kann, weil wir als Gesellschaft ihm diese Freiheit einräumen. Die Frankfurter Buchmesse ist ein Ort des gegenseitigen Respekts. Wer unsere Bühnen missbraucht und die Frankfurter Buchmesse dafür instrumentalisiert, Positionen in die Welt zu bringen, die diese Freiheit aufs Spiel setzen, dem widersprechen wir sofort und vehement."
    Eine Kampagne, bei der jeder mitmachen kann
    Fischer: Die Buchmesseneröffnung verfolgt für uns im DLF-Ü-Wagen auf der Messe mein Kollege aus der Literaturredaktion Jan Drees. Herr Drees, das klingt nach einer kämpferischen Botschaft.
    Jan Drees: Das ist eine sehr kämpferische Botschaft, die wir aber schon in den vergangenen Jahren gehört haben. Ich habe einen Teil dieser Eröffnung hier vom Ü-Wagen aus hören können, sehen leider nicht, aber mit keinen geringeren Gewährsmännern als Kant und Sokrates wurden vorhin bereits die allgemeinen Menschenrechte beschworen.
    Die Kampagne "onthesamepage", die Sie gerade angesprochen haben, Frau Fischer, ist eine Kampagne, bei der jeder mitmachen kann. Zahlreiche Buchhändlerinnen und Buchhändler haben Büchertische mit ausgewählten Titeln gestaltet. Also auf der kleineren Ebene kann viel passieren. Es sind aber auch große Videos entstanden, ganze Kampagnen, eine Social-Media-Kampagne dazu, und dieses "wir stehen auf der gleichen Seite, auf derselben Seite" ist der kämpferische Ausdruck einer Buchbranche, die sagt: "Wir möchten nicht nur irgendwelche Sachen verkaufen. Das ist keine Butter-Branche, es ist keine Automobil-Branche, sondern, wir verkaufe Inhalte, die zur Zivilisierung unserer Gesellschaft beitragen."
    Fischer: Sie können auch, Herr Drees, über Veranstaltungen berichten, nämlich über die Pressekonferenz vor der Eröffnung, da werden immer Zahlen ausgegeben, nach dem Motto "wie geht es dem Buch und dem Buchmarkt?", aber vielleicht auch ein paar Ansprüche formuliert. Und gestern Abend die Verleihung des Deutschen Buchpreises, den Inger-Maria Mahlke für ihren Roman "Archipel" erhielt, womit, so hört man das ein bisschen heraus aus den Berichten, eher eine Kostruktion ausgezeichnet wurde als eine perfekte Erzählung oder ein perfekter Roman.
    Drees: Nun ja, das ist ein Roman, der rückwärts erzählt, von 2015 zurück nach 1919, die Geschichte dreier Familien in Teneriffa und gestern ausgezeichnet im Römersaal hier in Frankfurt. Eine sehr opulente Veranstaltung mit Sektempfang und dergleichen mehr.
    Umso frugaler schienen am heutigen Vormittag bei der Eröffnungspressekonferenz die Verhältnisse in einer schrecklicherweise "Frankfurt Pavillion" getauften, lichtdurchlässigen Membran-MDF-Holzkonstruktion, die eigentlich Herzstück dieser Messe sein soll, platziert auf der Agora, also im Innenhof des Geländes, wo die versammelte Journaille jedoch frierend in Unbeheizten saß – gut, die Branche muss sich warm anziehen, letztes Jahr ein Umsatzrückgang von 1 Prozent, aber hörte zunächst altbekanntes, man müsste neue Konzepte finden, um LeserInnen für das Kulturgut Buch zu gewinnen, und so weiter – es war fast zum Einschlafen.
    Eine flammende Rede auf die Kraft der Erzählung
    Fischer: Vielleicht ist ja tatsächlich das Jahr der Frauen, auch beim Buch, denn auch bereits auf der Pressekonferenz zu sehen und zu hören war die nigerianische Schriftstellerin und preisgekrönte Autorin Chimamanda Ngozi Adichie. Sie wird heute Abend auch sprechen bei der Eröffnung.
    Drees: Das war großartig, sie dort zu hören bei der Pressekonferenz. Sie ist eine wirklich begeisternswerte Feministin auch und nicht nur Schriftstellerin – die Sonne ging geradezu auf, als sie sprach, die gerade mit dem PEN Pinter Preis ausgezeichnet wurde. Sie hielt eine flammende Rede auf die Kraft der Erzählung, sie zeigte, dass es nicht bloß um das Medium Buch geht – es wird ja schnell vergessen: Nicht alles, was in Büchern steht, ist automatisch sinnvoll, sondern was wirklich wichtig ist, ist die Fiktion, denn wir sind fiktionsbegabte und fiktionshungrige Wesen, und sie hat ein Beispiel genannt: Frauen lesen Romane von Männern und Frauen, Männer lesen aber selten Romane von Frauen, aber gerade hier, in diesen Romanen, würden sie viel mehr über das Leben, die Hoffnungen und Gedanken von Frauen erfahren als beispielsweise durch einen informativen Zeitungsartikel – und das wird auch nicht sterben, das wird nicht untergehen, das wird bleiben – und wenn wir nochmal aufs rein Kapitalistische zurückkommen: Solange der Umsatz der Buch-Branche immer noch größer ist als jener der Musik-, der Film- und der Gamesbranche zusammen, ist noch lange nicht die Zeit gekommen, ein Kaddisch zu sprechen für das Buch, für die Verlagsszene – und erst Recht nicht: für die Literatur.